Wolodymyr Selenskyj war gerade noch in einer dunklen Fabrikhalle umringt von Soldaten wenige Hundert Meter von der Front, in Bachmut (ehemals Artemiwsk) im Donbass gewesen, als die Kunde kam, er sei nun bereits im Flugzeug über dem Atlantik. Um 20 Uhr sollte er in Washington eintreffen, hieß es am frühen Mittwochmorgen, Joe Biden höchstpersönlich hole ihn vom Flughafen ab, bevor es weiter in sein Oval Office im Weißen Haus ginge. Der US-Besuch Selenskyjs just vor Weihnachten war lange geplant, aber ebenso lange verheimlicht worden. Bis zuletzt hieß es in Washington, man müsse mit Unvorhergesehenen rechnen, auch einer Reisestornierung aus Sicherheitsgründen.
Bachmut-Washington D.C. ist keine kurze Strecke. Bevor der Flughafen in Donezk bei den Kämpfen der ukrainischen Armee mit den pro-russischen Separatisten im Sommer 2014 völlig zerschossen wurde, war der Interkontinental-Flug in knapp zwölf Stunden zu schaffen, doch mittlerweile muss man zuerst über löchrige Straßen 1.400 Kilometer nach Rzeszow in Südostpolen, um irgendwohin aus der Ukraine zu fliegen. 20 Stunden dauert diese Autofahrt, im Zug ab Kiew ist es vielleicht eine bis zwei Stunden schneller.
Leicht machte es sich dagegen am Dienstag Wladimir Putin, der Oberbefehlshaber der russischen Invasionstruppen in der Ukraine. Laut dem Duma-Abgeordneten Andrej Guruljow war Putin nämlich wenige Stunden nach Selenskyj ebenfalls im Donbass, nur eben auf der anderen Seite der Front, vielleicht 20 Kilometer südöstlich von Bachmut. Dumm nur, dass selbst die russische Presse herausfand, dass das Frontfoto Putins nicht von irgendwo im Artillerielärm zwischen Donezk und Bachmut stammte, sondern Rostow am Don in Südrussland. Dort, 250 Kilometer von der Front entfernt, ist das russische Hauptquartier der „Sonderoperation Ukraine – Abschnitt Süd“.
Langer Wunschzettel
Selenskyj, der nimmermüde Staatspräsident im feldgrünen Pulli, hatte wieder einmal die Lacher auf seiner Seite. Zum G20-Gipfel nach Bali waren – obwohl angemeldet – sowohl er, wie sein Todfeind Putin nicht gereist, aber nach Bachmut reiste Selenskyj sehr wohl, obwohl ihm sein präsidialer Sicherheitsdienst wie Mitte November bei seinem Cherson-Besuch abgeraten haben muss. Denn niemand vermag einen Staatspräsidenten wenige Hundert Meter vor der Front entfernt zu beschützen, gerade an Tagen, an denen wie im Donbass auf beiden Seiten täglich Dutzende russische, aber auch ukrainische Soldaten fallen.
„Wir werden alles Mögliche und Unmögliche, Erwartete und Unerwartete tun, damit unsere Helden alles haben, was sie brauchen, um zu gewinnen“, sagte Selenskyj am Dienstagabend in seiner täglichen Videoansprache an seine Nation. Die Truppen sollten das erreichen, was „alle Ukrainer erwarten“, versprach er kurz vor der Weiterreise in die USA, seiner ersten Auslandsreise seit dem Beginn der russischen Attacke vor zehn Monaten überhaupt.
Selenskyj will Joe Biden nämlich in Washington nicht nur um „Patriot“-Raketensystemen bitten, um den russischen Beschuss der Energieinfrastruktur und anderen zivilen Zielen besser abwehren zu können. Er will auch sogenannte ATACMS-Raketen mit einer Reichweite von 300 Kilometern, mit denen aus Odessa auf die seit bereits acht Jahren von Russland besetzte ukrainische Halbinsel Krim gefeuert werden könnte. Dazu möchte er hochwirksame Kampfdrohnen der Amerikaner. Der US-Kongress soll für die Militärhilfe an die Ukraine 2023 42,3 Milliarden Dollar billigen, viel Geld also. Zum Dank will Selenskyj nach einer Rede vor dem Kongress in Washington eine von seinen Verteidigern in Bachmut unterschriebene ukrainische Flagge überreichen, eine hellblau-gelbe Fahne direkt aus Bachmut, der neuen ukrainischen Heldenstadt, die sich seit zehn Monaten gegen eine russische Übermacht verteidigt.
Selenskyj erreicht damit schon jetzt vor allem Eines: Er bietet dem kriegsmüden und inflationsgeplagten Westen neue Emotionen, einen Schuss Energie im Kampf gegen Diktatoren à la Putin und Alexander Lukaschenko, dessen treuen belarussischen Freund. Denn als ehemaliger TV-Showmaster weiß Selenskyj, was sein Publikum im Ausland und an der Heimatfront liebt – starke Gefühle und spannende Sonderaktionen. Bachmut ist so eine, das Weiße Haus ebenso. Denn lange hat man in Kiew gemunkelt, Selenskyj sei es gerade recht, sein Land nicht verlassen und nicht ins Ausland reisen zu müssen.
Selenskyj und die Opposition
Im zehnten Kriegsmonat ist nämlich auch die Opposition im eigenen Land wieder etwas aus dem Kriegsschock erwacht. In Kiew brach der alte Streit zwischen dem Staatspräsidenten und dem Bürgermeister Vitali Klitschko wieder auf. Selenskyj warf Klitschko vor, die Hauptstadt schlecht auf die Stromausfälle nach russischen Infrastruktur-Attacken vorbereitet zu haben. Auch im Streit mit seinem Vorgänger Petro Poroschenko von der Oppositionspartei „Europäische Solidarität“ tat sich wieder etwas. Selenskyj ließ orthodoxe Klöster durchsuchen und warf Poroschenko vor, vor der pro-russischen Stimmung unter den Mönchen bis 2019 den Kopf in den Sand gesteckt zu haben. Poroschenko soll so russische Propaganda und russische Terror-Schläfer mitten in der Ukraine begünstigt haben.
Dass Selenskyj den Krieg auch zu Schlägen gegen die eigene Opposition und zu einer Stärkung seiner eigenen Medienmacht rund um den Fernsehsender 1+1 nutzt, ist unter kritischen Beobachtern in Kiew unbestritten. Doch im Unterschied zu seinem Amtskollegen Putin kann es sich Selenskyj offenbar eben doch leisten, sein Land für ein paar Tage zu verlassen. Putin fliegt hingegen nur noch kurze Strecken, mal nach Minsk, mal nach Astana, beide heutigen Hauptstädte lagen einst in der Sowjetunion.
Selenskyj dagegen drängt nach Westen, zu Freiheit und Gerechtigkeit, zu einem baldigen Kriegsverbrechertribunal nicht nur alleine gegen die Köpfe der „Sonderoperation Ukraine – Abteilung Süd“.
De Maart
Ukraine kaputt, Europa wirtschaftlich am Boden, US-Waffenindustrie produziert... good job, Uncle Sam!
Das Weihnachtsgeschenk in Form von Patriots wird von Moskaus Hyperschall Sylvester Böller ausgeschaltet werden. Der Krieg wird sich auf ganz Europa ausweiten. Die USA machen einen tollen Deal! Great again wenn ein Konkurrent weniger auf der Welt.
Wenn er klug ist hat der Schauspieler ein Double zu Biden geschickt.