Corona-IndikatorenDas Zahlenwirrwarr in der Großregion

Corona-Indikatoren / Das Zahlenwirrwarr in der Großregion
Stau wie vor der Corona-Krise gibt es derzeit in Luxemburg noch nicht Symbolfoto: Editpress

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Luxemburg öffnet sich aus dem Lockdown, weil die Infektionszahlen im Land rückläufig sind. Aber: Fast die Hälfte der Menschen, die in Luxemburg arbeiten, wohnen hier nicht – sondern stellenweise in Gegenden in der Großregion, die von der Epidemie viel schwerer getroffen wurden. Bei der Erhebung der Zahlen gibt es von Land zu Land große Unterschiede. 

Luxemburgs Regierung nimmt immer mehr Lockdown-Einschränkungen langsam zurück. Das Land hat die Krise bis jetzt gut bewältigt, ist die Message. Die Statistik spricht dafür: In den vergangenen sieben Tagen sind bis Mittwoch nur 53 Corona-Neuinfektionen verzeichnet worden. Hinzu kommt, dass das Testvolumen bis zum 19. Mai auf bis zu 20.000 Tests erweitert werden soll. 

Aber: Von Luxemburgs Lockerungen sind nicht nur die Menschen betroffen, die im Land leben, sondern auch die Grenzgänger, die hier arbeiten. Rund 200.000 Menschen sind vor der Krise aus Frankreich, Deutschland und Belgien zur Arbeit nach Luxemburg gekommen. Und manche Regionen der Großregion waren von der Corona-Epidemie ungleich härter getroffen als Luxemburg. 

Der weitaus größte Teil der Arbeitnehmer mit Wohnsitz im Ausland lebt in den beiden französischen Départements Moselle und Meurthe-et-Moselle, laut der Luxemburger Arbeitsagentur 98.450 Menschen. Und die Corona-Epidemie hat insbesondere im Département Moselle gewütet. 738 Corona-Tote melden die Behörden dort (Stand: 11. Mai). Das sind die drittmeisten Todesfälle aller französischen Départements – nur in Paris und einem Département der Île-de-France gibt es mehr. Meurthe-et-Moselle liegt in der französischen Corona-Sterbestatistik auf Platz zehn – von insgesamt 101 Départements. 

Zahlen schlecht vergleichbar

Aber selbst diese Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Denn weder gibt es in der Europäischen Union eine wissenschaftlich einheitliche Erhebung von Infektionen und Sterbefällen noch eine zentrale Datensammlung, die wenigstens die bekannten Zahlen auf regionale Ebene herunterbricht. „Das Sammeln und Teilen von Daten – inklusive der Daten auf regionaler Ebene – liegt im Verantwortungsbereich der Mitgliedstaaten“, sagt ein Sprecher der EU-Kommission dazu auf Tageblatt-Anfrage.

Und die Mitgliedstaaten teilen offenbar nicht allzu viel. So ist auch zu erklären, dass das „European Centre for Disease Prevention and Control“ (ECDC) – jene Institution, die in der EU die Kontrolle übertragbarer Krankheiten zum Auftrag hat – mehr Daten über Infektionszahlen in Angola oder Usbekistan liefert als über Lothringen oder Namur. Das Zentrum muss sich stellenweise sogar die Daten auf Staatsebene selbst im Internet zusammensuchen. „Ein Team von Spezialisten stellt die Daten zusammen“, erklärte ein ECDC-Sprecher im April gegenüber dem Tageblatt. „Quellen sind unter anderem die Internetseiten der nationalen Gesundheitsbehörden.“

Problematisch ist zudem, dass die Länder unterschiedliche Faktoren überwachten. Bei der Kommunikation ihrer Statistiken gehen die vier Großregion-Länder Luxemburg, Deutschland, Frankreich und Belgien nämlich äußerst ungleich vor. Das deutsche Robert-Koch-Institut veröffentlicht auf Landkreisebene die Zahlen von Infektionen und Corona-Toten – aber nicht der Hospitalisierungen. Das belgische Gesundheitsinstitut liefert Daten der Infektionen und Krankenhausaufenthalte bis auf die Ebene der Provinzen – aber nicht der Toten. Das französische Gesundheitsministerium zeigt pro Département Tote und Hospitalisierungen – aber nicht die Zahl der Infektionen.

Sprich: Für Luxemburg, das mit seinen Nachbarregionen vernetzt ist, ist die Lage nicht gerade übersichtlich. „Die Gesundheitsdirektion übermittelt täglich die Zahlen von positiv Getesteten an die drei Nachbarländer“, sagt eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums gegenüber dem Tageblatt. Luxemburg erhalte umgekehrt Information von Deutschland, Belgien und Frankreich. Dass es aber keine einheitlichen Standards gibt, ist auch der Luxemburger Regierung bekannt: „Es gibt zurzeit keine gemeinschaftliche Definition der Indikatoren – auf EU-Level wird jedoch daran gearbeitet“, sagt die Ministeriumssprecherin. Eine Mitarbeiterin der Gesundheitsinspektion erklärt, dass Infektionszahlen aus allen Nachbarregionen in die Bewertung der Luxemburger Lage einfließen. Immerhin: Die Zahlen sind derzeit in allen Gegenden der Großregion glücklicherweise rückläufig. 

Belgien

In den „Daily Reports“ des staatlichen belgischen Gesundheitsinstituts Sciensano werden Daten bis hin zur Zahl der ECMO-Patienten geliefert – aber nicht die der Toten. Sciensano erklärt gegenüber dem Tageblatt: „Wir bekommen die Zahlen global von den Gesundheitsbehörden der jeweiligen Regionen übermittelt. Weshalb die Wallonie nicht die Zahl der Toten pro Provinz schickt, wissen wir nicht.“ Der Sprecher der zuständigen wallonischen Behörde AVIQ kann die Frage ebenfalls nicht beantworten. 

Frankreich

Noch dichter ist der französische Behördendschungel. Die Information, wie viele Infektionsfälle es in den beiden Luxemburger Nachbar-Départements gibt, kann keine der angefragten Behörden beantworten. Das hat offenbar seinen Grund: „Patienten, die Zeichen von Covid-19 zeigen, werden nicht mehr systematisch von einem Test bestätigt“, schreibt das Gesundheitsministerium in seinem „Point épidémiologique“. „Die tatsächliche Zahl der Fälle von Covid-19 in Frankreich ist daher höher als die geschätzte Zahl der bestätigten Fälle.“ Die Zahl der bestätigten Fälle in Frankreich spiegele daher nicht das tatsächliche Ausmaß der Epidemie wider.

Deutschland

Die deutschen Bundesbehörden veröffentlichen zwar die Zahl der Infizierten und Toten auf Landkreisebene – aber nicht die der Hospitalisierungen. Das Robert-Koch-Institut – die Behörde, die die Coronadaten für die deutsche Bundesregierung verarbeitet – verweist auf Anfrage an die zuständigen Landesministerien im Saarland und in Rheinland-Pfalz. Das Gesundheitsministerium in Mainz kann die Daten zwar liefern – aber nur auf Anfrage hin. „Warum wir die nicht veröffentlichen, kann ich nicht sagen“, sagt eine Sprecherin. 

Anders im Saarland: Das Gesundheitsministerium des Landes veröffentlicht jeden Tag um 18 Uhr eine kleine Meldung, die die Zahlen von Toten, Infizierten und denjenigen, die aktuell im Krankenhaus sind, umfasst.