EditorialDas Scheinheiligtum – warum wir (zu Recht) immer unbedeutender werden 

Editorial / Das Scheinheiligtum – warum wir (zu Recht) immer unbedeutender werden 
Bringt Journalisten um, hat Europa aber dafür von Cristiano Ronaldo erlöst: seine königliche Despotierlichkeit, Mohammad bin Salman bin Abdulaziz Al Saud, Oberkerkermeister des nach ihm benannten Nationalstaats, während er die Hand von Indiens Premierminister Narendra Modi (nicht im Bild) schüttelt Foto: Evan Vucci/AP Pool/AP/dpa

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Es war eine Nachricht, die das westliche internationale Parkett in den vergangenen Wochen in Aufregung versetzt hat: Das Brics-Staatenbündnis – von dessen Existenz vorher eigentlich gar nicht so viele wussten – bekommt Zuwachs. „Die Erweiterung könnte zu einer Gefahr für den Multilateralismus werden“, sagte Jean Asselborn im Land. „Die Welt braucht nicht mehr Länder, die unter chinesischen und russischen Einfluss geraten“, meinte der MIT-Professor Daron Acemoglu im Tageblatt. „Xi Jinping versucht, andere Länder im großen Kampf gegen die USA zu mobilisieren“, vermutete die schwedische Zeitung Dagens Nyheter. Und die Irish Times bilanzierte: „Eine neue Welt ist im Entstehen.“

Zugegeben: Wirft man einen Blick auf die Besetzung der erweiterten Brics-Band, können bei aufrechten Demokraten gewisse Zweifel daran aufkommen, ob da tatsächlich überall dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit Genüge getan wird. Die Palette der Altstars setzt sich zusammen aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Und in der Riege der sechs Neuzugänge finden sich zwei mehr oder weniger absolutistische Monarchien (Saudi-Arabien, VAE), eine von durchgedrehten Mullahs geführte islamische „Republik“ (Iran), eine Militärdiktatur (Ägypten), ein Land im Bürgerkrieg (Äthiopien) und – Argentinien.

Auf den ersten Blick ist der neue Staatenhaufen zumindest in Sachen Werkzeugkiste so eine Art A-Team der internationalen Beziehungen. China bringt Manpower und Knarren, Indien die Computerfritzen, Russland, Südafrika und die Araber die Bodenschätze, Brasilien und Argentinien bequemen Zugang zur westlichen Hemisphäre. In den elf Ländern lebt insgesamt fast die Hälfte des Planeten. Wer braucht bei so vielen Argumenten noch westliche Werte?

Sogar der vom Westen so heiß geliebte brasilianische Präsident Lula ließ sich vor lauter Euphorie über die in Reichweite scheinende Weltherrschaft zu nicht so ganz lupenreinen Aussagen hinreißen. Auf dem G20-Gipfel sicherte er seinem Brics-Kumpel Wladimir Putin lautstark Straffreiheit bei der Einreise auf sein Territorium zu. Das, obwohl gegen diesen bekanntermaßen ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt. Was Lula – zumindest auf dem Papier – gewisse rechtliche Probleme bescheren könnte, ist das Land, das er anführt, doch seit 2002 Mitglied im Strafgerichtsverein. 

Lula erinnerte sich kurze Zeit später zwar kleinlaut an gewisse Prinzipien aus der grauen Vorzeit („Es ist die Justiz, die entscheidet, es ist nicht die Regierung“), versäumte aber nicht, im gleichen Atemzug die absolut falschen Vergleiche zu ziehen („Schwellenländer unterzeichnen oft Dinge, die nachteilig für sie sind“). Wenn das mal nicht dem schlechten Einfluss seiner Brics-Kollegen geschuldet ist.

Bei aller Empörung über diese Schurken sollten aber drei Dinge nicht vergessen werden. Erstens: Sämtliche Mitgliedsländer – ob von Despoten geführt oder nicht – sind als unabhängige Nationalstaaten international anerkannt. Und haben jedes Recht, sich zu welchem Bündnis auch immer zusammenzufinden. Fragen Sie die Vereinten Nationen.

Zweitens: Dass Länder wie Indien und China überhaupt in einem Forum zusammenarbeiten, ist vielleicht nicht die allerschlechteste Nachricht. Denn die beiden sind sich normalerweise nicht nur spinnefeind, sondern verfügen auch über die eine oder andere Atombombe.

Und dann wäre da noch drittens das gute alte „Kopf-ab-Regime“ der Familie Saud. Kriegstreibende Terrorismusfinanzierer, die von Journalistenmord über Oppositionellen-Auspeitschen bis hin zum Anwerben von Cristiano Ronaldo so ziemlich jedes Menschenrecht verletzten, das bis jetzt niedergeschrieben wurde – aber an denen dank gewisser Interessen europäischer Autofahrer und deutscher Waffenfabriken wie durch ein Wunder alle Kritik abperlt.

Ergo: Ist die Aufregung rund um Brics und Brics Extended gerechtfertigt? Mit Sicherheit. Darf der alte Westen mit der Moralkeule schwingen? Mit Sicherheit nicht. Und leider ist genau das der Grund, warum wir uns bei den vielen guten Gedanken, die wir uns machen, argumentatorisch immer auf der Verliererseite wiederfinden werden. Und auch, warum bei all unserer „moralischen Überlegenheit“ am Ende, wenn unser wirtschaftlicher Einfluss erst einmal komplett verschwunden ist, möglicherweise nicht mehr als eine Randnotiz in der Geschichte von uns übrig bleiben wird.

de Jang den Daafen
14. September 2023 - 9.37

Was und wem soll man noch glauben ?

F.Wagner
13. September 2023 - 18.47

Sicher nach Irak, Afghanistan und eigentlich schon seit Vietnam kann Amerika und somit der Westen der das mitgetragen hat, nicht mehr die Moralkeule schwingen. Diese Kriege waren so illegal als der Ukrainekrieg!!

Sam
13. September 2023 - 18.39

Dann lassen sie sich eine Idee einfallen wie wir ohne Arabien, Brasilien, Russland, China und Indien eine strahlende Zukunft haben. Wir haben doch hochdiplomierte Beamte, da müsste doch eine Idee zustande kommen. Ach ich hab's, wir senken die Arbeitszeit auf 1 Stunde pro Tag und verteilen bedingungsloses Grundeinkommen. Und machen Kampagnen gegen Konsum.

Danielle
13. September 2023 - 18.24

Fro stellt sech wien gett dann den Chef vun denen All? Den Chines oder Russ oder Inder oder Saudier….. Do traut jo keen dem Aneren an alleguer wellen Chef gin….Mol ofwarden….

fraulein smilla
13. September 2023 - 12.06

Macron hatte ja sein Intresse gezeigt am BRICS Treffen teilzunehmen . " Nous devons réduire notre dépendance aux Etats Unis " ( Macron ,April 2023 ) Ich haette gern die Meinung von Bettel oder unseres wortgewaltigen Aussenministers hierzu gehoert .

luxmann5656
13. September 2023 - 10.59

Zwischen dem brics schurken saudi arabien das unbequeme journalisten umbringen laesst und den G7 helden USA und GB ,welche gleiche journalisten ohne grund einsperren und langsam verenden lassen scheint der unterschied nicht erheblich. Was auch erklaeren duerfte dass MBS beste kontakte nach London und Washington pflegt und von dort jede waffe bekommt die er sich wuenscht.

Robert Hottua
13. September 2023 - 9.43

Ab 1933 hat das unfehlbare päpstliche "Luxemburger Wort" eine internationale Machtkonstellation befürwortet und dementsprechend wohl auch finanziell unterstützt, die eine eurasische Dominanz ohne demokratische, dekalogische und hippokratische Werte angestrebt hat. Ein Buch zu diesem Thema: "Wenn H. den Krieg gewonnen hätte", von Ralph GIORDANO. MfG Robert Hottua