ForumDas Kämpferherz des Marcel Schlechter: Ein Nachruf

Forum / Das Kämpferherz des Marcel Schlechter: Ein Nachruf
Marcel Schlechter im Jahr 2018 Foto: Editpress-Archiv/Alain Rischard

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Mit dem Ableben von Marcel Schlechter verliert Luxemburg eine schillernde politische Persönlichkeit. Die alle „up and downs“ des politischen Lebens erlebte, ohne je ein Kind der Traurigkeit zu werden.

Marcel, am 9. Juli 1928 in einer Arbeiterfamilie geboren, musste sich schon in den Kriegsjahren sein eigenes Geld verdienen. Zuerst wurde er Gärtner, wechselte dann zur Schifflinger Schmelz, ehe er Busfahrer für die CFL wurde. Er war gewerkschaftlich organisiert, zuerst im LAV, später im Landesverband, wo er zeitweilig als Präsident der ACAL, dem Syndikat der Berufsfahrer, amtierte. 1957 trat er in die LSAP ein. In den Gemeinderat von Echternach gewählt, war er bis 1969 Schöffe.

Sein Herz schlug links. In der LSAP entbrannte nach dem Auseinanderbrechen der Regierung Werner-Cravatte im Jahr 1969 ein Richtungskampf in der Opposition, der mit einer Spaltung und dem Auszug der „Sozialdemokraten“ endete. In jenen Jahren gehörte Marcel Schlechter, der 1967 für Victor Bodson ins Parlament nachgerückt war, in der Parteileitung zu den linken Reformern um Robert Krieps, Raymond Kirsch und mir. Nach der Spaltung wurde Marcel Schlechter neben Aly Schroeder zu einem der führenden Akteure, die den LSAP-Ostbezirk aufgebaut haben. Er wurde 1974 erneut in die Chamber gewählt und 1979 und 1984 wiedergewählt.

Äußerst aktiver Minister 

Als die Sozialisten 1984 nach ihrem überzeugenden Wahlsieg bei der Regierungsbildung nicht zu übergehen waren, wurde Marcel Schlechter Minister in der ersten Santer-Poos-Regierung. Im Generalrat der LSAP setzte er sich in einer geheimen Wahl gegen einen anderen Gewerkschaftler durch: René Hengel.

In den nachfolgenden fünf Jahren war Marcel ein äußerst aktiver Minister für Transport, Energie und Öffentliche Arbeiten. Besonders im Bautenministerium sorgte der Echternacher dafür, dass Luxemburg begann, seinen enormen Rückstand in Sachen Autobahnen wettzumachen. Er stand hinter den ersten Unterführungen, zum Beispiel beim Waldhaff auf der Strecke nach Echternach. Er setzte gegen den Widerstand vieler die Unterführung unter dem rond-point Schuman nach Kirchberg hin durch. Er startete die Autobahn Luxemburg – Trier und begann mit der Umgehungsstraße der Hauptstadt.

Marcel Schlechter war ein typischer Vertreter der Arbeiterklasse, der sich als erfolgreicher Amateur-Boxer nach oben hievte, ohne je seine politischen Wurzeln zu verlieren

Dennoch wurde ihm nach den Wahlen von 1989 eine Weiterführung seiner Arbeit nicht vergönnt. In jenen Jahren gab es noch keine staatliche Parteien-Finanzierung. Alle Parteien waren für ihre Wahlkämpfe auf „edle“ Spender angewiesen. Als amtierender Bauten-Minister hatte sich Marcel in einem Brief an alle großen Baufirmen mit der Bitte um finanzielle Unterstützung gewandt. Leider verschickte sein Mitarbeiter Erwin Kalmes den „Heesche-Bréif“ auf offiziellem Ministerpapier. Kurz vor der Wahl veröffentliche das liberale Journal das Schreiben. Ein nachhaltiger Skandal war geboren.

CSV und LSAP wollten ihre erfolgreiche Zusammenarbeit fortsetzen. Jacques Poos eröffnete Marcel Schlechter, er sei als Minister unhaltbar, da unweigerlich die Opposition bei jedem Bautenprojekt die Frage aufwerfen würde, ob der mit der Ausführung beauftragte Unternehmer auch zu Marcels „Spendern“ gehöre.

Marcel war verbittert. Musste sich aber fügen. Ich war für die neue Regierung als Wirtschaftsminister vorgesehen. Musste dann ungewollt die Ministerien von Marcel zusätzlich übernehmen, wo ich beim Antreten seiner Erbschaft das Ausmaß seiner Leistung richtig ermessen konnte.

In jenen Jahren fanden gleichzeitig mit den nationalen Wahlen noch Wahlen für das Europäische Parlament statt. Alle Parteien operierten mit Doppelkandidaturen. Marcel war zwar nicht direkt ins EP gewählt. Nach dem viel zu frühen Tod von Robert Krieps rutschte er 1990 ins EP nach. Er wurde 1994 als europäischer Abgeordneter bestätigt, um 1999 seine politische Karriere dort zu beenden. Wegen seiner Leutseligkeit war Marcel im ganzen Parlament beliebt. Er war ein Star nicht nur an der Bar, sondern führte die gesamteuropäische Präsenzliste für die Teilnahme an den Sitzungen an zweiter Stelle an.

Die Wichtigkeit, „uerdentlech“ auszusehen

Mit Marcel Schlechter verbinden mich viele Kumpaneien. Er war mir ein väterlicher Freund. Ich war immer ein Krawatten-Muffel. Anders als heute, wo selbst ein Luc Frieden eine Wahlkampagne ohne Schlips absolvieren konnte, gehörten 1984 Krawatten zur Staatspflicht. Als wir damals zur Vereidigung der Regierung Santer-Poos vor Großherzog Jean antraten, band Marcel Schlechter mir meine erste Krawatte um. Damit, wie er sagte, ich „uerdentlech“ aussehen würde …

Nach jeder Wahl wird über den Mangel an Arbeitern unter den Abgeordneten philosophiert. Marcel Schlechter war ein typischer Vertreter der Arbeiterklasse. Der sich als erfolgreicher Amateur-Boxer nach oben hievte, ohne je seine politischen Wurzeln zu verlieren. Als nach einer Petition die Forderung anstand, die neue Verfassung einem nationalen Referendum zu unterlegen, gehörte Marcel Schlechter zu den wenigen Bürgern, welche sich in ihrer Gemeinde in das Register für ein Referendum eintragen ließen.

Nicht nur in der LSAP und beim Landesverband wird das Gedenken an eine sympathische Politik-Figur bleiben. Viele Luxemburger trauern heute um den mit 95 Jahren verschiedenen Marcel Schlechter.

Robert Goebbels ist ein ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter
Robert Goebbels ist ein ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter Foto: Editpress/Didier Sylvestre
den trottinette josy
14. November 2023 - 9.22

De Marcel Schlechter war alles anescht wéi e "Salonssozialist ", dat erklärt och déi gutt Aarbecht déi hien als Minister geleescht huet. Hie war nie ofgehuewen a war dem Bierger no, vill méi no wéi seng Nofolger.

liah1elin2
13. November 2023 - 17.59

@JJ Schön und rührend zugleich, danke JJ

JJ
13. November 2023 - 17.35

1970. Ein mit Schülern vollbesetzter Bus fährt zwischen dem Echternacher Gymnasium Richtung Wasserbillig. In Rosport fliegt ein Stein in die Windschutzscheibe des Busses und diese explodiert in tausend Stücke. Der ebenso umsichtige wie souveräne Busfahrer hält den Bus unter Kontrolle trotz der Schreie der Schüler und vermeidet so die Katastrophe. Der Name des Busfahrers: Marcel Schlechter. Danke Marcel- ich bin heute 68 und kerngesund.

liah1elin2
13. November 2023 - 16.42

Glücklich wer ihn gekannt oder begleitet hat und grosse Hochachtung vor seinem Lebenswerk.

Leila
13. November 2023 - 11.41

"Kämpferherz" ist gut beschrieben! Eine verdiente Würdigung für den sicherlich beliebtesten, unvergleichlichen Politiker und Mensch seiner Ära!