Dienstag21. Oktober 2025

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GesundheitspolitikCSV wollte jahrelang ein Pandemiegesetz – jetzt soll etwas anderes kommen

Gesundheitspolitik / CSV wollte jahrelang ein Pandemiegesetz – jetzt soll etwas anderes kommen
Die ehemalige Gesundheitsministerin Paulette Lenert (l.) und ihre Nachfolgerin Martine Deprez Fotos: Editpress/Farbrizio Pizzolante

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Jahrelang forderte die CSV ein Pandemiegesetz, im Oktober 2023 schrieb sie es ins Regierungsprogramm. Ihre Gesundheitsministerin hat vergangenes Jahr das Wording geändert. Sie will jetzt ein Gesetz über die öffentliche Gesundheit. Bis wann der Entwurf vorliegen soll, ist nicht bekannt.

„Här President, mir hunn Iech elo just gerett“, sagte am 2. Mai 2024 der LSAP-Abgeordnete und frühere Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo zu Kammerpräsident Claude Wiseler (CSV) – am Ende einer Aktualitätsstunde über das internationale WHO-Übereinkommen zu Pandemien. Kurz zuvor hatte das Parlament eine vom damaligen Grünen-Abgeordneten François Bausch eingereichte und von LSAP, Linken und Piraten unterstützte Motion einstimmig angenommen. Die Abgeordneten lachten über Di Bartolomeos ironische Bemerkung. Im Nachhinein sollte sich dessen „Rettungsaktion“ jedoch als politischer Fehler erweisen.

In ihrer ursprünglichen Fassung forderte François Bauschs Motion die CSV-DP-Regierung dazu auf, eine unabhängige Analyse der Wirksamkeit der zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie ergriffenen Maßnahmen einzuleiten – parallel zur Fertigstellung eines „Pandemiegesetzes“ auf der Grundlage des von der Vorgängerregierung erarbeiteten Vorentwurfs. Vor dem Regierungswechsel im November 2023 herrschte in der Abgeordnetenkammer weitgehende Einigkeit darüber, dass ein solches Pandemiegesetz in Luxemburg dringend benötigt werde. Weil die Covid-Gesetze, mit denen die damalige DP-LSAP-Grünen-Regierung im Juli 2020 den Ausnahmezustand beendet hatte, dem „Directeur de la Santé“ weitreichende Vollmachten zugestanden sowie meist unter hohem Zeitdruck verfasst, vom Staatsrat begutachtet und von der Kammer angenommen worden waren („mit heißer Nadel gestrickt“), war das Parlament der Ansicht, dass ein Pandemiegesetz, das das „Pandemiegeschehen“ integral abdeckt, mehr Rechtssicherheit bieten würde.

Bevor die Corona-Seuche von der WHO offiziell für beendet erklärt wurde, hatte vor allem der gesundheitspolitische Sprecher der damaligen Oppositionspartei CSV, Claude Wiseler, immer wieder ein Pandemiegesetz gefordert. „Mir fannen, datt et elo Zäit ass, fir déi Diskussioune ronderëm e Pandemiegesetz unzegoen an datt mer eis och d’Méiglechkeet ginn, fir esou schnell wéi méiglech an en anere Kontext eranzekommen“, sagte er am 15. Juli 2021, bevor das Parlament das 21. Update des Covid-Gesetzes verabschiedete. Und er forderte in einer Motion, dass die DP-LSAP-„gréng“-Regierung während des Sommers an einem Entwurf für ein Pandemiegesetz arbeiten solle. Die damalige LSAP-Gesundheitsministerin Paulette Lenert wandte ein, dass man sich erst „beraten und extern beleuchten“ lassen wolle, um herauszufinden, wie die bestehende Gesetzgebung gegriffen habe. Wiselers Motion wurde schließlich von den Mehrheitsparteien abgelehnt.

Claude Wiseler wiederholte seine Forderung in regelmäßigen Abständen. „Mir si wierklech der Meenung, datt d’Aart a Weis, wéi mer hei fueren, a sech net ubruecht ass“, sagte der CSV-Abgeordnete am 29. Juni 2022, bevor das Parlament das 30. Covid-Gesetz, mit dem viele Einschränkungen wieder aufgehoben wurden, einstimmig verabschiedete. „A mir hätte gär e Pandemiegesetz, an deem d’Aart a Weis, wéi déi Reegelen opgestallt gi vun der Regierung a vun der Chamber, anescht gereegelt gëtt.“

„Dans les meilleurs délais“

Am 23. November 2022, als die Kammer über den OECD-Bericht debattierte, der Luxemburg bescheinigte, die Covid-Seuche vergleichsweise gut gemanagt zu haben, stellte Wiseler im Rahmen einer Interpellation sieben konkrete Punkte vor, die seiner Meinung nach in ein Pandemiegesetz gehören und sich am belgischen Gesetz orientierten. Neben der Definition der Ursachen und der Ausrufung des Notstands, der von der Abgeordnetenkammer bestätigt werden müsse, wollte die CSV auch die Rolle der Gemeinden und des Parlaments sowie verwaltungs- und strafrechtliche Maßnahmen in dem Gesetz regeln. „Mir hätte gär e Pandemiegesetz. Mir hätte gär eng detailléiert Evaluatioun, déi eis déi eenzel Moossnamen analyséiert“, verlangte Wiseler am Ende seiner Interpellation.

Das „Pandemiegesetz“ ist keine politische Erfindung der CSV: Die konsultative Menschenrechtskommission forderte es; Grüne, ADR, Piraten und Linke sprachen sich im Parlament dafür aus. Doch niemand warb so vehement dafür wie Claude Wiseler. Am 23. März 2023 – rund sechs Monate vor den Kammerwahlen – nahm die Abgeordnetenkammer einstimmig eine von ihm eingereichte Motion an, in der sie die Regierung dazu auffordert, „dans les meilleurs délais“ ein Pandemiegesetz auszuarbeiten und ein unabhängiges Expertengremium einzusetzen, das die Wirksamkeit und die Verhältnismäßigkeit der Covid-Maßnahmen untersuchen soll.

Der frühere gesundheitspolitische Sprecher der CSV, Claude Wiseler, ist nicht Gesundheitsminister, sondern Kammerpräsident geworden
Der frühere gesundheitspolitische Sprecher der CSV, Claude Wiseler, ist nicht Gesundheitsminister, sondern Kammerpräsident geworden Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Paulette Lenert kam dieser Aufforderung in der Folge nach. Sie ließ für ein Pandemiegesetz einen Vorentwurf ausarbeiten, der es laut LSAP in eine interministerielle Arbeitsgruppe, jedoch nie in den Regierungsrat schaffte. Weil der Vorentwurf erst kurz vor den Wahlen vom 8. Oktober 2023 fertig wurde, hätten DP und Grüne ihn abgewiesen, sagte Lenert, inzwischen LSAP-Abgeordnete, kürzlich im Gespräch mit dem Tageblatt. Anfang Mai 2023 hatte die WHO den Corona-Gesundheitsnotstand aufgehoben.

Trotzdem schaffte es das Pandemiegesetz in die Wahlprogramme: Nicht in das der LSAP, doch in das von CSV und DP (und Grünen). Folgerichtig fand es auch Einzug in das Koalitionsabkommen der CSV-DP-Regierung: „Tout en respectant les libertés fondamentales, le Gouvernement élaborera une ‚loi pandémie’ afin de garantir la plus grande réactivité possible en cas d’une nouvelle pandémie“, heißt es auf Seite 100.

Brücke geschlagen

Martine Deprez war an der Ausarbeitung des Koalitionsabkommens im Schloss Senningen beteiligt. Sie saß für die CSV in der Arbeitsgruppe „Santé“, allerdings nur in der Unterabteilung „Sécurité sociale“. Am 17. November 2023 wurde sie als Ministerin für Gesundheit und Sozialversicherung vereidigt. Dreieinhalb Monate später sagte sie dem Wort in einem Interview: „Wir sind uns einig, dass ein Pandemiegesetz alleine nicht reicht, sondern das Gesetz zur öffentlichen Gesundheit, das recht alt ist, überarbeitet werden muss.“ Denn in der Pandemie habe man nicht gewusst, wer wofür zuständig ist, und das System habe nicht direkt hochgefahren werden können. Auch die Pandemie-Vorstufen müssten geregelt werden, sie sehe sich natürlich an, was schon ausgearbeitet wurde, und werde es ausbauen, sagte Deprez.

Ihre Aussage im Wort sorgte für Verwirrung. Offenbar wusste in der Folge niemand so genau, was unter einem Gesetz zur öffentlichen Gesundheit eigentlich zu verstehen ist. Als das Parlament am 2. Mai 2024 über die eingangs erwähnte Motion von François Bausch diskutierte, schlug der inzwischen verstorbene CSV-Abgeordnete Max Hengel vor, in der Motion den Begriff „Pandemiegesetz“ (loi pandémie) durch „Gesetz über die öffentliche Gesundheit“ (loi santé publique) zu ersetzen und eine Bestandsaufnahme der während der Corona-Pandemie getroffenen Maßnahmen in das „exposé des motifs“ des zukünftigen Gesetzentwurfs zu integrieren. Die anderen Parteien zeigten sich damit einverstanden, sodass die Motion einstimmig angenommen wurde. Mars Di Bartolomeo hatte zuvor eine Brücke geschlagen zwischen Paulette Lenerts Vorentwurf für das von Claude Wiseler zwei Jahre lang geforderte Pandemiegesetz und dem breit aufgestellten „Gesetz Santé publique“, das Lenerts Nachfolgerin Martine Deprez nun plant. Damit hatte Mars Di Bartolomeo tatsächlich nicht nur den Kammerpräsidenten Wiseler, sondern auch die CSV-DP-Regierung politisch gerettet.

Gesundheitsministerin Martine Deprez mit Premier Luc Frieden vor einem Jahr beim CSV-Kongress
Gesundheitsministerin Martine Deprez mit Premier Luc Frieden vor einem Jahr beim CSV-Kongress Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Was ein Gesetz über die öffentliche Gesundheit beinhalten soll und inwieweit es sich von einem Pandemiegesetz unterscheidet, war immer noch unklar. Bevor die Kammer das Covid-Gesetz für den Fall der Fälle erneut um zwei Jahre verlängerte, berichtete am 20. Juni das Wort: „Obwohl die WHO die Pandemie für beendet erklärte, sollen die gesetzlichen Maßnahmen zum Kampf gegen Covid bestehen bleiben, bis ein Pandemie-Gesetz steht – Gesetz zur öffentlichen Gesundheit heißt es jetzt.“ Eine Woche später, als die Verlängerung des Covid-Gesetzes im Parlament – erneut unter Zeitdruck – diskutiert wurde, riss Mars Di Bartolomeo die Brücke zwischen der aktuellen und der Vorgängerregierung, die er am 2. Mai gebaut hatte, wieder ein. „Vläicht hätte mer dëst Gesetz guer net méi gebraucht, wa mer den Avant-projet vun engem Pandemiegesetz, dee vun der Gesondheetsministesch Paulette Lenert ausgeschafft gouf a kuerz virun de Walen d’lescht Joer dem Regierungsrot virlouch, weider instruéiert hätten“, sagte Di Bartolomeo. Und forderte die CSV-DP-Regierung dazu auf, sich an Wiselers Motion vom 23. März 2023 zu halten, Paulette Lenerts Vorentwurf für ein Pandemiegesetz dem Kammerausschuss vorzulegen und die Arbeiten daran fortzusetzen.

Vläicht hätte mer dëst Gesetz guer net méi gebraucht, wa mer den Avant-projet vun engem Pandemiegesetz, dee vun der Gesondheetsministesch Paulette Lenert ausgeschafft gouf a kuerz virun de Walen d’lescht Joer dem Regierungsrot virlouch, weider instruéiert hätten

Mars Di Bartolomeo (LSAP)

„Sechs Seiten Sammelsurium“

Doch der Sinneswandel der LSAP kam zu spät. Martine Deprez lehnte das mit dem Verweis auf die Motion vom 2. Mai 2024 ab, genauso wie die Einsetzung eines unabhängigen Expertengremiums zur Untersuchung der Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit der Covid-Maßnahmen, die Claude Wiseler vor zwei Jahren in seiner Motion gefordert hatte. „Mir hunn effektiv schonn e puer Mol gesot, an ech hunn den Optrag vun der Regierung kritt, dat dann nach eng Kéier ze soen, datt mir déi Analys maachen am Kader vun där Ausschaffung vun där Loi pandémie, déi dann elo net méi Loi pandémie heescht, mee Loi santé publique, well mer se musse méi wäit opmaachen“, sagte Martine Deprez am 27. Juni in der Kammer. Lenerts Vorentwurf habe lediglich sechs Seiten und sei ein intern zusammengestelltes „Sammelsurium vu Saachen, déi an deenen 30 Covid-Texter iergendwann opgetaucht sinn“. Mit anderen Ministerien sei er nicht abgesprochen gewesen, behauptete Deprez, nicht einmal der Auslöser der Pandemie sei in dem Vorentwurf beschrieben. Aufgrund dessen habe sie beschlossen, das Wording von „Loi Pandémie“ in Loi Santé publique“ zu ändern. In ihrem eigenen Gesetzentwurf wolle sie das den Covid-Gesetzen zugrunde liegende Gesetz von 1980 über die „Direction de la Santé“ und das Gesetz über ansteckende Krankheiten „op de Leescht huelen“.

Paulette Lenert wies Deprez‘ Behauptungen zurück und bedauerte, dass die aktuelle Gesundheitsministerin es ablehne, dem parlamentarischen Gesundheitsausschuss den Vorentwurf vorzulegen, damit die Kammer sich selbst ein Bild davon machen könne. Sie unterstütze das Gesetz über die öffentliche Gesundheit, doch dessen Ausarbeitung koste viel Zeit und sei sicher nicht in einem Jahr abgeschlossen, sagte Paulette Lenert.

Sechs Monate später ging Martine Deprez erneut in die Offensive: Dem Lëtzebuerger Land sagte sie am 10. Januar in einem Interview, sie habe keinen „fertigen Entwurf für ein Pandemiegesetz“ im Gesundheitsministerium gefunden. Zwei Wochen später wies sie eine Motion ihrer Vorgängerin zur Wiederaufnahme der Arbeiten am Vorentwurf zum Pandemiegesetz erneut mit dem Hinweis auf die Motion vom 2. Mai 2024 ab und erklärte im Parlament erneut ihr geplantes Gesetz zur öffentlichen Gesundheit, „wou mer vum éischte Foyer d’infection un bis dee leschten Dag wou eng Pandemie ophält, alles ofbilden, an net nëmmen d’Situation de pandémie geréieren“.

„Der Kranke leistet nichts“

Ob Paulette Lenerts Vorentwurf für ein Pandemiegesetz diese Anforderungen tatsächlich nicht erfüllt, ist nicht nachprüfbar. Auf Tageblatt-Nachfrage verweigerte das Gesundheitsministerium die Herausgabe des Texts. Es begründete dies damit, dass der Vorentwurf nur „provisorisch“ und „net finaliséiert“ sei. Eher bedeckt hält das Ministerium sich auch zu Deprez‘ nun geplantem Gesetz. Es gehe auf alle Bereiche der öffentlichen Gesundheit ein, „vun de Préventiounsmoossnamen iwwer d’veille sanitaire en passant par d’médecine scolaire“, heißt es in einer schriftlichen Antwort von vergangener Woche. Auch Infektionskrankheiten würden behandelt. Im Vergleich mit einem Pandemiegesetz habe ein Gesetz über die öffentliche Gesundheit ein viel breiteres Spektrum und decke darüber hinaus die verschiedenen Phasen eines pandemischen Zyklus ab wie Prävention, Risiko-Überwachung und Epidemien-Management: „Esou e Gesetz wäert awer och Bestëmmungen enthalen, di méi allgemeng mat der Preventioun vu Gesondheetsrisiken, hirer séierer Detektioun a Gestioun ze dinn hunn“, so das Ministerium. Die Frage, bis wann sie ihren Entwurf für ein Gesetz über die öffentliche Gesundheit vorlegen wolle, ließ Deprez unbeantwortet. Dass es in Kraft tritt, bevor das aktuelle Covid-Gesetz im Juni 2026 ausläuft, darf bezweifelt werden.

Mehrere Länder haben bereits ein solches Gesetz – unter anderem Frankreich und Kanada. Auch Luxemburg hat eins, es stammt aus dem Jahr 1906 und regelt die Zuständigkeiten der Gemeinderäte in sanitären Notsituationen sowie den Zugang zu Quellen und Brunnen. Es sieht auch verpflichtende Impfbestimmungen vor und legt Strafen für Verstöße gegen Verordnungen fest. Diese „Loi concernant la protection de la santé publique“ wurde damals zur Bekämpfung von Epidemien wie Pocken und Tuberkulose erlassen. Das Gesetz hatte aber auch noch eine andere Funktion: „Das Interesse des Staats an der öffentlichen Gesundheitspflege hängt zusammen mit der sozialökonomischen Bedeutung der Gesundheit seiner Bürger“, klärte die „liberaldemokratische“ Bürger- und Beamten-Zeitung ihre Leser am 20. Januar 1906 zum Gesetz über den Schutz der öffentlichen Gesundheit auf. Auf der Gesundheit beruhe die geistige und wirtschaftliche Produktionskraft des Einzelnen wie des ganzen Volkes, mit der Kraft der Gesundheit steige und sinke die Erwerbsfähigkeit des Individuums: „Der Kranke leistet nämlich nichts für die Gesamtheit, er wird sogar häufig zu einem störenden und lästigen Element für diese, und mit der Häufigkeit und Ausbreitung der Krankheiten geht eine hohe Sterblichkeitsziffer Hand in Hand.“