Auf der einen Seite wird getanzt und gejubelt, auf der anderen geweint und protestiert. Die Spaltung Brasiliens hat sich bereits während der Amtszeit von Jair Bolsonaro (2019-2022) gezeigt und erst recht, nachdem er im Oktober 2022 abgewählt worden war und seine Anhänger am 8. Januar 2023 beim Amtsantritt von Luiz Inácio Lula da Silva den Kongress, den Präsidentensitz und das Oberste Gericht von Brasília stürmten.
Bolsonaro hat das südamerikanische Land verändert. Durch ganze Familien ging ein Riss, auch unter den in Luxemburg lebenden Brasilianern. Der Rechtsradikale zog zwar im Laufe seiner Amtszeit viel Unmut auf sich, kann sich aber bis heute auf treue Unterstützer verlassen – auf fanatische Bolsonaristas wie auf Gemäßigte. Wie einst Donald Trump erklärte der „Tropen-Trump“, er werde das Wahlergebnis nur im Falle seines Sieges anerkennen. Früh stellte sich die Frage, ob die demokratischen Institutionen stark genug seien.
Letzteres scheint nun der Fall zu sein: Eine fünfköpfige Kammer des Obersten Gerichtshofs sprach den Ultrarechten des geplanten Staatsstreichs schuldig und verurteilte ihn zu 27 Jahren und drei Monaten Gefängnis. Für den Schuldspruch stimmten vier Richter, einer dagegen. Außer Bolsonaro wurden weitere Angeklagte, darunter Minister und Generäle, zu Haftstrafen verurteilt. Es gilt als erwiesen, dass die Gruppe einen gewaltsamen Umsturz plante – mithilfe eines geheimen Waffenlagers und mit dem Plan, Lula zu ermorden. Brasilien sei fast zur Diktatur zurückgekehrt, erklärte Richter Alexandre de Moraes. Doch die Demokratie sei noch nie so stark gewesen, heißt es nach dem historischen Urteil in dem Land, in dem zuvor die Verantwortlichen für Verbrechen des Militärregimes (1964-1985) nie zur Rechenschaft gezogen worden waren.
Die Anwälte des Ex-Staatschefs werden dessen Verlegung in den Hausarrest beantragen. Die Verteidigung kündigte zudem an, in Berufung zu gehen. Derweil dürften die Proteste der Bolsonaristas schon an diesem Wochenende zunehmen. Auch international wird Druck aufgebaut: So sprach US-Außenminister Marco Rubio von „politischer Verfolgung“ und kündigte an, dass Washington „angemessen auf die Hexenjagd reagieren“ werde. Derweil erklärte Lula, Brasilien werde auf neue Zölle und Sanktionen aus den USA reagieren.
Die Justiz erwies sich mit dem Urteil bisher als standhaft. Der Bolsonarismus scheint geschwächt zu sein. Einige Beobachter befürchten eine Radikalisierung oder Zersplitterung, andere sehen bereits Nachfolger des Verurteilten in Stellung: etwa der Gouverneur von São Paulo, Tarcísio de Freitas, oder Bolsonaros Söhne Carlos, Eduardo und Flávio. Der Bolsonarismus ist nicht tot – und das Land gespalten.
De Maart

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