ForumBig Tech lässt sich nicht regulieren

Forum / Big Tech lässt sich nicht regulieren
Google, Meta und andere Player der Internetbranche scheinen sich dem Griff von Regulierungsbehörden entziehen zu können Foto: Josh Edelson/Robyn Beck/AFP

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Moderne Gesellschaften müssen seit über hundert Jahren mit exorbitanter Marktmacht umgehen. Aber ist die Macht, die Big Tech über uns hat, neuartig? Unterscheiden sich Google, Amazon oder Meta grundlegend von Standard Oil in den 1920er Jahren, IBM in den 1970er Jahren oder Walmart in jüngerer Zeit?

Wenn nicht, können wir Big Tech möglicherweise mithilfe von Rechtsvorschriften regulieren, die auf den Sherman Antitrust Act der Vereinigten Staaten von 1890 zurückgehen. Lina Khan, die Vorsitzende der US-Handelskommission Federal Trade Commission, bemüht sich tapfer, genau das zu tun.

Leider wird es nicht funktionieren. Big Tech ist so grundlegend anders, dass es nicht wie die Konzerne, Kartelle oder Mischkonzerne reguliert werden kann, mit denen wir es bislang zu tun hatten.

Adam Smiths Bild vom Kapitalismus als Marktgemeinde, in der familiengeführte Metzgereien, Bäckereien und Brauereien das Allgemeinwohl durch einen offenen, moralisch begründeten Wettbewerb fördern, hat keine Ähnlichkeit mit modernen Volkswirtschaften. Praktisch jeder Wirtschaftszweig – von der Eisenbahnindustrie, der Energiebranche und der Telekommunikation bis hin zu Waschmittel, Autos und Pharmazeutika – ist ein Kartell riesiger Mischkonzerne, deren Würgegriff nur gelegentlich gelockert wird, wenn Politiker den Willen aufbringen, Kartellgesetze zu erlassen und durchzusetzen, manchmal sogar, um sie zu zerschlagen.

Warum kann man das nicht auch mit Big Tech machen? Was macht die Internetgiganten so einzigartig?

Kartellgesetze waren ursprünglich dazu gedacht, Wucher durch Megakonzerne zu verhindern, die das Angebot so lange einschränken, bis der Preis ein Niveau erreicht, das ihren Monopolgewinn maximiert, und zwar auf Kosten der Verbraucher und der Arbeitnehmer (deren Beschäftigung parallel zur Produktion sinkt). Im Falle der Dienstleistungen von Big Tech ist dies natürlich irrelevant, denn sie sind kostenlos und frei von Angebotsbeschränkungen.

Als US-Präsident Theodore Roosevelt die Zerschlagung des Erdöl-Raffinerie-Unternehmens Standard Oil anordnete, war das politisch mutig, aber technisch einfach. Aber wie kann man Amazon, Facebook, Paypal oder auch Airbnb, Tesla oder Starlink zerschlagen? Würde die Regierung es versuchen, würde sie sich mit wütenden Nutzern konfrontiert sehen, für die der universelle Charakter dieser Plattformen der Grund dafür ist, sie zu nutzen.

Die Nutzer sind nicht die Kunden

Kostenlose Dienste bedeuten, dass nicht die Nutzer die Kunden sind; diese Rolle ist den Unternehmen vorbehalten, die auf die Algorithmen von Big Tech angewiesen sind, um die Nutzer der Dienste zu erreichen. Wenn Amazon oder Facebook von den Verkäufern eine Stange Geld für dieses Privileg verlangen (und damit eine Art Cloud-Miete von ihnen einstreichen), stehen die Regulierungsbehörden vor einem unlösbaren politischen Problem: Sie müssen sich der öffentlichen Meinung widersetzen (den Millionen von Nutzern, die von Big Tech für ihre Sache in den Dienst genommen werden), um Kapitalisten vor diesen Technofeudalherren oder Cloudalisten zu schützen, wie ich sie in meinem kürzlich erschienenen Buch Technofeudalism: What Killed Capitalism nenne. Das ist wirklich viel verlangt. Außerdem ist dies nicht einmal der Hauptgrund für die außergewöhnliche Macht von Big Tech.

Big Tech darf nicht mit Hightech verwechselt werden. Hersteller von Industrierobotern wie ABB, Kuka, Kawasaki und Yaskawa produzieren großartige technische Wunder, haben aber nicht die Macht von Big Tech über uns. In den 1960er und 1970er Jahren hatte IBM mit seinen Computern die Regierung und den privaten Sektor im Würgegriff und lieferte ihnen (für die damalige Zeit) hochmoderne Maschinen. Auch AT&T hatte ein Quasi-Monopol auf Telefondienste, bis es 1984 zerschlagen wurde. Aber weder IBM noch AT&T hatten eine ähnliche Kontrolle über uns wie Big Tech.

Ein Grund dafür ist, dass internetbasierte Plattformen wie WhatsApp und TikTok von massiven Netzwerkeffekten profitieren: Mit jedem neuen Nutzer, den sie anziehen, werden die von ihnen angebotenen Dienste für bestehende Nutzer wertvoller. Die Netzwerkeffekte von AT&T hingen davon ab, dass das Unternehmen mehr für Anrufe an Kunden anderer Telekommunikationsunternehmen verlangte – ein Vorteil, den die Regulierungsbehörden leicht beseitigen konnten, indem sie den Betreibern verboten, mehr für Anrufe an Kunden anderer Unternehmen zu verlangen.

Interoperabilität ist nicht möglich

Aber wie können Regulierungsbehörden die Netzwerkeffekte von X oder Facebook abschaffen? Interoperabilität würde bedeuten, dass Nutzer alle ihre Beiträge, Fotos, Videos, Freunde und Follower von X und Facebook nahtlos auf eine andere Plattform (etwa Mastodon) übertragen könnten – ein nahezu unmögliches technisches Kunststück, im Gegensatz zu der einfachen Aufgabe, AT&T-Kunden ohne Aufpreis mit Verizon-Kunden telefonieren zu lassen.

Die Schwierigkeit, Interoperabilität durchzusetzen, ist noch nicht einmal die größte Quelle der Macht von Big Tech. In den frühen 1970er Jahren monopolisierte IBM Rechensysteme in einer Weise, die sich kaum von der Vorherrschaft von Standard Oil im Energiesektor oder dem Beinahe-Monopol von Detroit bei privaten Verkehrsmitteln unterschied.

Was Big Tech von IBM unterscheidet, ist eine erstaunliche Eigenheit. Nein, die Maschinen wurden nicht empfindungsfähig wie im Kultfilm Terminator. Sie taten etwas viel Interessanteres: Sie verwandelten sich mithilfe ausgeklügelter Algorithmen von produzierten Mitteln für Rechenleistung in produzierte Mittel zur Verhaltensänderung.

Sobald das Cloud-Kapital unser Vertrauen gewonnen hat, verkauft es die Dinge, die es für uns auswählt, direkt an uns und umgeht dabei alle Märkte

In unserer Eigenschaft als Verbraucher bringt uns das Cloud-Kapital von Big Tech (wie Alexa, Siri, Google Assistant) bei, wie wir es trainieren, damit es uns gute Kaufempfehlungen geben kann. Sobald das Cloud-Kapital unser Vertrauen gewonnen hat, verkauft es die Dinge, die es für uns auswählt, direkt an uns und umgeht dabei alle Märkte.

Regulierungsbehörden können wenig tun

Die Eigentümer des Cloud-Kapitals, die Cloudalisten, berechnen den Herstellern in ihrer Gefolgschaft Cloud-Mieten, während wir, die Nutzer, kostenlos arbeiten – mit jedem Scroll, jedem Like, jedem Share oder jeder Bewertung – um ihr Cloud-Kapital wieder aufzufüllen. Die Proletarier, die in den Fabriken und Warenlagern tätig sind, sind an dasselbe Cloud-Kapital angebunden, mit Geräten, die sie in der Hand halten oder am Handgelenk tragen und die sie wie Roboter dazu antreiben, unter dem wachsamen Auge des Algorithmus schneller zu arbeiten.

Im Technofeudalismus können Regulierungsbehörden wenig für uns tun, weil wir das alleinige Eigentum an unseren geistigen Ressourcen eingebüßt haben. Jeder Proletarier verwandelt sich während der Arbeitszeit in einen Cloud-Arbeiter und in der übrigen Zeit in einen Cloud-Leibeigenen. Jeder Freiberufler, der sich abrackert, mutiert zum Cloud-Vasallen und zum Cloud-Leibeigenen. Während das Privatkapital alle physischen Vermögenswerte um uns herum abräumt, macht sich das Cloud-Kapital daran, unsere geistigen Ressourcen auszubeuten.

Was müssen wir also tun? Um unsere geistigen Ressourcen individuell zu besitzen, müssen wir das Cloud-Kapital kollektiv besitzen. Nur so können wir das Cloud-Kapital von einem produzierten Mittel zur Verhaltensänderung in ein produziertes Mittel zur menschlichen Zusammenarbeit und Emanzipation verwandeln. Das mag wie Zukunftsmusik klingen. Aber es ist weniger utopisch, als unsere Hoffnungen in die staatliche Regulierung von Big Tech zu setzen.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow.

Copyright: Project Syndicate, 2023, www.project-syndicate.org.

Yanis Varoufakis, ehemaliger griechischer Finanzminister, ist Vorsitzender der Partei MeRA25 und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Athen
Yanis Varoufakis, ehemaliger griechischer Finanzminister, ist Vorsitzender der Partei MeRA25 und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Athen Foto: Thanassis Stavrakis/AP/dpa
luxmann
1. November 2023 - 13.40

Interessanter artikel. Man kann jetzt etwas besser verstehen was sich hinter dem begriff cloud versteckt...selbst wenn eine gewisse nebulositaet bleibt.