Montag10. November 2025

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Alain spannt den BogenBesser geht’s nicht: Mehrere herausragende Konzerte innerhalb einer Woche

Alain spannt den Bogen / Besser geht’s nicht: Mehrere herausragende Konzerte innerhalb einer Woche
Thomas Hengelbrock und sein Balthasar-Neumann-Ensemble haben in der Philharmonie stets unvergessliche Konzerte geboten – hier im Februar 2022 Foto: Tageblatt-Archiv/Philharmonie Luxemburg

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Mein erstes „bestes“ Konzert erlebte ich im Sommer 1988 mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan. Auf dem Programm: Verklärte Nacht von Schönberg und die 1. Symphonie von Brahms. Doch es blieb nicht bei diesem „besten“ Konzert, ich sollte im Laufe der Jahrzehnte noch viele „beste“ Konzerte erleben. Und in dieser Konzertwoche gleich drei am Stück.

Thomas Hengelbrock und sein Balthasar-Neumann-Ensemble gehören seit vielen Jahren zu den absoluten Lieblingen des Luxemburger Publikums und haben mit all ihren Aufführungen in der Philharmonie unvergessliche Konzerte gespielt. Und auch die Aufführung von Johannes Brahms’ „Ein deutsches Requiem“ am letzten Mittwoch sollte wieder einmal ein hochkarätiges Konzerterlebnis bieten. Da das Ensemble sein Repertoire mehr und mehr ausweitet und sich nicht mehr nur auf Barockmusik und frühe Klassik konzentriert, hat man den Namen jetzt leicht verändert und nennt sich nun Balthasar-Neumann-Orchester.

Überwältigend in Ausdruck und Klarheit

Brahms’ „deutsches Requiem“, obwohl es im Bremer Dom uraufgeführt wurde, ist an sich für den Konzertsaal konzipiert und so ist es auch die Regel, dass das Werk von klassischen Symphonieorchestern aufgeführt wird. Das Balthasar-Neumann-Orchester spielt dagegen auf alten Instrumenten, was der Eindringlichkeit der Musik aber keinen Abbruch tut. Im Gegenteil. Wir sind so an den weichen Klang der Symphonieorchester gewöhnt, dass wir vergessen, dass Brahms seine Texte aus der Bibel nimmt und den üblichen lateinischen Text der Totenmesse ignoriert. Es ist ein Requiem, das sich in erster Linie an die Hinterbliebenen wendet und ihnen Trost spenden soll und nicht, wie sonst bei einem Requiem üblich, den Verlust und die Toten beklagt.

Der protestantische Charakter des „deutschen Requiems“ kommt dann auch gerade in der Interpretation durch das Balthasar-Neumann-Orchester und den Klang der alten Instrumente deutlicher zum Tragen. Thomas Hengelbrock versucht erst gar nicht, die Musik mit Ecken und Kanten und Tempomodifikationen auszufüllen, sondern er dirigiert ganz im Sinne der Zeit, als Brahms sein Requiem komponierte. Das heißt, ausgeschwungene Melodien, musikalische Schönheit und größte Expressivität stehen auch in seiner Interpretation im Mittelpunkt. Somit bleibt die Leseart sehr klassisch; was sich allerdings verändert, ist das Klanggebilde und der Klang selbst. Die verschiedenen Instrumentengruppen können durch den Charakter der Instrumente anders untereinander agieren und kommen demnach immer wieder zu anderen Klangergebnissen, als man das gewohnt ist. Der in diesem Sinne eher spröde, klare, erdige und dunkel timbrierte Klang kommt der Schlichtheit der protestantischen Auslegung, die weniger auf Tradition, Kirche und Prunk ausgerichtet ist und sich direkt auf die Bibel bezieht, sehr entgegen. Was natürlich auch dem Temperament und der Herkunft des in Norddeutschland geborenen Komponisten Brahms entspricht. Hengelbrock selbst ist ja ebenfalls Norddeutscher und kann somit die Gefühlsregungen und Farben der Partitur sehr gut in Musik und Klang umsetzen.

Das Balthasar-Neumann-Orchester spielt vorzüglich und mit größter Intensität und es ist ein Genuss zu hören, wie wunderbar sich Instrumente und Chorstimmen vermischen. Denn durch den etwas (im positiven Sinne) groben und schnörkellosen Klang des Orchesters bekommen die Stimmen ein ganz anderes Gewicht. Der Gesang des Balthasar-Neumann-Chores ist vorzüglich und durch allergrößte Transparenz gekennzeichnet. Für die Aufführungsserie des „deutschen Requiems“ hatte der bekannte Chordirigent Simon Halsey die Choreinstudierung übernommen und man war erstaunt, wie textdeutlich und präzise die Choristen sangen, ohne dabei den emotionalen Gehalt der Texte zu vernachlässigen. Die beiden Solisten Domen Krziay, Bariton, und Eleanor Lyons, Sopran, sangen ebenfalls hervorragend. Vor allem der intensive Gesang des Baritons und seine in jeder Lage sattelfeste Stimme wussten in jedem Moment zu überzeugen. Mit Eleanor Lyons hatte man eine Sopranistin zur Verfügung, die eine etwas dunklere Stimmfärbung hat, als man es gewohnt ist. Aber auch dies war wohlüberlegt und passte zu dem ganzen Interpretationskonzept von Thomas Hengelbrock, der zudem bei dieser Aufführung in der Luxemburger Philharmonie zeigte, dass man auch ein Werk wie das „deutsche Requiem“ mit einem strahlenden Gesicht dirigieren kann. Felix Mendelssohn-Bartholdys Chor „Verleih uns Frieden“ folgte als Zugabe und bot einen stimmigen Abschluss dieses schönen Konzertes.

Magische Momente mit Rudolf Buchbinder und Beethoven

In den späten 70er-Jahren debütierte er mit Louis de Froment und dem damaligen RTL-Symphonieorchester in Luxemburg. In den 70ern spielte er unter Pierre Cao und auch später kehrte er oft und regelmäßig zum Luxembourg Philharmonic zurück. Der Pianist Rudolf Buchbinder ist schon zu Lebzeiten eine Legende, und wie meistens werden solche Legenden von Klischees und Schubladendenken bestimmt. Auch wenn man den Namen Buchbinder unweigerlich mit den Klavierwerken von Ludwig van Beethoven assoziiert und ihn zu Recht als einen der größten lebenden Beethoven-Interpreten feiert, so ist Rudolf Buchbinder doch ein recht universeller Künstler, der ebenso bei Haydn, Mozart oder Brahms zu Hause ist.

In Luxemburg spielte der Pianist nun an zwei Abenden Beethovens fünf Klavierkonzerte im großen Saal der Philharmonie – Nr. 2, 4 & 3 am ersten und Nr. 1 & 5 am zweiten Abend – und dirigierte dabei das Luxembourg Philharmonic vom Klavier aus. Das Resultat war umwerfend, weil Buchbinder nicht nur eine selten zu hörende Einigkeit dabei erreichte, sondern in erster Linie diese Konzerte als große Kammermusik sah. Und in der Tat, die Musiker des Luxembourg Philharmonic agierten hoch konzentriert und sehr präzise, sowohl untereinander als auch im direkten Zusammenspiel mit Buchbinder oder in den Tutti. Rudolf Buchbinder ist ein Pianist, der von der Tradition herkommt und niemals ein „Hoppla, jetzt komm’ ich“- Spiel bietet. Egal wie oft man Buchbinder in Beethoven hört, immer wieder findet er einen anderen Zugang zu den Werken, der, wie hier, wunderbare, intime Momente des gemeinsamen Musizierens schuf.

Die Orchestereinleitungen der Konzerte 2 und 3 sowie 1 und 5 bestimmten dann immer den Charakter und die Weiterentwicklung des Werkes. Dabei durften die Musiker, wie im 3. und 5. Konzert, schon mal recht wuchtig aufspielen; allerdings gelang es Buchbinder immer wieder, und das durch seine bestens vorbereitete Probenarbeit, zur Transparenz und Schlankheit zurückzufinden. Die Tempi hielt er dabei meist flüssig und schnell, aber eigentlich folgte er nur dem inneren Duktus und dem natürlichen Atem der Musik. Besonders gut gelang das 4. Konzert, das von einem zarten Klavierton eingeleitet wird und sich dann zu einem einmaligen Musikkosmos entwickelt. In kaum einem anderen Orchesterwerk von Beethoven klingt sein Humanismus so deutlich durch wie hier.

Dass diese beiden Konzertabend zu „besten“ Konzerten wurden, lag aber nicht nur an dem Pianisten Buchbinder, sondern auch an den Musikern des Luxembourg Philharmonic Orchestra, die in einer klassischen Besetzung angetreten waren. Konzertmeisterin Min Seo-hee hatte alles bestens im Griff und führte klar, sodass insbesondere die Streicher einen wunderschönen, weichen und warmen Klang erreichten, auf dem sich sowohl Buchbinders Spiel frei entwickeln konnte, wie sich auch hier die Holz- und Blechbläser sehr genau und klangschön ausphrasierten konnten. Natürlich gab es auch einige wenige Wackler im Gesamtgefüge, aber diese schmälerten die Qualität und die Intensität dieser beiden Abende auf keinen Fall. Das war exzellente symphonische Kammermusik, aus der immer wieder wunderbar Soli in den Bläsern herausragten. Nach dem Verklingen der letzten Note des 5. Klavierkonzertes brach dann regelrechter Jubel aus und Buchbinder und die Musiker des Luxembourg Philharmonic wurden lautstark und mit lang anhaltenden Standing Ovations gefeiert.