Mittwoch5. November 2025

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GewerkschaftenBerater für fast alle Fälle: Ein Tag beim „Service information, conseil et assistance“ des OGBL

Gewerkschaften / Berater für fast alle Fälle: Ein Tag beim „Service information, conseil et assistance“ des OGBL
So sieht ein (nachgestelltes) Beratungsgespräch beim SICA aus: Leiterin Yasmine Lorang und eine „Klientin“ Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Gewerkschaftsarbeit – da denkt man zuerst an Kollektivverträge und Manifestationen, an Verhandlungen, Sozialdialog und politischen Streit. Doch es gibt noch eine andere, stillere Seite, ganz nah bei den Menschen. Ein Besuch beim Informations- und Beratungsdienst des OGBL, wo Arbeitsrecht auf Seelsorge trifft.

Den wichtigsten Satz, der alles zusammenfasst, alles erklärt, den sagt Yasmine Lorang ganz am Ende, ihr Termin hat da gerade den Raum verlassen. „Das Menschliche muss immer dazugehören.“ Lorang sitzt in ihrem Büro im ersten Stock des OGBL-Gebäudes im hauptstädtischen Bahnhofsviertel. Sie leitet den Informations- und Beratungsdienst („Service information, conseil et assistance“, SICA) der Gewerkschaft. Hier können sich Mitglieder beraten lassen, die Probleme mit ihrem Arbeitgeber oder mit der Sozialversicherung haben. Menschen wie Ramiza*.

Lorang hat die junge Frau eben an der Tür empfangen. „Das mache ich immer so“, mit diesen Worten war sie aus dem Büro gehuscht. Nun sitzt sie wieder an ihrem Schreibtisch und beugt sich zusammen mit Ramiza über einen rosafarbenen Ordner mit vielen Dokumenten. Ramiza stammt ursprünglich aus Kosovo, seit einigen Jahren arbeitet sie als Altenpflegerin in Luxemburg. Ihr Arbeitgeber, ein großes Seniorenheim, hat ihr gekündigt. Sie sei zu oft krank gewesen. Ramiza ist 39 und hat einen kaputten Rücken, keine Seltenheit in ihrem Job. Sie musste sich operieren lassen.

Als sie jetzt im schlichten Gewerkschaftsbüro noch einmal von den vergangenen Monaten erzählt, kommen ihr die Tränen. „2024 war das schlimmste Jahr meines Lebens.“ Die starken Schmerzen, die Operation. Hinzu kam die Sorge um ihre Schwester, bei der Krebs diagnostiziert wurde. Lorang hört Ramiza zu. Hinter ihrer runden Brille liegen ruhige Augen, unter ihrem langen Ärmel blitzen Tattoos hervor. Dann sagt die Gewerkschafterin: „Ich verstehe das, es war ein schweres Jahr.“

Wenn es um Existenzen geht

Wenn man von Gewerkschaftsarbeit spricht, denken die meisten zuerst an Kollektivverträge und Manifestationen, an Verhandlungen, Sozialdialog und politischen Streit. Das ist die Gewerkschaftsarbeit, die Schlagzeilen macht. Doch es gibt noch eine andere Arbeit. Sie liegt ganz nahe bei den Menschen, sie läuft im Hintergrund. Nicht weil sie weniger wichtig wäre, sondern weil sie zu persönlich ist, zu brisant, nicht selten geht es um Existenzen. Das ist die Arbeit von Yasmine Lorang und ihren Mitarbeitern.

In mehr als 5.000 Terminen pro Jahr beraten Lorang und ihre Mitarbeiter Hilfe suchende OGBL-Mitglieder
In mehr als 5.000 Terminen pro Jahr beraten Lorang und ihre Mitarbeiter Hilfe suchende OGBL-Mitglieder Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Ramizas Fall ist einer von vielen, an denen der SICA arbeitet. „Wir beraten und helfen unseren Mitgliedern, wenn sie Probleme haben bei der Arbeit, aber auch mit der Krankenkasse, der Pensionskasse, der Unfallkasse oder dem Arbeitsamt“, sagt Lorang. Das reicht vom einfachen Formulare-Ausfüllen über die Kontrolle von Lohnzetteln bis hin zum Anfechten einer Kündigung. „Eben alles, was mit Arbeits- und Sozialrecht zu tun hat.“ Auch Hilfe bei der Steuererklärung bietet der OGBL seinen Mitgliedern an.

Mehr als 5.200 Termine haben Lorang und ihre Mitarbeiter im vergangenen Jahr ausgemacht, noch mal knapp 350 weitere Mitglieder kamen ohne Termin vorbei – weil zum Beispiel eine dringende Frist drohte. Die Rezeption des SICA ist per Mail und Telefon erreichbar, pro Monat gingen 2024 zwischen 3.900 und 6.200 Anrufe ein. Neben Lorang arbeiten 22 Berater beim SICA, zwei weitere Personen kümmern sich um die Steuererklärungen, acht Rezeptionistinnen sind für den ersten Kontakt zuständig. Der SICA ist über das ganze Land verteilt. Beratungstermine gibt es in Luxemburg-Stadt und in Esch/Alzette, aber auch in Düdelingen, Differdingen, Diekirch, Grevenmacher, Hinkel und Wiltz. Überall dort, wo es OGBL-Büros gibt. Auch über die Grenze ist die Gewerkschaft aktiv, in Thionville oder Longwy, in Bastogne oder Bitburg.

Was ich ganz wichtig finde, ist, dass man den Leuten nichts verspricht, was man nachher nicht halten kann

Yasmine Lorang, Leiterin des SICA

Ramiza ist Altenpflegerin. Im vergangenen Jahr stammten die meisten Mitglieder, die sich mit arbeitsrechtlichen Fragen an den SICA wandten, aus den Bereichen Horeca, Reinigung, Einzelhandel und dem Baugewerbe. Ramizas Fall steht exemplarisch für die Arbeit des SICA. Kündigungen zählen neben nicht gezahlten Löhnen zu den Hauptthemen im Arbeitsrecht. Nachdem ihr Arbeitgeber ihr gekündigt hatte, hatten Lorang und Ramiza eine Begründung angefordert. Die hat der Arbeitgeber mittlerweile geliefert, sie ist das Thema ihrer heutigen Besprechung.

Die vielen Ausfälle hätten erhebliche Mehrarbeit im Unternehmen verursacht, heißt es im Schreiben des Arbeitgebers. Man habe ständig Vertretungen für die krankgeschriebene Arbeitnehmerin finden müssen. „Diese Gründe kann man teilweise so annehmen“, sagt Lorang. Aber die Beraterin ist trotzdem skeptisch. Ramiza war durch die Operation länger und terminiert nicht arbeitsfähig – sie hat nicht mal hier gefehlt, mal da. „Das hätte der Arbeitgeber besser planen können.“

Ob eine Kündigung berechtigt ist oder nicht, ist eine der zentralen Fragen, die immer wieder in der Arbeit des SICA auftauchen. „Was ich ganz wichtig finde, ist, dass man den Leuten nichts verspricht, was man nachher nicht halten kann“, sagt Lorang. Manchmal seien Kündigungen auch rechtlich korrekt, das müsse man den Mitgliedern dann ehrlich kommunizieren.

Mitgefühl, Unterstützung – und Grenzen

Yasmine Lorang selbst hatte in ihrem eigenen Berufsleben bislang nur einen einzigen Arbeitgeber. Seit 25 Jahren arbeitet sie für den OGBL. „Ich habe unten angefangen“, sagt Lorang. Erst Lehre, dann an der Rezeption. Später bot man ihr einen Posten als Beraterin an. Das Arbeits- und Sozialrecht habe sie schon immer gefesselt, sagt Lorang: „Wenn man einmal drin ist und den Leuten wirklich helfen kann.“ 2020 übernahm sie die Leitung der gesamten Abteilung. Einen Negativtrend kann sie nicht feststellen. Auf die Frage, ob sich heute besonders dreiste Kündigungen häufen würden, muss Lorang lachen: „Nein, die hatten wir schon immer.“

Die Rezeption des OGBL ist per Mail und Telefon erreichbar – oder persönlich
Die Rezeption des OGBL ist per Mail und Telefon erreichbar – oder persönlich Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Ramiza beschwert sich über die Art und Weise, wie ihr Arbeitgeber mit ihr umgesprungen sei. Eine Kollegin, so berichtet sie, die ebenfalls arbeitsunfähig war, wurde anders behandelt als sie selbst. Ramiza wurde eine schrittweise Wiedereingliederung nach dem Krankenschein verweigert. „Es ist nicht fair“, sagt sie nun im OGBL-Büro. Lorang nickt. „Ich bin Ihrer Meinung. Moralisch ist es nicht fair. Aber juristisch ist es etwas anderes.“

In Lorangs Job kommt es immer wieder zu emotionalen Situationen. „Oft schleppen die Leute, wenn sie zu uns kommen, schon sehr viele Probleme mit sich mit.“ Der kaputte Rücken, die kranke Schwester, die Kündigung. „Wir sind da, um den Menschen zuzuhören“, sagt Lorang. Das fehle ihnen heutzutage oft. „Man muss sich Zeit nehmen, Vertrauen aufbauen.“ Bei allem Mitgefühl muss man jedoch auch wissen, wie weit man in diesem Job gehen kann. „Ganz am Anfang ist es vielleicht belastender“, sagt Lorang. „Weil man seine eigenen Grenzen noch nicht kennt.“ Mit der Zeit aber lerne man Techniken. „Auch wenn einige Fälle so schlimm sind, dass man sie trotzdem mit nach Hause nimmt.“ In jedem Fall aber gibt es gegenseitige Unterstützung im SICA-Team: „Hier sind immer Leute, mit denen man reden kann und von denen man sich auch einen Tipp holen kann.“

Lorangs Termin mit Ramiza neigt sich dem Ende zu. Die Beraterin empfiehlt ihrer Klientin, die Kündigung anzufechten. „Eine Anfechtung kostet nichts.“ Ob Lorang den Fall weiterreicht an die Rechtsabteilung des OGBL, wird sich noch zeigen. „Wir gehen Schritt für Schritt vor.“ Erst einmal heißt es abwarten, wie Ramizas Arbeitgeber reagiert. Im Zweifel ist die Gewerkschaft jedoch auch bereit, vor Gericht zu ziehen. Der OGBL gibt seinen Mitgliedern Rechtsbeistand. Das kostete die Gewerkschaft im Jahr 2023 insgesamt beinahe 950.000 Euro. 290 Fälle landeten in diesem Jahr vor dem Arbeitsgericht, 337 vor den Sozialgerichten.

Ramiza hat ihre Tränen inzwischen getrocknet. Sie erzählt von dem Arzt, der ihr gesagt habe, dass sie nicht mehr schwer heben dürfe. Sie hat Angst, keinen Job mehr zu finden. Angst, dass ihr Rücken nicht wieder besser wird. Lorang hört wieder geduldig zu, nickt langsam, spricht Ramiza Mut zu, Zuversicht und Selbstvertrauen. Und dann sagt sie noch einen Satz, schönstes Gewerkschaftspathos, kitschig, aber doch so wahr, ehrlich und wohltuend: „Sie müssen keine Angst haben, Sie sind nicht allein.“

*Name von der Redaktion geändert