Einst buhlten die Banken um Kunden. Sie brauchten die Spareinlagen der Menschen, um Geld zu haben, das sie anderen Kunden als Kredite weitergeben konnten. Um attraktiv für die Kunden zu sein, versuchte man ihnen möglichst entgegenzukommen, auch geografisch mit lokalen Agenturen. Doch das war früher. Die Situation hat sich verändert. Exemplarisch sichtbar wird dieser Trend am Beispiel des Rückzugs der ING Luxembourg aus dem Massenkundengeschäft.
„Im Jahr 2024 haben wir die strategische Entscheidung getroffen, unsere Massenkunden-Dienstleistungen für Privatpersonen in Luxemburg einzustellen“, schreibt Geschäftsführer Michael Burch im Jahresbericht der Bank. „Diese Maßnahme wurde nach sorgfältiger Abwägung beschlossen, mit der Absicht, unsere Ressourcen und unser Fachwissen auf Bereiche zu konzentrieren, in denen sie den größten Mehrwert generieren können.“
Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine strategische Neuausrichtung der Bank, die beschlossen wurde, da das Geschäft mit kleinen Kunden – zu denen auch die durchschnittlichen Kunden zählen – schlichtweg nicht mehr profitabel genug ist.
Kundenverluste und Filialschließungen
Konzentrieren will sich ING in Luxemburg stattdessen in Zukunft lieber auf ertragreichere Geschäftsfelder wie „Wholesale Banking“ (große Unternehmenskunden und Institutionen) und „Private Banking“ (reiche Kunden, die mindestens ein paar hunderttausend Euro zum Investieren haben). Halt auf das Geschäft mit größeren, gewichtigeren Kunden.
Die Unterschiede bei Geldvolumen und Arbeitsaufwand bei den Geschäftsbereichen sind enorm. Im Geschäft mit den „normalen Menschen“ betreuen die Luxemburger Banken, zusammengerechnet, mit 7.340 Mitarbeitern insgesamt fast 98 Milliarden Euro (2021). Im Bereich des „Private Banking“ hingegen betreuen die Luxemburger Privatbanken mit rund 6.000 Mitarbeitern ein Vermögen von rund 600 Milliarden Euro.
Geschätzt hat ING Luxembourg seit Beginn des Strategiewechsels mehrere zehntausend Konten geschlossen. Ohne große Überraschung folgte dieses Jahr dann der von den Gewerkschaften befürchtete Personalabbau, wie die Bank im September bestätigt hat: Bis zu 124 Mitarbeiter, mehr als jeder zehnte Angestellte der Bank, könnten bis Jahresende ihren Job verlieren.
ING nimmt schrumpfende Zahlen in Kauf
Das unmittelbare Schaffen von Fakten seitens der Bank lässt erkennen, dass sie keine künftige Besserung der Lage erwartet. Im Gegenteil: Sie ist sogar bereit, Rückgänge bei den Finanzzahlen in Kauf zu nehmen, um die unattraktive Kundschaft loszuwerden.
„Diese strategische Neuausrichtung hatte zwangsläufig Auswirkungen auf unsere Produktion, unsere Vermögenswerte und natürlich auch auf unsere Erträge“, schreibt die Bank in ihrem Jahresbericht von 2024. „Die Erträge im Privatkundengeschäft gingen 2024 um 14 Prozent auf 48 Millionen Euro zurück. Dabei ist zu beachten, dass die Hälfte dieses Ertragsrückgangs auf Hypothekarkredite zurückzuführen ist. Dies ist vor allem auf das sehr geringe Neugeschäft von Privatkunden infolge der von der Bank beschlossenen neuen strategischen Ausrichtung zurückzuführen.“ Unter dem Strich hat die ING Luxembourg letztes Jahr 38 Prozent weniger Nettogewinn erwirtschaftet.
Auch 2025 wird laut dem Bericht mit weiteren Rückgängen gerechnet. In der mittelfristigen Zukunft soll sich der Umbau finanziell jedoch lohnen: Der Transformationsplan für die kommenden Jahre, der auch eine Umgestaltung der IT-Landschaft umfasst, werde „vorübergehend zu einem Anstieg der Kostenbasis führen, wobei nach vollständiger Umsetzung Effizienzsteigerungen zu erwarten sind“, so die Bank im Jahresbericht.
Branchenweiter Trend
Die Entwicklung bei ING Luxembourg ist Teil eines Trends. So wird hierzulande beispielsweise seit Jahren über die Entwicklung der Zahl der Schalterbanken diskutiert. Lautstarke Kritik hat es zwar geschafft, viele Schließungen von Agenturen (von Banken mit dem Staat als Aktionär) zu vermeiden. Dafür haben viele Institute dann jedoch neue Gebührenstrukturen eingeführt, um die Verluste aus dem Geschäft mit den lokalen Filialen wenigstens so gering wie möglich zu halten.
Im Zuge der Umstrukturierung werden auch die ING-Filialen in Esch und Ettelbrück geschlossen. Künftig wird die Gruppe ihre Dienstleistungen nur noch an zwei Standorten anbieten. Vor rund zehn Jahren, im Tätigkeitsbericht von 2016, schrieb die Bank noch von landesweit 17 Agenturen. „Wir möchten nah an unseren Kunden sein, (…) damit sie ihre großen Pläne verwirklichen können“, so die ING damals.
Folgen für die Volkswirtschaft
Die laufende Entwicklung geht dabei noch viel weiter und betrifft nicht nur das Geschäft mit den privaten Haushalten. Von dem Abbau bei ING Luxembourg sind auch Unternehmen betroffen, wie aus der Kommunikation der Bank deutlich hervorgeht: „Wir planen, uns schrittweise aus unserem Business-Banking-Geschäft in Luxemburg zurückzuziehen, das unter anderem Dienstleistungen für lokale Unternehmen, Selbstständige und Unternehmer umfasst.“
Viele Wirtschaftsakteure dürften davon nur wenig überrascht sein: Den Unternehmern ist bereits seit vielen Jahren klar, dass sie als Bankkunden nur noch bedingt erwünscht sind. Deutlich wird dies bei der immer wieder aufkommenden Debatte über das Eröffnen von Bankkonten für Firmen: Kein Betrieb kann die Arbeit aufnehmen, wenn es kein Bankkonto hat. Ein Bankkonto zu bekommen, ist für viele jedoch ein Hürdenlauf, der viele Monate in Anspruch nehmen kann. Besonders betroffen hiervon sind – die in Sonntagsreden immer hochgelobten – Start-ups.
Diese Entwicklung bringt Folgen für die gesamte Volkswirtschaft mit sich: Wie soll eine Firma ohne Konto Geschäfte machen? Offizielle Zahlen hierzu gibt es nicht, aber allem Anschein nach ist die Lage über die vergangenen Jahren stetig schlimmer geworden. Immer öfter wird es bei Branchenkonferenzen angesprochen.
Am Dienstag hat die ING nun angekündigt, dass sie ein Abkommen mit der Luxemburger Post getroffen hat, um die gekündigten Unternehmenskunden nicht allein und ohne Konto im Regen stehenzulassen. Für die 4.500 Betroffenen dürfte das aber kaum mehr als eine notdürftige Übergangslösung sein, die verhindert, dass sie ihr Unternehmen schließen müssen, da sie über kein Konto mehr verfügen. Eine echte Lösung ist es jedoch nicht: Gewöhnliche Bankdienstleistungen, wie etwa Kredite oder Zinsen, bietet die Post nicht an.
Regulatorische Herausforderungen
Hintergrund dieses Trends sind zunehmende regulatorische Anforderungen, die das Bankgeschäft immer komplexer machen. Die verschärften Anforderungen und Anti-Geldwäsche-Bestimmungen machen jeden neuen Kunden zu einem potenziellen Risikofaktor, was besonders kleinere Kunden finanziell unattraktiv macht. Die Banken müssen pro Kunde abwägen, ob er den ganzen Aufwand überhaupt wert ist. Das Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Rentabilität führt somit dazu, dass gut gemeinte Regelungen kleinere Kunden benachteiligen.
Erschreckend waren in diesem Sinne die Zahlen des IMD World Competitiveness Yearbook 2025: Einerseits glänzt der Finanzplatz in internationalen Rankings. Andererseits scheint er zunehmend zu versagen, wenn es darum geht, die heimische Realwirtschaft zu bedienen. Zuletzt hat sich so die Fähigkeit der Finanzdienstleister, die Aktivitäten von Unternehmen wirksam zu unterstützen, deutlich verschlechtert. Luxemburg ist bei diesem Kriterium innerhalb eines Jahres um acht Plätze auf Rang 64 abgestürzt. Untersucht wurden in dem Bericht 69 Länder.
Zwei-Klassen-Bankdienstleistungen
Bei den privaten Kunden ist klar, wo der Weg in Zukunft hinführen wird: Wohlhabende Kunden erhalten persönliche Betreuung und maßgeschneiderte Dienstleistungen, während Durchschnittskunden mit standardisierten digitalen Lösungen, wohl mit KI-Berater, vorliebnehmen müssen oder ganz ausgeschlossen werden.
Der Fall ING Luxembourg illustriert damit den fundamentalen Paradigmenwechsel im Bankwesen. Das traditionelle Geschäftsmodell der Universalbank, die alle Kundensegmente bedient, weicht einer spezialisierten Strategie. Während dies aus betriebswirtschaftlicher Sicht rational erscheint, entstehen erhebliche gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Verwerfungen.
Die Politik wird sich entscheiden müssen: Lässt sie dem Markt freien Lauf oder greift sie regulierend ein, um die Grundversorgung (für Bürger und Unternehmen) mit Bankdienstleistungen sicherzustellen? Das Geschäft mit den kleinen Kunden mag sich für einzelne Banken nicht mehr lohnen – für die Gesellschaft als Ganzes bleibt es unverzichtbar.
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De Maart

Witz oder zukünftige Wahrheit in Luxemburg:
Ein Mann will bei einer Schweizer Bank Geld anlegen. "Wie viel wollen Sie denn einzahlen?" fragt der Bankangestellte.
Flüstert der Mann: "Drei Millionen."
"Sie können ruhig lauter sprechen," sagt der Bankangestellte. "In der Schweiz ist Armut keine Schande."
Unser Finanzminister sollte sich ein Beispiel nehmen.
Anstatt permanent mit Argusaugen auf das Portemonnaie der kleinen Steuerzahler zu schielen, um noch hier und da ein paar Kopeken zu grabschen, sollte er sich doch mal um "Wholesale Taxation“ kümmern.
Die Grundversorgung (für Bürger und Unternehmen) mit Bankdienstleistungen sollte bei der Vergabe von Banklizenzen eine Standardbedingung sein in jeder Banklizenz, die in Luxemburg vergeben werden kann.von der Aufsichtsbehörde.