Sonntag26. Oktober 2025

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SerieAsylbewerber zwischen Hoffen und Bangen: Ahmed Kassem will ein Arbeitsvisum

Serie / Asylbewerber zwischen Hoffen und Bangen: Ahmed Kassem will ein Arbeitsvisum
Ahmed Kassem berichtet von seinen Erfahrungen als Asylsuchender in Luxemburg Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Sie sind schon seit Jahren in Luxemburg, arbeiten, leisten Freiwilligendienst, absolvieren eine Ausbildung oder gehen zur Schule. Doch ihre Asylanträge wurden abgelehnt. Der Syrer Ahmed Kassem ist der Dritte aus einer Reihe von Migranten, die das Tageblatt vorstellt, und die sich in einem Zustand zwischen Hoffen und Bangen befinden.

„Wo soll ich anfangen?“, fragt Ahmed Kassem. Er sitzt mit dem Rücken zur Theke des Cafés, in dem wir uns im September 2024 kennenlernten. Damals schwärmte Kassem von seiner Teilnahme an dem inklusiven Opernprojekt „pOpera“ der Fondation Eme, erzählte von seiner Leidenschaft für Musik und Literatur. Er hoffte auf eine baldige Entscheidung des Innenministeriums zu seinem Asylantrag. Fünf Monate nach unserem ersten Treffen holt er an derselben Stelle Plastikhefter aus seiner Aktentasche hervor und schiebt einen mehrseitigen Ablehnungsbescheid der luxemburgischen Einwanderungsbehörde über den Tisch. Dieser erreichte ihn im Oktober letzten Jahres.

Rückkehr ist (k)eine Option

Kassem reiste Anfang 2023 nach Luxemburg, zunächst mit einem Touristenvisum. Kurze Zeit später beantragte er Asyl im Großherzogtum. Sein Heimatland, Syrien, verließ er 2011. In der Zwischenzeit lebte er in Dubai. Über die Gründe für seine Flucht redet er ungern, zu tief sitzt die Angst vor Konsequenzen. Kassem spricht von einer Paranoia, die ihn auch in Luxemburg nicht loslässt. „Ich kehre nie wieder nach Syrien zurück“, versichert er.  Die luxemburgische Regierung setzte die Bearbeitung von Asylanträgen aus Syrien nach dem Sturz von Baschar al-Assad im Dezember bis auf Weiteres aus. Diese Entscheidung betraf zu dem Zeitpunkt 825 Dossiers.

Obschon Kassem den Sieg über Baschar al-Assad begrüßt, wirkt der sich auf seine persönliche Situation eher negativ aus. „Ich gehöre einer Minderheit an“, verrät er. Wurde er unter Al-Assad aus politischen Motiven mehrere Monate inhaftiert und beobachtet, könnten ihm nun andere Überzeugungen zum Verhängnis werden. Einige seiner Familienmitglieder wurden seit Ende 2024 bereits angegriffen oder mussten die Flucht ergreifen, obwohl sie sich laut Kassem nichts zu Schulde haben kommen lassen.

Im Ablehnungsbescheid des Innenministeriums werden seine Erfahrungen klein geredet: Die Bedrohungen gegen ihn lägen Jahre zurück und Kassem könne keine Beweise liefern, heißt es dort. Seine Ängste seien irrational, seine Befürchtungen Hypothesen. Die Behörden unterstellen ihm wirtschaftliche Interessen. Auf mehreren Seiten führen sie den Mann vor. Ein „Antrag abgelehnt“ hätte gereicht.

Urteil angefochten

Ahmed Kassem (erste Reihe, links) beteiligte sich unter anderem an dem inklusiven Opernprojekt „pOpera“ der Fondation EME
Ahmed Kassem (erste Reihe, links) beteiligte sich unter anderem an dem inklusiven Opernprojekt „pOpera“ der Fondation EME Foto: Alfonso Salgueiro

Beim Treffen im Café reagiert Kassem mit einem Schulterzucken auf das Schreiben. „Ich war mir bewusst, dass der Beschluss negativ ausfallen kann“, betont er. „In diesem Fall finde ich nur weder die Begründung noch die lange Wartezeit nachvollziehbar.“  Er ist Anfang vierzig, Vater von drei Söhnen und Alleinverdiener. „Fast zwei Jahre auf eine Entscheidung zu warten ist hart“, sagt er. Kassem engagierte sich in der Zeit freiwillig als Blutspender, half bei der „Stëmm vun der Strooss“ aus, absolvierte mehrere Weiterbildungen der „Chambre des salariés“ sowie des „Digital Learning Hub“ und unterstützte andere Asylsuchende im Alltag. Gleichzeitig bemühte er sich um Jobinterviews in den unterschiedlichsten Sektoren, war jedoch nicht erfolgreich. „Als Asylbewerber ist es schwer, eine Arbeit zu finden“, weiß er. Die finanziellen Beihilfen, die er in dieser Phase erhielt, lagen im unteren dreistelligen Bereich. Kassem zog schuldenfrei nach Luxemburg, heute schreibt er rote Zahlen.

Aus all diesen Gründen richtete er sich nach Eingang des Ablehnungsbescheids zunächst per Mail an das Innenministerium. In der Nachricht skizzierte er seine Vergangenheit in Syrien, die von politischer Gewalt und privaten Verlusten geprägt ist. Später ging er gegen das Urteil in Berufung. Wer das tut, darf sich bis zum Ende der Prozedur weiterhin in Luxemburg aufhalten, muss aber in der Regel mehrere Monate auf die neue Entscheidung warten.

Hoffnung auf Arbeitsvisum

Kassem ist angespannt und wählt seine Worte mit Bedacht: Er will auf keinen Fall undankbar wirken, denn er kennt die Vorurteile gegenüber Asylsuchenden. Niemand sei für seine Entscheidung verantwortlich und er erwarte nicht, dass die Regierung für seine Angehörigen aufkomme – nur solle sie es ihm ermöglichen, seiner Pflicht als Familienvater nachzugehen. „Ich wünschte, ich wäre nie in eine Situation geraten, in der ich Sozialhilfe beanspruchen muss – mit allem Respekt, den ich Menschen entgegenbringe, die darauf angewiesen sind“, unterstreicht er. „Ich bin ein Steuerzahler, kein Schmarotzer.“ Genauso habe er sich jedoch die vergangenen Jahre gefühlt.

Ahmed Kassem und sein schwarzer Fingernagel
Ahmed Kassem und sein schwarzer Fingernagel Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Während im Hintergrund die Kaffeemaschinen zischen, klingelt Kassems Handy. Er entschuldigt sich, nimmt den Anruf entgegen – es ist sein Chef. Neben dem Ablehnungsbescheid kann Kassem nämlich an dem Tag auch eine „Autorisation d’occupation temporaire“ bis August vorlegen. Als die Einwanderungsbehörde ihn über die Ablehnung seines Asylantrags in Kenntnis setzte, wies sie ihn auch auf die Möglichkeit eines Arbeitsvisums hin. Drei Monate später wurde Kassem fündig: ein unbefristeter Job in der Logistik. Ursprünglich kommt er aus dem Versicherungs- und Finanzsektor. Kassem zeigt auf seinen schwarzen Fingernagel. „Mein erster Arbeitsunfall“, sagt er und lacht. 

Inzwischen hinterfragt er seine Entscheidung, gegen das Urteil des Innenministeriums in Berufung zu gehen. Jetzt, wo er eine Festanstellung hat, scheint die Bewerbung auf ein Arbeitsvisum ihm eine bessere Alternative. „Ich bin nach Europa gekommen, um dazuzugehören“, wiederholt er. „Und das gelingt mir meiner Meinung nach besonders gut, als Berufstätiger.“ Die notwendigen Dokumente hat er bereits eingereicht. Jetzt heißt es erneut warten, bangen, hoffen. Es brauche mehr Erfolgsgeschichten von Asylsuchenden, meint Kassem am Ende des Gesprächs. Er ist zuversichtlich, dass er nah dran ist, eine solche zu schreiben: „Scheitern oder Aufgeben ist für mich keine Option.“