Omega 90Assisen zum Thema „Covid-19 an d’Enn vum Liewen“: Konkrete Fragen, schwammige Antworten

Omega 90 / Assisen zum Thema „Covid-19 an d’Enn vum Liewen“: Konkrete Fragen, schwammige Antworten
Die Teilnehmer am Rundtischgespräch (v.l.n.r.): Gilbert Pregno, Diane Dhur, Paulette Lenert, Corinne Cahen, Dr. Claude Schummer und Fabienne Steffen Foto: Editpress/Anne Lommel

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Die Impfstrategie der Regierung gegen Covid-19 sieht in einer ersten Phase die Impfung jener Personen vor, die in unmittelbarem Kontakt mit Covid-19-Patienten stehen, also Mediziner, Krankenpfleger und andere Mitarbeiter von Spitälern und Seniorenbetreuungseinrichtungen. Die Frage beschäftigte am Dienstag ebenfalls den von dieser Entscheidung unmittelbar betroffenen Personenkreis, der an den von Omega 90 veranstalteten „Assises Covid-19 an d’Enn vum Liewen“ teilnahm.

Etliche konkrete Fragen warfen die Tagungsteilnehmer im geräumigen Europa-Saal des Parc Hotel Alvisse in Luxemburg auf. Reicht eine durchgehende Impfung, um die Isolierung in Alten- und Pflegeheimen aufzuheben? Wer kann zur Impfung gezwungen werden und wer sollte diese Impfpflicht gegebenenfalls durchsetzen? Gilt die von der Regierung propagierte Impffreiheit auch für das Pflegepersonal? Wie kann eine Stigmatisierung von Nichtgeimpften vermieden werden? Sollte das Pflegepersonal eine Vorbildfunktion ausüben und sich impfen lassen? Wie mit Personen umgehen, die nicht mehr in der Lage sind, selbst zu entscheiden, ob sie sich impfen lassen oder nicht? Wer sollte in diesen Fällen die Entscheidung übernehmen?

Fragen, zu deren Beantwortung u.a. Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) und Familienministerin Corinne Cahen (DP) eingeladen worden waren. Sie nahmen mit Dr. Claude Schummer, Generaldirektor der Hôpitaux Robert Schuman, Fabienne Steffen, Generaldirektorin der Groupe Elisabeth, und Gilbert Pregno, Präsident der Beratenden Menschenrechtskommission, an einem Rundtischgespräch im Anschluss an die Tagung teil. Eine Schlussfolgerung der Gesprächsrunde vorweg: Impffreiheit gilt auch für das Pflegepersonal. Dies trage dazu bei, Vertrauen aufzubauen, so Lenert. Die Angestellten wolle man verstärkt sensibilisieren. Geimpfte Mitarbeiter als Vorbildfunktion? Nicht so gut, meinte Lenert. Da werde unnütz Druck aufgebaut. Alles was verpflichtend sei, sei in derartigen Situationen schädigend.

Keine Zweiklassengesellschaft

Die Notwendigkeit, zu sensibilisieren, griff ebenfalls Familienministerin Cahen auf. Dabei sollte daran erinnert werden, wie Impfungen in der Vergangenheit weltweit dazu beigetragen haben, schwere Krankheiten wie Kinderlähmung zu besiegen, betonte sie. Allein Gilbert Pregno sollte bei diesem Themenkomplex die Frage aufgreifen, wie mit Personen, die nicht mehr entscheidungsfähig sind, zu verfahren sei, wobei auch er keine schlüssige Antwort liefern konnte. Die einfachsten Lösungen seien hier nicht immer die besten, meinte er.

Impffreiheit dürfe nicht zu einer Zweiklassengesellschaft führen. Vermeiden sollte man, dass in Zukunft zwischen geimpften und nicht geimpften Mitarbeitern unterschieden werde, so Fabienne Steffen. Die Stigmatisierung eines Teils des Personals müsse verhindert werden. Gesundheitsministerin Lenert konnte dieser Befürchtung mit der Bemerkung entgegenwirken, medizinische Daten fielen unter den Datenschutz, seien also auch nicht der Direktion der Spitäler oder Pflegeeinrichtungen zugänglich.

Impffreiheit gilt auch für das Pflegepersonal, so Gesundheitsministerin Paulette Lenert
Impffreiheit gilt auch für das Pflegepersonal, so Gesundheitsministerin Paulette Lenert Foto: Editpress/Anne Lommel

Die Diskussionsrunde hatte sich zu Beginn mit der sowohl Familienangehörige von älteren Menschen als auch das Pflegepersonal belastenden Isolierung von Patienten und Bewohnern in Krankenhäusern bzw. Seniorenheimen befasst. Hierzu hatten sich die Tagungsteilnehmer zuvor auf konkrete Forderungen an die Politik verständigt. So sollten getestete Personen nicht mehr isoliert, Aktivitäten draußen zugelassen, der Umgang mit asymptomatischen Covid-Patienten überdacht werden. Ehrenamtliche Helfer sollten wie hauptberufliche Mitarbeiter behandelt werden. Zumindest in dieser letzten Frage stimmte Familienministerin Corinne Cahen zu. Genauso wie Familienangehörige seien Ehrenamtliche eine wichtige Stütze für das Pflegepersonal, das während des Lockdowns oftmals die Rolle von Familienangehörigen übernehmen musste. Negativ Getestete sollten keinesfalls isoliert werden, so Cahen weiter.

„Relativ grausam“

Die strengen Maßnahmen zu Beginn der Pandemie erklärte Paulette Lenert u.a. mit fehlendem Schutzmaterial und dem Vorsorgeprinzip, von dem sich die Regierung leiten ließ. Wie nun mit positiv Getesteten umgehen, die keine Symptome aufweisen? Auch diese Personen könnten das Virus weitergeben, so Lenert. Gleichzeitig wies sie auf noch diesbezüglich unzureichende wissenschaftliche Erkenntnisse hin. Rehabilitationsmaßnahmen und sportliche Aktivitäten seien jedoch erlaubt, falls eine ärztliche Verordnung vorliege.

Die Pandemie hat zu einer Beschleunigung der digitalen Kommunikation geführt. Eine gute Alternative, befand Lenert. Die digitale Kommunikation erlaube den Kontakt zur Außenwelt. Eine Ansicht, die am Dienstagabend nicht alle Diskussionsteilnehmer vertraten. Dr. Claude Schummer berichtete über dramatische Beobachtungen während des Lockdowns. Die Unterbindung von Krankenbesuchen war die schwierigste Entscheidung während der ersten Covid-19-Welle, sagte er. „Relativ grausam“ sei es gewesen, wenn Menschen, insbesondere in Seniorenheimen, plötzlich keinen Besuch mehr empfangen durften. Die Menschen seien beim Anblick plötzlich maskierter Mitarbeiter vollkommen desorientiert gewesen. Kommunikation nur über Tablet funktioniere nicht. Gut, dass man die Frage nach Isolierung oder nicht jetzt flexibler beantworten könne.

Beim Thema Impfung setzt Familienministerin Corinne Cahen auf Sensibilisierung
Beim Thema Impfung setzt Familienministerin Corinne Cahen auf Sensibilisierung Foto: Editpress/Anne Lommel

Besuche nicht eingeschränkt

Ihre schwierigste Entscheidung war es, zwischen dem individuellen Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und dem kollektiven Schutz zu wählen, so Fabienne Steffen. Auch sie äußerte sich skeptisch über digitale Kommunikation als Ersatz für physische Begegnungen mit Familienangehörigen und Freunden. Emotionen seien nicht über Videotreffen zu vermitteln, stimmte auch Diane Dhur, Präsidentin von Omega 90, zu. Das gehe nur über unmittelbaren Kontakt, nicht über iPad. Für Personen am Lebensende sei es „essenziell“, wenn sie in ihren letzten Tagen noch Familie und Freunde sehen könnten. Im Haus Omega, dem Zentrum für Palliativpflege, seien Besuche nicht eingeschränkt worden.

Das von Gilbert Pregno aufgegriffene Thema der Menschenrechte in Senioren- und Pflegeeinrichtungen blieb während der Diskussion auf der Strecke
Das von Gilbert Pregno aufgegriffene Thema der Menschenrechte in Senioren- und Pflegeeinrichtungen blieb während der Diskussion auf der Strecke Foto: Editpress/Anne Lommel

Das Thema Menschenrechte in Senioren- und Pflegeeinrichtungen, das Gilbert Pregno anfangs in der Debatte angesprochen hatte, blieb an diesem Abend auf der Strecke. Die Diskussionsrunde führte jedoch erneut eins vor Augen: Allgemein verbindliche Regeln im Umgang mit der Covid-19-Pandemie kann es vorerst nicht geben. Insbesondere gegenüber gefährdeten Menschen ist vor allem Empathie und gesunder Menschenverstand unabdingbar. Und auch wenn Luxemburg IT-Vorreiter werden möchte: „Digital first“ kann den zwischenmenschlichen Kontakt nicht ersetzen.