Leserforum„Antisemitismus“ als Keule

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Eine Frau Petra Stober reagierte im Tageblatt vom 15. Dezember auf meinen Forum-Beitrag vom 5. Dezember, „Kummer und Mitleid, Gerechtigkeit und Humanität“. Ich hätte ihre Kritiken an meinen „eklatantesten Ausfällen“ achselzuckend hingenommen, hätte Frau Stober nicht in ihrem Schlusssatz geschrieben: „Mit Mitleid und Kummer hat dieser Beitrag nichts zu tun. Er ist unverhohlen antisemitisch.“

Wer es also wagt, „Mitleid“ und „Kummer“ zu haben mit den Opfern „des mörderischen Überfalls von Hamas-Aktivisten auf friedliche Kibbuz-Bewohner sowie auf Teilnehmer einer Rave-Party“ (Eigenzitat), sich aber gleichzeitig um 2,2 Millionen Palästinenser sorgt, die in Gaza einem ständigen Bombenhagel ausgesetzt sind, kann nur ein „Antisemit“ sein?

Ich muss eine solche Beleidigung energisch zurückweisen. Ich war, bin und bleibe ein Verteidiger des Existenzrechtes des demokratischen Staates Israel. Antisemitismus, Judenfeindlichkeit sind mir ein Abscheu. Als Atheist verteidige ich das Recht aller Mitmenschen, ihren Glauben ohne Diskriminierungen auszuüben. Das gilt für Juden, selbst für Muslime. Und andere.

Wenn es für Frau Stober „Antisemitismus“ ist, wer das Vorgehen der Regierung Netanyahu in Gaza hinterfragt, müsste der jüdische Intellektuelle Daniel Schiffer ein „Antisemit“ sein. Er bezeichnete Gaza als „immense prison à ciel ouvert“ und bat um Mitleid für zwei Millionen Zivilisten: „démunis et désarmés, affamés et assoiffés“. Und meinte gar: „L’existence d’un Palestinien, en tant qu’être humain, ne vaut pas moins que celle d’un juif.“ (Tageblatt vom 30.10.)

Die von Hamas-Aktivisten am 7. Oktober verübten Morde, Vergewaltigungen und Geiselnahmen sind verabscheuungswürdige Kriegsverbrechen. Israel musste reagieren. Doch wie der von mir zitierte US-General David Petraeus sagte, ist „Rache keine Strategie“.

Selbst in Israel steigt die Kritik an der brutalen Kriegsführung Netanyahus. Zumal immer offensichtlicher wird, dass Ultraorthodoxe den Konflikt als Vorwand nutzen, um im Westjordanland Palästinenser zu vertreiben, manchmal zu morden.

1948, als der Staat Israel gegründet wurde, lebten für Frau Stober dort keine „Palästinenser“. Bloß „Araber unterschiedlicher Abstammung“. Stimmt: Es waren Araber, Beduinen, Drusen, arabische Christen, wie in meinem Artikel hervorgehoben. Dennoch wurde der Staat Israel nicht durch die Bibel geschaffen, sondern durch ein Votum der Vereinten Nationen. Wobei zwei Staaten entstehen sollten. Was von den Arabern nicht akzeptiert wurde und von der Hamas noch immer nicht akzeptiert wird. Der neue Staat Israel gewann den von Ägypten, Jordanien, Syrien, Irak und Libanon gestarteten Angriffskrieg. Um damit sein Territorium gegenüber dem UN-Beschluss um etwa ein Drittel zu vergrößern.

Laut internationalem Recht, bestätigt durch die Abkommen von Oslo, Camp David und Madrid, bleibt die Schaffung eines „palästinensischen“ Staates eine friedensstiftende Notwendigkeit. Von Netanyahu und Co. immer wieder hintertrieben.

Im Le Point vom 7.12. zitiert der ehemalige israelische Ministerpräsident Ehoud Barak den Finanzminister Bezalel Smotrich, der gesagt haben soll, die „Hamas (sei) eine Stütze“. Weshalb Barak zufolge Netanyahu und sein Finanzminister in den letzten Jahren über Katar 1,5 Milliarden Euro „Finanz-Hilfen“ an die Hamas ausbezahlen ließen, mit denen laut Barak „Waffen gekauft und Tunnels gebohrt“ wurden. Die israelischen Hardliner wollten so die Hamas gegenüber der „Palästinensischen Autorität“ des Ferhat Abbas stärken, um die Gründung eines eigenständigen Staates Palästina zu vereiteln.

Die Juden durchlebten im Zweiten Weltkrieg die „Shoah“, die „Katastrophe“, den organisierten Massenmord der Juden durch Deutsche und andere Europäer. Für viele Araber im ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palästina war deren Vertreibung eine „Nakba“, das arabische Wort für „Katastrophe“. Je nach Blickwinkel.

Der Holocaust ist ein biblischer Begriff, ursprünglich ein „Brandopfer“, nunmehr gleichbedeutend mit „der Massenvernichtung der Juden in Deutschland und Europa“, sinnbildlich „Massenvernichtung menschlichen Lebens“ (alles nach Duden).

In Gaza tobt ein berechtigter Krieg gegen Terroristen. Bei dem jedoch zu viele unschuldige Zivilisten als „kollaterale“ Opfer sterben. Kinder, Frauen, Alte, Kranke. Bislang mehrere Tausend. Darunter über 200 Angehörige von UNO-Hilfsorganisationen sowie 63 Journalisten und Medien-Mitarbeiter: 56 Palästinenser, drei Libanesen, vier Israelis.

Das mag keine „Massenvernichtung“ sein – kommt aber einer humanitären „Katastrophe“ täglich näher.

fraulein smilla
19. Dezember 2023 - 9.52

Man soll rhetorisch mit dem Terminus Holocaust ,der fuer ein Jahrtausendverbrechen steht sehr vorsichtig umgehen . Es kann und darf keinen Holocaust à go go geben .