Christian Wester brachte es noch einmal vor Journalisten zum Ausdruck, wo seiner Zunft schon seit einiger Zeit der Schuh drückt, wenn es um das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den vier Staaten des Mercosur geht (Venezuela ist seit 2017 suspendiert). „Wir waren von Anfang an skeptisch und meinen, dass es nicht das Gelbe vom Ei ist, wie es die Politik uns verkauft“, sagte der Präsident der Bauernzentrale. Es sind eher hoch konzentrierte Eiweißfuttermittel, größtenteils aus Sojaschrot bestehend, die zu 50 bis 60 Prozent aus Ländern wie Brasilien importiert werden. Doch das ist nicht das Problem, denn die Zölle liegen hierbei laut Bauernzentrale bereits unter zehn Prozent. Auch wenn die genannten Länder in den vergangenen Jahrzehnten ihre Sojaanbauflächen zum Schaden der Menschen und der Natur um ein Vielfaches ausgebaut haben – eine Sojaflut aus Südamerika ist nicht zu befürchten. Vielmehr geht es um die „Auswirkungen aufs Rindfleisch“, betonte Wester. „Da gibt es eine Reihe von Unklarheiten.“

Klar hingegen ist, dass sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Anfang Dezember bei der finalen Gesprächsrunde in Montevideo – nach einem Vierteljahrhundert dauernden Gesprächen zwischen den beiden Wirtschaftsräumen – mit den Vertretern, in diesem Fall den Präsidenten von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay, einig war und das Abkommen mit ihnen unterzeichnete. Rindfleisch und Soja aus dem Süden, Milchpulver, Butter und Käse neben Industrieprodukten aus dem Norden. Alles in Butter? Eben nicht: Frankreich, Italien und Polen etwa äußerten Bedenken – ebenso die Luxemburger Landwirte, aber auch die Vertreter des Sektors in anderen europäischen Ländern.
Zurück zum proteinreichen Kraftfutter, das mehrheitlich aus Soja besteht: Brasilien ist einer der größten Erzeuger davon und baut es in riesigen Mengen unter gewaltigem Einsatz von Pestiziden an. Dass die Agrarflieger über den endlosen Sojafeldern massenweise Gift versprühen, ist hinlänglich bekannt, auch dass unter der örtlichen Bevölkerung verstärkt Krankheiten und Langzeitschäden auftreten, wie Wissenschaftler und Vertreter der Zivilgesellschaft unter Lebensgefahr schon publik machten.
Picanha statt Chlorhühnchen
Wenn die Handelsschranken wegfallen, könnte Soja noch billiger werden. Doch befürchtet wird vor allem, dass der Mercosur, wo die Auflagen weniger streng sind und der Einsatz von Antibiotika und Hormonen keinen Regeln unterliegt, künftig noch viel mehr Fleisch und billiger in die EU importiert. Das Beispiel mit dem berühmten Chlorhühnchen wurde hierbei oft zitiert, doch dürfte es vor allem das Rindfleisch etwa in Form von Filé, Picanha, Cupim und Miminha sein, was Brasilien und Argentinien nur noch in Ausnahmefällen exportieren.

Dagegen kriselt der hiesige Rindfleischsektor seit Jahren: Er besteht, wie Sam Mille, der Präsident des „Service jeunesse“ der Bauernzentrale („Lëtzebuerger Bauerejugend“) erklärte, aus 400 Betrieben (neben 900 Betrieben, die Milchviehwirtschaft und Ackerbau betreiben). Die Auswirkung auf die Preise sei noch nicht abzusehen, aber die Situation sei schon jetzt besorgniserregend, nicht zuletzt aufgrund der Blauzungenkrankheit. „So fehlen uns in den nächsten Jahren Kälber“, so Mille, „dadurch entsteht ein Loch in der Rindfleischproduktion.“ Möglicherweise mit verheerenden Folgen. Dass die Gaucho-Staaten den europäischen Markt mit ihrem qualitativ hochwertigen Rindfleisch überfluten, ist nicht unbedingt zu befürchten, aber dass sie Produktionsstandards unterlaufen und dies außer Kontrolle gerät.
Auch André Mehlen, Generaldirektor der „Domaines Vinsmoselle“, sieht für seinen Sektor, der ebenso in der Krise steckt, wenige Aussichten, dass das Freihandelsabkommen Vorteile für den hiesigen Weinbau mit sich bringt. Mit den südamerikanischen Ländern zu konkurrieren und diese als Absatzmarkt zu nutzen, dürfte sich als schwierig erweisen, erklärte Mehlen. Alles in allem gebe es weniger Vor- als Nachteile, betonte Christian Wester. Angst vor den Gauchos müssen die Luxemburger Bauern jedoch nicht haben. „Wir haben viel höhere Lebensmittelstandards“, weiß der Alzinger Landwirt, „etwa Umwelt-, Klima- und Sozialstandards.“ Ob die Südamerikaner die von ihnen geforderten Standards einhalten, ist laut Wester zu bezweifeln und könne nicht gänzlich kontrolliert werden, so der Präsident der Bauernzentrale.
Zwischen Unterstützung und Druckaufbau
Wester kritisierte zudem die „inkohärente Politik“ zwischen Unterstützung und Druckaufbau, die dem Vorsorgeprinzip der EU zuwiderlaufe. Während die europäischen Bauern befürchten, in einen gnadenlosen Preiskampf getrieben zu werden, warnen Natur- und Umweltschützer vor einer fortschreitenden Zerstörung des Regenwaldes und dem erhöhten Pestizideinsatz durch die südamerikanischen Agrarriesen. Im Vergleich zu den Europäern mit ihren strengen Vorgaben – etwa bei Emissionsschutzrecht, Düngung, Natur- und Tier- respektive Artenschutz – können die Südamerikaner deutlich günstiger produzieren. „Wir sehen uns als potenzielles Bauernopfer, um für die Industrie hohe Absatzmärkte zu sichern“, sagte Wester. „Daher ist kein Accord besser als ein schlechter Accord.“ Das Abkommen zur dann größten Freihandelszone mit rund 780 Millionen Menschen tritt in Kraft, wenn es alle Länder ratifiziert haben.
Fleischeslust
Die Europäische Union hat nach eigenen Angaben im Jahr 2023 insgesamt 961.200 Tonnen Rind- und Kalbfleisch ausgeführt, im Jahr zuvor waren es 942.500 Tonnen. Die Importe schwankten von 2020 bis 2023 zwischen 309.000 und 360.000 Tonnen. Damit ist die EU Nettoexporteur von Rindfleisch. Wichtigster Abnehmer war das Vereinigte Königreich mit gut einem Drittel der Ausfuhrmenge. Im Jahr 2023 lieferten Brasilien, Argentinien und Uruguay zusammen insgesamt 191.500 Tonnen in die EU. Das EU-Mercosur-Abkommen sieht vor, dass – abgestuft über sieben Jahre – ein Importkontingent von 99.000 Tonnen Rindfleisch zu einem Zollsatz von 7,5 Prozent eingerichtet wird. Brasilien wird auch 2025 wieder das mit Abstand größte Exportland für Rindfleisch sein (es hat seinen Export von 2015 bis 2025 mit 3,6 Millionen Tonnen Rindfleisch mehr als verdoppelt), gefolgt von Australien, Indien, den USA (die auch zu den größten Importmärkten zählen), Argentinien und Neuseeland. Innerhalb der EU ist Frankreich Spitzenreiter.

De Maart

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