Sonntag26. Oktober 2025

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Andy Schleck lässt die Radsportwelt träumen

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Nach Lance Armstrongs Debakel und Andy Schlecks Erfolg in Morzine-Avoriaz träumt die Radsportwelt von einem Gesamtsieg des jungen Luxemburgers bei der Tour de France. Die härtesten Gegner des 25 Jährigen dürften Alberto Contador und Cadel Evans sein.

Aus Morzine berichten „T“-Redakteur Kim Hermes (khe) und „T“-Radsport-Experte Petz Lahure (P.L.)

Nach der ersten Tour-Woche ist man am Ruhetag in den französischen Alpen um vieles klüger als noch beim Prolog in den flachen Niederlanden.

Als erste Feststellung drängt sich wohl Lance Armstrongs glanzloser und schmerzhafter Abschied von der Radsportbühne auf. Einer wie er, der jahrelang Bodyguards brauchte, um sich vor der Öffentlichkeit abzuschirmen, wird von denselben Leuten, die ihm einst zujubelten, kaum noch beachtet.

Als Armstrong sein Comeback vor über einem Jahr ankündigte, waren die Meinungen geteilt, ob der „Boss“ es nach ein paar Jahren Abstinenz vom Radsattel noch einmal schaffen könnte, sich nach ganz oben zu hieven. Bei der Tour 2009 mischte der Texaner, der für seine markigen Sprüche bekannt ist, über Erwarten gut mit und schaffte es sogar auf den dritten Podiumsplatz.

Der feine Unterschied

Wenn L.A. schlau gewesen wäre, hätte er es dabei bewenden lassen. Stattdessen aber kündigte er vollmundig an, die andern 2010 noch einmal das Fürchten zu lehren. Diese Aussage war von einer Überheblichkeit sondergleichen, sie zeugte von falscher Selbsteinschätzung und trug dem Alter, dieser wichtigsten aller Begleiterscheinungen, nicht Rechnung.

Armstrong wurde (wie die andern übrigens auch) ein Jahr älter. Die Natur aber macht einen feinen Unterschied zwischen einem, der auf die 40 zumarschiert, und einem, der knapp 25 ist. Während der eine den Zenit seines Könnens längst überschritten hat und sich quälen muss, um auf hohem Niveau irgendwie noch mithalten zu können, wird der andere stark und stärker.

Die Schere zwischen beiden öffnet sich demnach weiter. Das ist nun mal so, das hätte Lance wissen müssen. Mit Armstrongs sportlicher Laufbahn ist es also bald vorbei.

Und mit seinem Ruf könnte es bald ebenso kommen. Denn ausgerechnet zum Ausklang seiner so erfolgreichen Karriere werden die Doping-Vorwürfe, die ohnehin sein ständiger Begleiter waren, nun immer konkreter.
Weil man nicht auch noch mit Füßen auf einem herumtrampeln soll, der verletzt am Boden liegt, wenden wir uns lieber den positiven Seiten dieser Tour zu, die für Luxemburg zur erfolgreichsten der letzten 50 Jahre werden könnte.

Andy Schleck feierte in Morzine-Avoriaz den ersten Etappensieg in seiner noch jungen Karriere und arbeitete sich dadurch auf den zweiten Rang in der Gesamtwertung nach vorn.

Wenn es heute über den Col de la Colombière, den Col des Saisies und den gefürchteten Col de la Madeleine nach St-Jean-de-Maurienne geht, dürfte Andy nicht unbedingt sein zweites Ziel bei dieser Tour, das Maillot jaune, anpeilen.

Dafür könnte es vielleicht ein bisschen früh sein, umso mehr da das gelbe Leibchen momentan auf den Schultern von Cadel Evans gut aufgehoben ist. Der Australier zählt noch 20 Sekunden Vorsprung auf Schleck, doch dürfte sich spätestens in den Pyrenäen eine Gelegenheit zum Leaderwechsel bieten.

Trio für Paris

Evans ist wahrscheinlich mit Alberto Contador (zurzeit 3. auf 1’01) der gefährlichste Widersacher von Andy. Normalerweise kommen („sauf accident“) nur mehr diese drei Fahrer für den Gesamtsieg in Frage.
Es ist nämlich kaum damit zu rechnen, dass ein anderer Konkurrent in Paris ganz oben aufs Podium steigen könnte. Für den Sprung auf die unterste Stufe des Treppchens dürfen sich zwar noch Denis Mentschow (5. auf 1’10), Roman Kreuziger (7. auf 1’45) oder sogar der überraschende Ryder Hesjedal (6. auf 1’11) Chancen ausrechnen, doch müsste sich der Schluss-Sieger aus dem Trio Evans-Schleck-Contador herausschälen.

Andy, und das ist das Erstaunliche in der Strategie des jungen Mannes, nimmt sich Zeit für das Gelingen seines Vorhabens. „Alles mit der Ruhe, nur keine Panik“ ist die Devise des Saxo-Bank-Kapitäns, der bei der gestrigen Pressekonferenz (siehe S. 33) eine Ruhe ausstrahlte, wie sie nur den ganz großen Champions, die ihrer Sache sicher sind und die wissen, was sie wollen, eigen ist.

Der Plan, den Andy Schleck sich vorgezeichnet hat, ist bisher aufgegangen. Daran ändern auch ein Sturz, der Schlüsselbeinbruch seines Bruders Frank und der zu hohe Zeitrückstand beim Prolog nur wenig. Auf den „Pavés“ machte Andy Terrain wett, danach brachte Cancellara dank seines Gelben Trikots einiges an Geld in die Mannschaftskasse, und in Morzine durfte Andy Schleck sich selbst feiern.

Pessimisten meinen, das Saxo-Bank-Team sei durch Franks Ausfall zu schwach in den Bergen. Merke: Wenn’s wirklich ums Ganze geht, sind auch die andern auf sich alleine gestellt. Es zählt also die eigene Kraft …

P.L.