Altbewährter Krach: Unser Rückblick auf die Festivalsaison

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Auch Journalisten gehen zu Konzerten: Wir blicken auf fünf Bands, die während dieser Festivalsaison einen dauerhaften Eindruck hinterlassen haben. 

Der Sommer ist definitiv vorbei – das sagt nicht nur der Kalender, sondern auch das verregnete Wetter. Wie jedes Jahr ist auch die Festivalsaison damit abgeschlossen. Wir ziehen eine persönliche, nostalgische Bilanz des Konzertsommers, in der fünf Journalisten und freie Mitarbeiter auf ihre Highlights zurückblicken. Dabei stellt sich heraus, dass viele Musiker, die eigentlich bereits zum alten Eisen zählen, immer noch durch energische Shows oder stilistische Neuerfindungen überraschen.


Wat e Kaméidi! – Den Jack White zu Werchter

Vum Ian De Toffoli

Wéi ech emol, viru méi wéi zéng Joer, op engem Concert vun de White Stripes war – zu Paräis am Zénith, d’Meg an den Jack stoungen eleng op der Bühn, am schwaarzen T-Shirt a rouder Box, hir Schieter iwwerdimensional grouss hannen op d’Mauer projezéiert –, sot d’Persoun nieft mir op emol, datt d’Eltere bestëmmt frou waren, wéi de klengen Jack endlech aus dem Haus gezunn ass, mat deem ganze Kaméidi, deen dee Jong mécht (iwwregens hunn d’Stripes hiren éischten, eponymen, Album bei den Elteren um Späicher opgeholl). Domat wollt déi Persoun net drop hiweisen, datt d’Musek vun de White Stripes éierewéi disharmonesch oder kakophon wier, mee éischter wéi erstaunlech et dach wier, datt zwou Persounen eleng op der Bühn sou haart kéinte sinn, an dat, paradoxerweis, trotz hirem minimalistesche Stil.

Hautdesdaags, säit hie solo ënnerwee ass, obwuel en nach ëmmer live vill Lidder vun de White Stripes spillt, ass den Jack op senger Tour an op der Bühn vun engem klengen Orchester begleet. Sou war dat och zu Werchter, wou ech hien am Summer gesinn hunn, de 7. Juli, fir genee ze sinn, stoung alles voller Instrumenter, op mannst zwee Pianoen, puer Drumsets, eng Onmass vu Guitarren an anere Kreemchen.

Am Ufank vum Concert – „Dead Leaves On The Dirty Ground“ mat nach méi Verzerrung, direkt Héngerhaut – stoungen d’Leit e bëssen do wéi bestallt an net ofgeholl. D’Sonn huet vun uewe gedréckt, de Béier ass gefloss, de Festival huet sech ugefillt wéi en Nomëtteg um Séi, kuerz virdrun huet den Jack Johnson seng seicht Plagemusek erofgeleiert, a op eemol stoung do deen zottelegen Typ am schwaarzen T-Shirt, deem seng Gitarreriffs d’Loft zerrass hunn. D’Stëmmung koum net direkt op. Den Jack ass selwer e bëssen nervös ginn a sot éierens eppes wéi „I hope you like my music“, bal wéi wann hie sech géif entschëllege fir dee ganze Kaméidi.

Awer de Public huet sech relativ schnell goe gelooss. Bei „Hotel Yorba“ („One, two, three, four, take the elevator at the Hotel Yorba, I’ll be glad to see you later, all I got inside is vacancy“: zweet Héngerhaut) huet een d’Leit schonn hopse gesinn, a wéi dunn och nach puer Lidder vun de Raconteurs („Steady, As She Goes“) a vun Dead Weather („I Cut Like A Buffalo“) gespillt goufen, huet och all Mënsch matgebläert. An zum Schluss, bei „Seven Nation Army“, ass ee sech virkomm wéi an engem Stadium. Et ass e Genoss, dem Jack White nozekucken an nozelauschteren.


Alles muss raus! – Die Toten Hosen vor 50.000 Fans auf der Allmend in Luzern

Von Gil Max

Wenn man sich in diesem Sommer an einem der gefühlten drei Tage, an denen wir in Europa schlechtes Wetter hatten, zusammen mit 49.999 Mitmenschen in strömendem Regen fröhlich auf einer matschigen Wiese eingefunden und eine fette Party gefeiert hat, dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass man dem einzigen diesjährigen Konzert der Toten Hosen in der Schweiz beigewohnt hat. Wenn man an einem Tag wie diesem inmitten einer riesigen Menschenmenge, in der unzählige Moshpits gebildet und Bengalos gezündet werden, keine Angst um seinen elfjährigen Sprössling haben muss, der auf den eigenen Schultern zwei Stunden mithüpft und -singt, dann können eigentlich nur die Hosen im Spiel sein, auch wenn’s ein „Auswärtsspiel“ ist. Fällt beim Pogen jemand hin, so die Devise, helfen ihm die Umstehenden auf.

Wenn man seit über 30 Jahren Fan einer Band ist, die in ihren Anfangsjahren mal eine veritable Punkband war, und diese halbstarken Proleten von einst heute Millionäre sind, die eher als Wertebewahrer denn als Revoluzzer oder Außenseiter wahrgenommen werden, ohne dass das peinlich oder unglaubwürdig wirkt, dann kann diese Band nur aus Düsseldorf stammen und ihr charismatischer Sänger Campino heißen. Ja, die Hosen und ihre Fans bilden eine Wertegemeinschaft. Dazu gehören das Engagement gegen rechts, für Toleranz, Weltoffenheit und die Menschenrechte. Campino hält eine flammende Verteidigungsrede für die Seenotretter im Mittelmeer. „Das sind Lebensretter“, ruft er, ehe er uns mit den schonungslosen Lyrics von „Europa“ einen Kloß in den Hals treibt.

Natürlich kommen auch die Gute-Laune-Songs und Sauflieder nicht zu kurz, aber auch vieles vom exzellenten neuen Album fügt sich nahtlos in die Setlist ein. Am Ende haben sie 35 Songs nicht runtergespielt, nicht mal rausgehauen, nein, hinausgeballert. Erst nach „TNT“ und „You’ll Never Walk Alone“ ist wirklich Schluss. Beim AC/DC-Cover traut man seinen Ohren nicht, als einer der Geiger des Michael-Gorbatschow-Gedächtnis-Quartetts den Bon Scott und Gitarrist Kuddel den Angus Young gibt. Tröstlich für alle Musikfans und verstörend höchstens für einige Meteorologen ist dabei die Erkenntnis, dass ein Gitarrenbrett immer noch intensiver als ein Gewitter ist.


U2 – A lifetime experience: Eine Konzeption der Meisterklasse

Von Sascha Dahm

Wurde an dieser Stelle von meinem Kollegen Jeff Schinker vor einigen Tagen das Jesus-ähnliche Auftreten von Jared Leto in der Rockhal noch müde belächelt, durfte man Anfang September in Köln gleich an zwei Tagen in den Genuss „heiliger Musikgestalten“ kommen: Larry Mullen, Adam Clayton, The Edge und natürlich Bono himself, zur Freude aller wieder absolut genesen, führten 36.000 Anhänger des „U2ismus“ in einen Kosmos, der einer Parallelwelt ähnlich scheint und doch eigentlich unserer eigenen Welt gar nicht so ungleich ist… Ist man es von U2 und vor allem Bono eigentlich gewöhnt, dass politische und sozialkritische Statements an der Tagesordnung sind, so scheint es doch bei dieser Tour fast schon ein Übermaß an Themenkomplexen zu geben, die die Menschenmassen ebenso bewegen wie die Band: „Frauen, übernehmt das Steuer!“, Akzeptanz für Flüchtlinge sowie Bekenntnis gegen Rassenhass – getreu dem Motto „Wir sind mehr“ –, Liebe und Nächstenliebe, um nur ein paar zu nennen…

Untermauert wurden diese Statements nicht nur gesanglich durch Songs wie „City Of Blinding Lights“ oder das Evergreen „Sunday Bloody Sunday“. In insgesamt 23 Songs wurde auch visuell ein in sich theatral-schlüssiges Konzept präsentiert, das vor allem jenen Fans eine Reizüberflutung im positiven Sinne bescherte, die noch nie ein U2-Konzert gesehen haben. Eine Hauptbühne, genannt A- oder „Innocence“-Bühne, wird über einen Laufsteg durch den gesamten Innenraum mit einer kleinen kreisförmigen B-Bühne, der sogenannten „Experience Stage“, verbunden. Über dem Laufsteg schwebt eine doppelseitige Bildschirmwand, die ausnahmslos jedem Zuschauer, auch denen auf den Rängen, ein spezielles Erlebnis ermöglicht und zudem so designt wurde, dass die vier Musiker auch hindurchgehen können. Dieses Element sticht bei Songs wie „Cedarwood Road“ besonders hervor, da Bono hier Teil der Straße wird, die an den Videoleinwänden abgespielt wird, indem er sie hinuntergeht…

Momentaufnahmen wie diese beschreiben nur annähernd das Gesamterlebnis in der Kölner Lanxess Arena und offenbaren, dass U2 nicht nur am Zahn der Zeit sind, sondern ihr Sound zeitlos ist und die Erinnerung auch zeitnah und künftig allgegenwärtig sein wird.


Das Trommelfeuer – Bad Religion beim Rocco del Schlacko

Von Philip Michel

Während das Rock-A-Field-Festival der Vergangenheit angehört, erfreut sich das Rocco del Schlacko in unmittelbarer Nähe zu Luxemburg (Püttlingen im Saarland) ungebrochener Popularität. Überleben kann man, da das Line-up überwiegend deutsch geprägt ist und deutsche Headliner wesentlich günstiger zu haben sind als internationale Publikumsmagneten.

Auch in diesem Jahr war das Rocco del Schlacko dank Kraftklub, Broilers, Marteria, Beatsteaks, Feine Sahne Fischfilet und Co. ausverkauft. Das Highlight aber lieferten die Punk-Urgesteine von Bad Religion. Auf der Hauptbühne hatten am Schlusstag des Festivals die Deutsch-Punker von WIZO das Feld bereitet und Greg Graffin und Co. kamen zur Ernte.
Der Gig dauerte gefühlte vier Stunden, dabei standen Bad Religion nur knapp 75 Minuten auf der Bühne. Als jeder dachte, das Punk-Feuerwerk wäre zu Ende, verschwand das legendäre Logo der Band im Bühnenhintergrund und das Cover des ebenso legendären Albums „Suffer“ tauchte auf.

Frontmann Greg Graffin, der aussieht, als käme er gerade aus dem Büro, machte eine seiner kurzen Ansagen: 30 Jahre sei die Veröffentlichung des wegweisenden Albums nun her, deshalb wolle man es hier integral noch einmal zum Besten geben. Und weiter ging’s mit vollem Karacho! Ob’s gefällt oder nicht, fest steht: Das Punk-Trommelfeuer von Bad Religion war die bei Weitem intensivste Konzerterfahrung der Jubiläumsauflage (20) des Rocco del Schlacko.


Zerbriechlecht Gejäiz: Rolo Tomassi um ArcTanGent

Vum Jeff Schinker

Wéi all Joer sinn ech och dëst Joer nees op den ArcTanGent-Festival gepilgert (et läit bei Bristol, a mir lounen eis ëmmer eng Camionnette, fir dohinner ze fueren, a well den Trajet ëmmer bal een Dag hëlt an eis Begeeschterung fir de Festival bal reliéis Zich huet, kann een definitiv d’Verb „pilgeren“ benotzen). Den ArcTanGent ass en englesche Noise- a Post-Rock-Festival, wou wuel bei all Oplag méi Mutiny-on-the-Bounty-Fans si wéi a ganz Lëtzebuerg zesummen.

A wéi all Joer fält et mer schwéier, ee spezifesche Concert ze wielen, well et der op deem Festival esou vill ginn, déi memorabel waren – ech denken haut nach un dee wonnerbar präzisen Optrëtt am fréien Nomëtteg vu Jean Jean zeréck, de mysteschen Optrëtt vu Myrkur, dem legendäre Steve Albini a senger Band Shellac (den Albini huet ënner anerem Nirvana produzéiert) hir Show, de Concert vun Zeal & Ardor, wou dem Schwäizer Emmanuel Gagneux säi Projet, dee Black-Metal mat Gospel a Blues vermëscht, esou gutt funktionéiert huet, dass dat ganzt Zelt sech an ee risege Moshpit verwandelt huet … Mä et gëtt um Arc ëmmer ee Concert, deen der matdeelt, dass de elo richteg ukomm bass, op dësem immense Festival. Deen éischte Concert, deen dech matrappt an deen der weist, dass de déi nächst dräi Deeg musikalesch verwinnt wäerts ginn.

Dëst Joer war et dee kuerzen Optrëtt vu Rolo Tomassi (déi deemools, fir d’Release-Party vum leschten Album vun der Lëtzebuerger Band Inborn, an der Kufa mat de Bouwe vun Inborn gespillt hunn). D’Band huet sech entscheet, hir ganz Diskographie falen ze loossen, an huet wärend 40 Minutte just Auszich vun hirer neier Plack gespillt. Dat war dowéinst eng gutt Entscheedung, well op där CD („Time Will Die and Love Will Bury It“ heescht se) de Bandsound e bëssen ëmgekrempelt gouf a méi komplex, melodesch a progressiv Lidder drop sinn. Live huet d’ganz Band, mä vrun allem d’Sängerin Eva Spence, alles ginn an et war e Genoss, hir nozelauschteren, wéi se tëscht douce-melodeschem Gesang an engem Gebrëlls, dat engem duerch Muerch a Schank konnt goen, gewiesselt huet. Duerno ware mer eis all eens, dass de Festival kaum besser hätt kéinten ugoen.