Mit dem neuen Supermarkt in Esch-Lallingen eröffnet die Cactus-Kette nicht nur einen neuen Standort. Diese Eröffnung ist gewissermaßen auch eine Rückkehr zu den Wurzeln?
Max Leesch: Ganz genau. Der erste Cactus wurde am 6. Juli 1972 in der Escher rue de Monnerich eingeweiht, ganz genau am Standort der neuen Niederlassung. Es war das Gelände der ehemaligen Buchholtz-Brauerei. Innerhalb von nur knapp zehn Wochen wurde die Halle errichtet. Sie war damals, mit einer Verkaufsfläche von 2.300 Quadratmetern, der größte Supermarkt des Landes. 1995 zog die Zweigstelle dann auf ihren heutigen Standort um. Sie vergrößerte sich mit rund 6.000 Quadratmetern gleich um mehr als das doppelte. Im hausinternen Jargon war bei dieser Niederlassung zwar immer vom „provisorischen“ Cactus die Rede, letztendlich hat das Provisorium allerdings mehr als dreißig Jahre gedauert. An der Monnericher Straße haben wir daraufhin den Cactus Hobby eingerichtet. Dieser hat dann am 31. Januar 2009 seine Türen geschlossen, um Platz zu machen für die Verkaufsfläche, die jetzt eröffnet wird.
Geplant war eigentlich ein Hypermarkt, nach dem Vorbild der „Belle Etoile“. Dazu ist es dann jedoch nicht gekommen. Warum?
Laurent Schonckert: Geplant waren ursprünglich rund 15.000 Quadratmeter mit 50 weiteren Geschäften und Einrichtungen sowie rund 2.000 Parkplätzen. Das entsprach dem damaligen Trend. Es kam dann jedoch zu Protesten aus der umliegenden Bewohnerschaft. Diese führten zu einer Anklage vor dem Verwaltungsgericht. Wir haben damals zwar in erster Instanz verloren, legten jedoch Berufung ein und haben diese gewonnen. Nach fünfjähriger Wartezeit konnten und wollten wir die alten Pläne allerdings nicht mehr übernehmen. Wir haben das Projekt komplett überdacht und so ausgerichtet, dass es den Anforderungen der heutigen Zeit und den aktuellen Einkaufsgewohnheiten entspricht.
Entstanden ist ein Supermarkt und kein Hypermarkt mehr. Reicht das zur Attraktivität?
L.S.: Es orientiert sich an den Erwartungen einer modernen Kundschaft. Wir haben in Bartringen und Bascharage zwei Hypermärkte, in denen man von den Lebensmitteln bis zu Handwerk und Garten alles unter einem Dach kaufen kann. Wir haben jedoch auch immer mehr kleinere Verkaufsstrukturen, die spezialisierter sind. Am Erfolg unserer Shoppi-Niederlassungen wurde deutlich, wie sehr sich die Einkaufs- und Konsumgewohnheiten mit der Zeit verändert haben. Dem wollten wir uns anpassen, indem wir ein Angebot schafften, das allen Erwartungen entspricht. So ist der neue Cactus in Lallingen mit 7.000 Quadratmetern Verkaufsfläche und rund 800 Parkplätzen wesentlich kleiner als die „Belle Etoile“ und auch als das ursprünglich geplante Projekt. Wir haben bewusst auf gewisse Bereiche außerhalb des Lebensmittelverkaufes
verzichtet. Es gibt keine großen Küchengeräte in der neuen Niederlassung, keine Dekoration, keinen Bastel- und Handwerksbereich. Unsere Erfahrungen zeigen, dass diese Artikel vorrangig in spezialisierten Fachgeschäften gekauft werden. Natürlich gibt es weiterhin die geläufigen Gebrauchsgegenstände für den Alltag. Mit rund 30.000 Referenzen gibt es hier jedoch ein riesiges Angebot im Lebensmittel- und Alltagsbereich. Ein echter Blickfang wird die 75 Meter lange sogenannte Frischtheke sein, wo Gemüse und Ost, Fisch, Fleisch und Käse – mit Bedienung – verkauft werden. Das neue Geschäft hat auch ein gut sortiertes Weinsortiment und eine reiche Auswahl an selbst hergestellten Wurst- und Backwaren. Vergrößert haben wir auch das Angebot an vorgefertigten Gerichten, in dem man heute rund 1.300 Referenzen findet. Auch das entspricht wiederum den Wünschen der Kundschaft. Selbst diejenigen, die noch selber kochen, lassen sich mitunter von einzelnen Gerichten verlocken. Zu denen gehöre ich auch (lacht).
Darf ich an dieser Stelle eine weniger lustige Zwischenfrage stellen? Wenn Sie schon die aktuellen Einkaufsgewohnheiten ansprechen, wie steht es in diesem Zusammenhang mit Online-Verkauf? Die Frage passt vielleicht nicht in den Kontext der Neueröffnung, entspricht aber auch dem Trend der Zeit?
L.S.: Online-Einkauf ist in unseren Nachbarländern ein größeres Thema als bei uns. Wir hatten mit „Cactus at Home“ einen Versuch gestartet. Wir hatten 3.000 Artikel im Angebot und waren damit auch erfolgreich. Allerdings erwartete die Kundschaft ein immer größeres Sortiment. Mit 8.000 Artikeln war der Bereich allerdings schwer zu verwalten geworden. Dazu kam die Preisfrage. Man kann einen derart personalisierten und sehr personalintensiven Service nicht umsonst anbieten. Wir sind daraufhin zu dem Schluss gekommen, dass unser Netzwerk weit genug gestreut ist, um jedem Anspruch gerecht zu werden. Als Beispiel möchte ich die 40 Shoppi-Einheiten anführen, die sehr großzügige Öffnungszeiten haben und damit schon vielen Einkaufserwartungen gerecht werden. Unsere Konkurrenz hat zwar teilweise noch Liefer- oder Abholdienste, macht damit aber keine Werbung. Diese Feststellung ist durchaus aussagekräftig.
Eine praktische Frage zum Trend der Zeit. Hat die neue Cactus-Niederlassung auch automatische Kassen, wo man seine Waren selbst scannt und dann automatisch bezahlt? Eine Einrichtung, die bei Ihren Konkurrenten vielerorts zu finden ist?
L.S.: Die Lallinger Niederlassung wird in der Tat die erste sein, die mit diesen automatischen Kassen ausgestattet wird. Für uns ist das ein Versuchsfeld. Wenn sich das Konzept bewährt, wird es ausgeweitet. Dazu muss ich aber auch sagen, dass unsere Kundschaft bisher nicht beanstandet hat, dass wir diesen Service bislang nicht anbieten.

Darf ich noch einmal zum Standort Esch und zur Geschichte der neuen Niederlassung kommen. Was zeichnet den Standort Esch aus?
M.L.: Wir haben als Unternehmen 150 Millionen Euro in das aktuelle Vorhaben investiert, das uns durchaus am Herzen liegt. In der Einkaufsgalerie neben dem Supermarkt sind 15 weitere Geschäfte, darunter ein Fitnesszenter. In einigen Monaten kommen noch eine Crèche und die Dienste von „Hëllef doheem“ dazu. In den oberen Etagen sind zudem 67 Wohnungen in der Fertigstellung, die vermietet werden. Das ist für uns ein ganz neuer Bereich, wir glauben jedoch an die zusätzliche Attraktivität dieses Angebotes. In diesem Zusammenhang möchten wir hier an dieser Stelle auch schon mal der Anwohnerschaft des Stadtviertels für ihre Geduld danken. Die Arbeiten am neuen Einkaufszentrum haben sich zeitlich lange hingezogen. Zur Erinnerung: Wir haben 2020 mit dem Bau angefangen. Die Covid-Krise und der Ausbruch des Krieges in der Ukraine haben viele Sorgen gebracht. Die Preise für Baumaterial stiegen und die Lieferfristen wurden immer länger.
L.S.: Hausintern lästern wir gerne darüber, dass wir in unserer Planungs- und Bauzeit nicht weniger als fünf
Escher Bürgermeistern gegenübersaßen. Bei unseres ersten Planungen war noch François Schaack am Tisch, danach war Lydia Mutsch eine zeitlang unsere Gesprächsparterin, gefolgt von Vera Spautz und Georges Mischo. Jetzt wird Christian Weis letztendlich das Bändchen durchschneiden.
Diese Anekdote ist eine gute Gelegenheit, um nochmals die Verbundenheit zwischen der Cactus-Gruppe und der Stadt Esch anzusprechen.
M.L.: Die Tatsache, dass der erste Cactus-Supermarkt in Esch entstand, war schon damals kein Zufall. 1972 florierte die Stahlindustrie, es wurde gut verdient, die Escher hatten viel Kaufkraft, was für die Einrichtung einer modernen Verkaufsstruktur sprach. Mit der Stahlkrise in den 80er Jahren war die Kaufkraft zwar eingebrochen, Esch ist und bleibt jedoch ein Kernstück unserer Wirtschaft. Umso mehr als die Stadt sich seither wieder erholt hat. Mit 38.000 Einwohner, der Stahlindustrie, der Universität in Belval und zahlreichen Verwaltungen ist Esch nach wie vor ein guter Standort. Wir selbst sind eng verbunden mit den örtlichen Sportclubs. Das gibt uns Nähe zur Kundschaft.
Kann man angesichts der Diversität der Escher Bevölkerung noch von Nähe sprechen? Haben Sie Ihr Angebot nicht eher dieser Vielfalt anpassen müssen? Wie viele portugiesische Produkte gibt es in der neuen Offerte, wie ist es mit Lebensmitteln aus dem Balkan oder aus Asien?
L.S.: Man braucht hier nicht so weit auszuholen. Die Escher Kundschaft ist eine lokale Klientel. Man kennt sich, man kennt das Personal im Geschäft, man kommt miteinander ins Gespräch. Natürlich haben wir portugiesische Weine und Bier im Angebot, natürlich gibt es auch Pasteis de Nata, diese Artikel werden jedoch von der gesamten Kundschaft gekauft. Umgekehrt isst portugiesische Gesellschaft, die heute in Esch lebt, immer weniger Bacalhau. Die zweite und dritte Generation der portugiesischen Bewohner haben sich der Zeit angepasst, sie konsumieren genau das gleiche wie die luxemburgische Gesellschaft. Auch die Nachfrage nach Spezialitäten aus dem Balkan oder aus Asien hält sich in Grenzen. Die 30.000 Referenzen des neuen Geschäftes werden den meisten Ansprüchen gerecht. Zum Vergleich: Der vom Umfang her durchaus vergleichbare Cactus in Bereldingen führt zwischen 15.000 und 20.000 Artikeln.
Die Tatsache, dass der erste Cactus-Supermarkt in Esch entstand, war schon damals kein Zufall

Eine Konkurrenz, die es 1972 noch nicht gab, sind die sogenannten „Hard Discounter“, die man ja auch in Esch findet. Wie stehen Sie zu dieser Konkurrenz, die in den letzten Jahren doch sehr stark gewachsen ist?
L.S.: Sie machen ihre Arbeit gut. Wir müssen damit leben. Wir haben uns der Herausforderung angepasst. Wir haben einerseits mit dem sogenannten „Ja“-Angebot auch Basisprodukte aus der unteren Preislage im Sortiment. Wir setzen jedoch genauso stark auf unsere hochwertigen Qualitätsprodukte. Die Bevölkerung ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Luxemburg zählt mittlerweile 680.000 Einwohner. Dadurch ist ja dann auch die Kundschaft größer. Die Kaufkraft ist weiterhin hoch. Das bleibt in unserer Branche ein Trumpf.
Cactus war seinerzeit der erste große Lebensmittelhändler, der verstärkt auf Bio-Produkte setzte. Ist diese Sparte weiterhin für Sie ein Aushängeschild? Ist es in der heutigen Zeit ein Verkaufsargument?
M.L.: Der Bereich wird nach wie vor bei uns gepflegt, wir haben in allen größeren Strukturen eine gesonderte Abteilung für Bioprodukte, mit viel Zuspruch. Wir haben zudem eine sehr gute und erfolgreiche Zusammenarbeitmit dem deutschen Lebensmittelproduzenten Alnatura, der mit 800 Referenzen und einer gemässigten Preisschiene bei der Kundschaft gut ankommt.
Cactus ist ein Familienunternehmen. Die Belegschaft war stets gewissermaßen Teil dieser Familie. Der Gründer, Paul Leesch, hat viele der Angestellten gekannt. Diese wiederum waren froh, für ihn zu arbeiten. Ist das heute immer noch der Fall?
M.L.: Der Familiengeist bleibt eine unserer Stärken. Wir teilen die gleichen Werte. Es ist
zudem stimulierend, wenn die Familie selbst mitarbeitet. Das spornt an. Bei mehr als 4.300 Mitarbeitern kennen wir nicht alle, aber betriebsinterne Feierlichkeiten wie die „fête des lauréats“, wo verdienstvolle, langjährige Mitarbeiter geehrt werden, stärken den Zusammenhalt und machen das Personal stolz auf seine
Zugehörigkeit. Nähe bedeutet für uns umgekehrt aber auch, dass das Personal die Kunden kennt. Manche gehen bewusst zu „ihrer“ Kassiererin oder Käseverkäuferin. Auch das ist ein Teil des Familiengeistes.
Bleibt dieses Zusammengehörigkeitsgefühl auch, wenn das Personal sonntags arbeiten muss?
L.S.: Wir haben damit kein Problem. Einerseits, weil wir das Personal sonntags gut bezahlen und andererseits weil die Belegschaft groß genug ist, um immer genügend Freiwillige zu finden, die den Zusatzverdienst schätzen. Mittlerweile sind alle unsere Geschäfte, mit Ausnahme der „Belle Etoile“ am Sonntagmorgen geöffnet. Die Verkaufszahlen sprechen für sich. Die Nachfrage der aktuellen, vielschichtigen, internationalen Kundschaft ist nach wie vor groß. Und auch bei der einheimischen Bevölkerung gehört der Kaffee beim Cactus am Sonntagmorgen zum festen Tagesprogramm. Wie die neue Gesetzgebung aussehen wird, weiß ich noch nicht und kann und will sie deshalb auch nicht kommentieren. Ich kann nur betonen, dass diese Arbeit in ihrer Form und Vergütung in unseren Kollektivverträgen vorgesehen ist.
Nochmals zum Thema Familienunternehmen, Herr Leesch. Bleibt Cactus ein Familienunternehmen? Ist die Nachfolge gesichert.
M.L.: Auf jeden Fall. Neben mir arbeiten auch meine Schwester und mein Bruder in der Firma mit, genau wie unsere Kinder. So gesehen sind Fortbestand und Tradition gesichert.

De Maart

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