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Sehr geehrte Gäste, Honoratioren, liebe Preisträger der letzten Jahre, liebe Kulturschaffende, liebe Gäste aus aller Welt, sehr geehrte Follower im Netz, Exzellenz, mit Herrn B. wird dieses Jahr ein Mann geehrt, der im Verlauf seiner literarischen Tätigkeit das ein ums andere Mal beinahe ein literarisches Werk verfasst und selbiges gar, wäre es zu einem solchen gediehen, sicherlich auch veröffentlicht hätte.

Herr B. ist sich, wie nur die wenigsten wissen, seiner belletristischen Ader stets bewusst gewesen. Seit seiner Kindheit – er lernte bereits im zarten Alter von sechs Jahren das Lesen und Schreiben und hat sich diese Kompetenz bis heute durch fleißiges Üben nicht nehmen lassen – von klein auf also hat der Preisträger zu Füllfeder, Stift und anderen gängigen Schreibmaterialien gegriffen, um seine überaus reichhaltigen Gedanken zu Papier und Schiefer zu bringen und sie damit dem Sturm der Zeiten zu entreißen. Ja, dieser Akt der Petrifizierung ist unerhört in seinem unikalen Charakter. Da schickt sich jemand an, die Frucht seiner Überlegungen, seine verstiegenen Gedankengänge, salti mortali des Geistes, labyrinthartige Schleifen der Reflexion und vieles andere mehr fest-zu-halten.

Literarischer Ausguss dieser nunmehr nahezu dreißigjährigen Tätigkeit sind seine ungeschriebenen Werke, die nun endlich als Gesamtausgabe vorliegen und dem Leser die Bandbreite des Schaffens, Ringens und Leidens unseres heutigen Ehrengastes vor Augen führen. Die Germanistik – diese Werke wären allesamt auf Deutsch erschienen – hat bereits die Fühler nach diesem opus magnum ausgestreckt, um es vollumfänglich auf seine ideologischen Frames und gesellschaftspolitischen Unzulänglichkeiten hin zu durchstöbern und ihm ggf. den Gnadenstoß des Ostrazismus zu versetzen, indem es dieses nie zustande gekommene Werk zensieren würde aufgrund politisch unkorrekter Darstellungen. Danke an die Germanistik, dass sie sich auch dieser undankbaren und an Beschwerden reichen Aufgabe im Dienste der Wissenschaft widmet.

Die Jury, die sich ihrerseits aus den vortrefflichsten Literaturkennern der Provinz Luxemburg zusammensetzt, befand unisono, dass Herrn B. vor allem Dank gebührt aufgrund des Nicht-Zustande-Kommens seiner Werke. Wäre dem nämlich nicht so, wären diese Werke allesamt erschienen, dann wäre die inländische Literatur um weitere unwichtige Seiten reicher, dann müssten noch mehr Natur-Ressourcen in Form von Papier und Energie zur Buchherstellung verschwendet werden und im Akkord arbeitende Kritiker-Schreiberlinge diese zwar genialisch anmutenden, aber meist epigonenhaft-nichtssagenden Werke verzweifelt nach Substanz abklopfen. All dies hat uns der Preisträger erspart. Ihm gebührt Dank. Die Großen der Literatur stehen, ob in vivo oder posthum, auf und verneigen sich vor dem solcherart Geehrten, da er erkannt hat, was vielen anderen verwehrt bleibt, dass er nämlich nicht zum Literaten taugt. Es genügt eben nicht, peripher belesen zu sein und die Finessen der Literaturgeschichte zu kennen und zu lehren, um das Autorensiegel ohne Scham sich anheften zu dürfen. Vor allem aber die poetische Brillanz, die Kürze und Prägnanz seiner Werke sollen hier nicht unerwähnt bleiben. Hart abgerungen hat sich Herr B. vieles, was andere locker und im Glauben, eine Berufung zu haben, publizieren.

Wie oft saß Herr B. vor dem weißen Blatt und brütete über der besten, der treffendsten Formulierung für seine Nicht-Werke? Wie viele Streichungen mussten seine nur zweitbesten Formulierungen und Figuren hinnehmen? Wie viele unveröffentlichte fiktive Leben leben noch in Herrn B.s Gedankenwelt? Ist es nicht doch ratsamer, sogar dem unbedeutendsten Werk das Leben zu schenken, als es zu verschweigen und in Kauf zu nehmen, dass nicht ganz missratene Werke für immer im Orkus des Vergessens verenden und den Autor um seine zehn Minuten Berühmtheit bringen?

Hat die Öffentlichkeit nicht eine Verpflichtung, als eine Art Sozialstaat der Ästhetik den Findelkindern der Literatur und ihren Erzeugern – man spricht von unbefleckter Empfängnis – beizustehen und sie wohlwollend zu empfangen, zu pflegen und ihnen ihre Mittelmäßigkeit nachzusehen? Das, liebe Gäste, ist nicht die Haltung unseres Preisträgers. Er stellt sich den eigenen Unzulänglichkeiten und verschweigt, was besser verschwiegen wird. Dafür gebühren ihm Dank und Anerkennung. Es lebe das unvergängliche, niemals gewesene Werk des großen Herrn B. Applaus!