Alain spannt den Bogen Die Zeitgenossen kommen: Modernes mit dem Arditti-Quartett und Beethoven mit Jean Muller

Alain spannt den Bogen  / Die Zeitgenossen kommen: Modernes mit dem Arditti-Quartett und Beethoven mit Jean Muller
Das Arditti-Quartett Foto: Eric Devillet

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Wohl kaum ein Streichquartett setzt sich derart für zeitgenössische Musik und ihre Komponisten ein wie das Arditti-Quartett. Atonale Musik und komplexe Strukturen sind das alltägliche Brot dieser Musiker und so verwunderte es keinen, dass bei ihrem Konzert im Rahmen der „Musiques d’aujourd’hui“ ausschließlich moderne und relativ aktuelle Werke zu hören waren.

Das Streichquartett Nr. 2 von Jonathan Harvey (1939-2012) aus dem Jahre 1989, Passage (2019) von Toshio Hosowaka (*1955), Das Quartett VIII für Streicher „Topeng“ (2019) von Betsy Jolas (*1926) und György Ligetis (1923-2006) moderner Klassiker, das Streichquartett Nr. 2 aus dem Jahre 1968.

Ausgenommen das Quartett von Ligeti sind alle anderen drei Werke spirituell ausgerichtet und inspirieren sich auf unterschiedlichste Weise an der asiatischen Kulturwelt. Von schlichten Meditationsklängen ist aber hier keine Rede.

Bereits Harveys Quartett, das sich durch die Technik der Melodic Chains auszeichnet, bei der melodische Einheiten immer wieder neu kombiniert und erweitert werden, erweist sich als äußerst komplexes Stück, das das Publikum quasi zum bewussten Zuhören zwingt.

Glissandi, Tremolo, Vibrati und Triller zeichnen Passage von Hosokawa aus, der in seiner Musik asiatische und europäische Musik auf wunderbare Weise miteinander verbindet. Hosokawas Stärke liegt, neben einer hochinteressanten Musiksprache, in den feinen Abstufungen seiner Klangbilder und der dadurch entstehenden besonderen Dynamik des Musikgeschehens.

Das Quartett VIII für Streicher „Topeng“ ist das 5. Streichquartett der mittlerweile 95-jährigen Betsy Jolas und überrascht mit einer enorm fantasievollen und stilsicheren Form. Topeng ist indonesisch, bedeutet Maske und ist an sich der Oberbegriff für balinesisches Tanztheater.

Aufgrund von persönlichen Erinnerungen verarbeitet Jolas dieses balinesische Tanztheater mit seinen kleinen Dramen als traumhaft wirkende Sequenzen ohne vordergründige Exotismen und Effekte. Das Arditti-Quartett hat die zeitgenössische Musik in seiner DNA und spielt die hochkomplexen Strukturen mit einer Schönheit und (scheinbaren) Leichtigkeit, wie andere Ensembles die Musik von Mozart oder Haydn spielen. Und es ist letztendlich diese Natürlichkeit, die der zeitgenössischen Musik ihr Korsett des Intellektuellen, Starren und Wissenschaftlichen abnimmt und sie als das annimmt und präsentiert, was sie in ihrem Wesen ja auch ist.

Musik, Klang und Farbe. Somit war auch das 2. Streichquartett von Ligeti in der Interpretation der Ardittis ein ganz großer Wurf. Quasi musikantisch spielten Irvine Arditti und Ashot Sarkissjan, Violinen, Ralf Ehlers, Bratsche und Lucas Fels, Cello mit einer ungeheuren Intensität und Kommunikationsfreudigkeit, sodass dieses Werk (wie übrigens auch die drei anderen) auch vom interessierten Laien problemlos aufgenommen werden konnte. Das zahlreich erschienene Publikum wusste Musik und Interpretationen zu schätzen und quittierte dieses anstrengende, aber außergewöhnliche und bereichernde Konzert mit lautstarkem Beifall. Und es war schön, zu sehen, dass zeitgenössische Musik fähig ist, endlich eine solche Begeisterung beim Publikum auszulösen.

Die Perfektion der Dramaturgie

Ludwig van Beethoven komponierte seine Musik für eine neue Zeit. Die geistigen, humanistischen, oft revolutionären Strömungen seiner Zeit bilden die Grundlage seiner musikalischen Botschaften, die uns bis heute bewegen und faszinieren. Beethoven ist eigentlich immer modern, denn seine Musik fordert uns immer wieder aufs Neue heraus. Gerade in unserer Zeit, wie auch in allen Zeiten davor.

Jean Muller spielte seine drei letzten Klaviersonaten in einem Zug, ohne Pause und Zwischenapplaus, als Block, als Triptychon und als Opus summum der Klavierliteratur. Das Resultat war herausragend. Muller, der inzwischen als Interpret keine internationale Konkurrenz mehr zu scheuen braucht, im Gegenteil, der eher mit seinen Konzerten und CDs neue Maßstäbe setzt.

Das Beethoven-Rezital mit den drei letzten Klaviersonaten war ein großer Konzertmoment, ein Abend, den man noch lange in Erinnerung behalten wird. Jean Muller kennt seinen Beethoven in- und auswendig, und ist, verglichen mit seiner Gesamteinspielung aus den Jahren 2007-2009, sowohl auf spieltechnischer wie auch auf interpretatorischer Ebene gewachsen.

Bereits der zarte, fast blumige Beginn der Sonate Nr. 30 zeigt einen sehr feinfühligen Interpreten, der Beethovens Musik zum Schweben bringt, ehe er dann nach und nach in ihre Tiefen abtaucht. Expressiv, dunkel, dann wieder leuchtend klar, expressiv im Detail und immer klar im Spiel, Mullers Beethoven ist abwechslungsreich und beleuchtet alles Facetten dieser grandiosen Musik.

Ob im Variationssatz des op.109, im Finale des op. 110 oder im grandiosen 1. Satz von op. 111, Muller trumpft immer wieder mit neuen Ideen und einem vollblütigen Spiel auf. Effekte gibt es kaum, sein Beethoven ist immer ausgewogen, besitzt ein durchgehendes, kohärentes Konzept.

Und hier beweist sich der Pianist als ein Meister der inneren Balance und des musikalischen Atems, dem das Kunststück gelingt, die drei Sonaten quasi als einen Werkzyklus mit einer Seele, einer inneren Struktur zu interpretieren. Immer wieder beeindruckt Muller mit einer bachschen Klarheit, Objektivität und Schlichtheit, die die Musik, ihn selbst und auch das Publikum wieder zu erden und auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen scheinen. Die musikalische Dramaturgie ist perfekt, genauso wie das atemberaubende Spiel von Jean Muller. Bravo!