Migrationsbericht 2020Wie Luxemburg manchen Sonderweg geht – und sich auch mal selbst im Weg steht

Migrationsbericht 2020 / Wie Luxemburg manchen Sonderweg geht – und sich auch mal selbst im Weg steht
„Mehr als nötig“: Jean Asselborn stellte den Migrationsbericht vor Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Wer kam, wer musste wieder weg? Jean Asselborn stellte am Montag seinen Migrationsbericht für das Corona-Jahr 2020 vor. Zwei Dinge stachen hervor. Luxemburg geht manchen Sonderweg – und steht sich auch mal selbst im Weg.

Sperrt Luxemburg seine Türen zu weit auf? Oder macht das Land nicht genug in Sachen Migration, und das dann auch noch schlecht? Jean Asselborn stellte am Montag seinen Jahresbericht zu den Einwanderungszahlen vor – und sprach gleich zu Beginn das Spannungsfeld an, in dem er seine Arbeit als Immigrationsminister verortet.

Nicht ohne die eigenen Fragen gleich auch selber zu beantworten. Luxemburg, sagte Asselborn, mache „mehr als nötig, ja – und auch mehr als manche in der EU, leider“. In anderen EU-Ländern, Asselborn nannte keine Namen, werde Migration gleichgesetzt mit Gefahren wie Terrorismus, Unsicherheit, kultureller Bedrohung. Luxemburg aber dürfe „nie auf diese Schiene draufkommen“, sagte der Außen- und Migrationsminister.

Was die Zahlen für das Jahr 2020 angeht, verlieren die allermeisten wegen der Corona-Krise und einhergehender Grenzschließungen jeglichen Vergleichswert zu den Vorjahren. Vielmehr stellt sich die Situation so dar, dass sich das Land wieder mehr oder weniger im Rahmen der Jahre vor der Flüchtlingskrise ab dem Jahr 2015 bewegt.

42 Prozent weniger

2020 wurden insgesamt 1.167 Personen in die Asylprozedur aufgenommen, das sind 42 Prozent weniger als im Jahr davor. Unter den Nationalitäten stachen besonders die Syrer, die Eritreer und die Afghanen hervor. Aus Griechenland, und demnach auch aus dem abgebrannten Lager Moria auf der Insel Lesbos, kamen im Ganzen 138 Menschen nach Luxemburg. Da habe, so Asselborn, „Luxemburgs Empfindlichkeit für Menschlichkeit gespielt“ und hätte jedes EU-Land so gehandelt, „gäbe es kein Moria mehr“.

Im Jahr 2020 bekamen insgesamt 736 Menschen in Luxemburg den Flüchtlingsstatus zugesprochen, 419 davon aus Eritrea, gefolgt von Syrern und Afghanen. 306 Menschen wurde das Bleiberecht verwehrt, was vor allem Afghanen, Iraker und Kameruner betraf.

Asselborn räumte ein, dass Afghanen von Luxemburg nicht, wie es eigentlich sein müsste, in ihr Heimatland zurückgeführt würden. Luxemburg sei das einzige EU-Land, das dies noch so handhabe. Die Frage laute, so Asselborn, wie lange dies noch möglich sei. Syrer hingegen müssen sich seit vergangenem Jahr wieder einer einhergehenden Prüfung unterziehen. Die war in den Jahren zuvor wegen des Krieges in dem Land des Mittleren Ostens aufgehoben.

Frontex im Fokus

Rückführungen, laut Asselborn „immer ein schwieriger Punkt“, gab es allerdings auch im Corona-Jahr. 64 mussten dabei erzwungen werden, 156 Menschen fügten sich freiwillig diesem harten Schicksal. Unbegleitete Jugendliche sollen künftig zusammen in einer Unterkunft in Hesperingen leben können. Den schwierigen Punkt hierbei bildeten, wie in den Vorjahren, die Verdachtsfälle auf Volljährigkeit, denen in einer medizinischen Untersuchung nachgegangen wird. Sechsmal sei eine solche Kontrolle im vergangenen Jahr nötig geworden, so Asselborn, wobei in fünf Fällen eine Volljährigkeit festgestellt worden sei.

Der Zuzug aus Staaten der EU nach Luxemburg sank im Vergleich zum Vorjahr um 17 Prozent. Demnach ließen sich 2020 insgesamt 14.396 EU-Bürger in Luxemburg nieder, die meisten davon Franzosen, gefolgt von Portugiesen und Belgiern. Unter den Nicht-EU-Bürgern kamen die meisten aus Indien und die zweitmeisten aus China.

Mit dem auf EU-Ebene beschlossenen Ausbau der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex kommen auch auf Luxemburg neue Aufgaben zu. Bis zum Jahr 2027 soll die Truppe insgesamt 10.000 Männer und Frauen umfassen. Luxemburg wird bis zu diesem Zeitpunkt 18 feste Agenten stellen müssen. Im laufenden Jahr wird dazu einer dieser Posten von einem Luxemburger besetzt und mehrere für eine jeweils viermonatige Laufzeit. Asselborn wies auch auf die Probleme hin, die zurzeit auf Frontex lasten. Gegen den Frontex-Chef, den Franzosen Fabrice Leggeri, werden von mehreren Seiten schwere Vorwürfe erhoben.

Dabei geht es unter anderem um die mutmaßliche Beteiligung von Frontex-Agenten an sogenannten Push-backs von Flüchtlingen vor allem in der Ägäis. Das heißt, dass europäische Grenzschützer Migrantenboote aus europäischen Gewässern herausgedrückt oder zumindest örtliche Polizisten dabei unterstützt hätten – was Leggeri, so die Anschuldigungen auch aus dem Europaparlament, vertuschen würde. Am 5. März soll dazu ein neuer Bericht erscheinen, aber Asselborn ist lange genug dabei, um dessen Wirkung nicht zu hoch einzuschätzen. „Die letzten Entscheidungen treffen die Innenminister der EU-Staaten und es gibt Länder in der EU, die froh sind, dass Frontex nicht so funktioniert, wie es könnte“, sagte Asselborn.

Von einer Not in die nächste 

Dass auch in Luxemburg nicht alles funktioniert, wie es könnte, lässt sich an den Zahlen der Beherbergungseinrichtungen ablesen. Zum 31. Dezember 2020 lebten in Luxemburg insgesamt 3.335 Menschen in solchen Häusern, was einer nahezu maximalen Belastung entspricht – und das trotz Corona-bedingtem Migrationsrückgang.

Gut die Hälfte dieser Menschen dürften dabei gar nicht mehr in diesen Unterkünften leben. Weil sie den Flüchtlingsstatus haben (41%) oder abgelehnt wurden (10%). Viele mit Flüchtlingsstatus kommen aber nicht raus, weil die hohen Mietpreise in Luxemburg ihnen den Weg zu einer Unterkunft versperren. Das zuständige „Office national de l’accueil“ (ONA), genau wie Rotes Kreuz und Caritas, helfe den Leuten zwar bestmöglich, sagte Asselborn, und „wir setzen niemanden auf die Straße“.

Asselborn bezeichnete diese „Logement“-Zwickmühle als „größtes Problem, das wir haben“. Würden anerkannte Flüchtlinge eher eine Wohnung finden und so Platz in den Wohnheimen freimachen, „könnten wir noch mehr helfen in der EU“. Asselborn rief dann auch die Gemeinden auf, das ONA weiter zu unterstützen. „Das macht mir seit Jahren die größten Sorgen und ich sehe auch nicht, wie sich das bei unseren ,Logement‘-Problemen ändern soll“, sagte Asselborn.

Aufnahme in Covid-Zeiten

2020 wurden in Luxemburg 42 Prozent weniger Anträge auf ein Bleiberecht gestellt als im Vorjahr. Einziger Grund: Die Corona-Krise, wegen der auch die Aufnahme in Luxemburg an vielen Punkten umgestellt werden musste – und was schlussendlich den Alltag der neu in Luxemburg Angekommenen wie auch jenen der mit ihnen hierzulande Beschäftigten teilweise extrem erschwerte. Einerseits mussten viele Freizeitaktivitäten zusammengestrichen werden, andererseits musste teilweise in Ganzkörperschutzanzügen gearbeitet werden. Zu Isolierungs- und Quarantänezwecken wurden drei Hotels angemietet. Auch die ehemalige Sonderschule Ediff in Monnerich wurde zu diesen Zwecken gebraucht. Über alle Einrichtungen hinweg hat die „Santé“ zusammen mit dem Außenministerium insgesamt 663 positive Tests auf das Coronavirus gezählt, zehn Menschen mussten im Krankenhaus behandelt werden, davon ein Patient auf der Intensivstation.

Aufnahme in UN-Gremium

Luxemburg bewirbt sich um einen Sitz im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UN) für die Jahre 2022 bis 2024. Die Chancen auf eine erfolgreiche Kandidatur standen lange Zeit blendend – bis die USA ebenfalls ihr Interesse bekundeten und damit vier Staaten in Luxemburgs Gruppe um drei Plätze ins Rennen ziehen. Gewählt wird kommenden Oktober. Die weiteren Kandidaten sind Italien und Finnland (das Luxemburg 2012 bei der Wahl in den UN-Weltsicherheitsrat bereits einmal unterlegen war). Außenminister Jean Asselborn sagte am Montag, bislang keine Anfrage erhalten zu haben, die eigene Kandidatur zurückzuziehen. Aber Luxemburg sei sowieso „nicht Kandidat gegen ein anderes Land, sondern Kandidat für die eigenen Werte und Vorstellungen“, sagte Asselborn. Bislang hätten keine anderen Staaten bereits Luxemburg zugesagte Stimmenversprechen wieder zurückgezogen. „Im Moment sieht es so aus, dass im Oktober eine Wahl entscheidet“, sagte Asselborn.

en ale Sozialist
3. März 2021 - 9.50

Wenn wir, als eines der reichsten Länder der Welt, es nicht fertig bringen pro Jahr eine " Handvoll" Flüchtlinge aufzunehmen, ist es ethisch und menschlich schlecht um uns bestellt.