FilmkritikDagboek eines (digitalen) Filmfestivals:

Filmkritik / Dagboek eines (digitalen) Filmfestivals:

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Das International Film Festival Rotterdam findet dieses Jahr digital statt. Das Tageblatt hat im vierten Teil des Tagebuchs zwei weitere Produktionen unter die Lupe genommen.

„Bebia, à mon seul désir“ von Juja Dobrachkous (Tiger Competition – 118’)

Der graue Faden: Das junge Model Ariadna muss für das Begräbnis ihrer Großmutter in ihre georgische Heimat zurückkehren. Der Koffer ist nicht einmal in der Küche abgestellt, ehe sie daran erinnert wird, wieso sie von zu Hause gegangen ist. Zu ihrem Leidwesen muss sie dann noch einen in ihren Augen absurd mittelalterlichen Brauch als Familienjüngste übernehmen. Mit einem Faden muss sie den Körper der Toten vom Todesort her verbinden, damit Seele und Körper wieder zu sich finden. Und das Krankenhaus ist nicht um die Ecke.

In kontrastreichen Schwarz-weiß-Bildern taucht die Regisseurin in das Seelentief ihrer Protagonistin sowie in das des Landes. Hinter Ariadnas scheinbar nicht zu penetrierender Fassade klafft ein emotionales Loch, welches das Auf-Distanz-Gehen ihrer noch nicht allzu weit nach hinten entfernten Kindheit noch nicht wieder geschlossen hat. Dobrachkous verbindet Codes des Coming of Age mit einem sehr langsamen Roadmovie. Ihr gelingt es, die Psyche eines Volkes mit dem Boden, auf dem es lebt, quasi haptisch erfahrbar zu begreifen.

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„Looking for Venera“ von Norika Sefa (Tiger Competition – 111’)

Die Protagonistin Venera aus dem kosovarischen Beitrag im Wettbewerb hat es im Gegensatz zu Ariadna noch nicht „heraus geschafft“. Ein strenger Vater und eine apathische Mutter sitzen ihr im Nacken. Das karge Umfeld sind auch in diesem Film nicht nur die Gemüter. Es gilt nach außen hin ein gutes Bild aufrechtzuerhalten. Da passt die scheinbar freizügige Freigeist-Freundin weniger ins Bild.

Norika Sefa arbeitete ihren Debätfilm kollektiv mit ihren SchauspielerInnen und frei von Storyboards aus (Sarah Gavron ist es mit ihrem Film „Rocks“ ähnlich angegangen). „Looking for Venera“ erhält somit eine dramaturgische Offenheit, die jedoch zu keinem Punkt einer künstlerischen Beliebigkeit verfällt. Venera steigt zu Beginn des Filmes auf dem Nachhauseweg (sie geht einfach einen anderen Weg) sprichwörtlich aus dem Wald heraus und tritt somit einen emanzipatorischen Pfad an – sexuell sowie gesellschaftlich – stellvertretend für die kosovarische Frau angegangen wird. Alleine wegen der jungen Spielerin Kosovare Krasniqi sollte man den Film unbedingt sehen.

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