Parlament„Ein handfester Skandal“: Die Abgeordneten über Luxemburgs Armutsrisiko

Parlament / „Ein handfester Skandal“: Die Abgeordneten über Luxemburgs Armutsrisiko
Pim Knaff bei seiner Antrittsrede Foto: Editpress/Julien Garroy

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Das Armutsrisiko in Luxemburg liegt bei 18,3 Prozent, so der letztjährige Statec-Bericht „Travail et la cohésion sociale au Luxembourg“. Das Parlament befasste sich gestern mit der Problematik. Angestoßen hatte die Debatte der CSV-Abgeordnete Paul Galles. Leider blieb es bei etlichen Allgemeinplätzen und allgemeiner Betroffenheit.

Viele Menschen würden das Problem Armut nicht kennen oder es verharmlosen. Man klage auf hohem Niveau, hieße es dann. „Doch das Problem Armut in Luxemburg ist sehr ernst“, so der CSV-Abgeordnete Paul Galles. Wenn von Armutsrisiko die Rede sei, spreche man vor allem von materieller Armut. Dabei sei dies nur eine Form von Armut neben jener fehlender Teilnahme am kulturellen und gesellschaftlichen Leben. Angesichts des seit Jahren steigenden Armutsrisikos werde die Problematik immer stärker die ganze Gesellschaft betreffen, warnte Galles. Ungleichheiten in der Gesellschaft würden die Produktivität im Land drücken, Rassismus und Abgrenzung fördern. Dabei seien 93 Prozent die Bezieher des Revis („Revenu d’inclusion sociale“) nicht faul, betonte Galles.

Dass das Armutsrisiko in Luxemburg bei 18,3 Prozent liege, sei eine Katastrophe für Luxemburg. Konkret seien das 106.000 Menschen – ein handfester Skandal im reichen Luxemburg, so Galles.

Der Wohnungsmarkt

Grundlage zur Berechnung des Armutsrisikos ist das Medianeinkommen. Dessen Wert teilt die Gesellschaft in zwei gleiche Teile – die eine Hälfte der Einkommensbezieher liegt über diesem Wert, die andere hat weniger. Von Armutsrisiko spricht man, wenn 60 Prozent des Medianeinkommens unterschritten wird. Für Luxemburg sind das rund 2.000 Euro. Damit liegt dieser Wert jedoch unter dem vom Statec errechneten Referenzbudget von 2.110 Euro bei einem Ein-Personen-Haushalt, bei 4.213 Euro für eine vierköpfige Familie, 2.910 Euro für ein Paar ohne Kinder. Arbeitseinkommen und Revis, kombiniert mit den Transferleistungen, müssten mindestens an das Referenzbudget reichen, meinte Galles.

Mit verursacht wird das Armutsrisiko durch die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt. In Luxemburg müsste der Wohnungsnotstand ausgerufen werden, so Galles. Die Wohnungsbeihilfen müssten überarbeitet und neue Antispekulationsgesetze verabschiedet werden. Dem Leerstand bei staatlichen Wohnungen müsse ein Ende gesetzt werden.

Große Hoffnung setzte der CSV-Politiker in die angekündigte Steuerreform. Das Hauptthema dürfe hier nicht die Individualisierung bei der Besteuerung sein. Im Mittelpunkt müsste die Bekämpfung der sozialen Ungerechtigkeiten und der Armut sein. Zur Bekämpfung der Kinderarmut forderte er u.a. die Wiedereinführung des gestaffelten Kindergeldes und der Zulage für kinderreiche Familien neben der Erhöhung des Kindergeldes. Doch allein mit Sozialtransfers sei es nicht getan, so der Abgeordnete. Seine Partei fordere einen Aktionsplan gegen Armut und Armutsbekämpfung. Ein Beitrag dazu könnte auch eine u.a. von der Handelskonföderation vorgeschlagene Quadripartite zum Thema sein. Diskutiert werden müsse zudem, wie Luxemburgs Sozialsystem bei schwächeren Wachstumsraten aufrechterhalten werden könnte.

Neue Abgeordnete

Die sich ablösenden Sprecher der Mehrheitsparteien bemühten sich, die Maßnahmen aufzuzählen, die in den letzten Jahren in Sachen Armutsbekämpfung ergriffen wurden. Man müsse die Menschen unterstützen, damit sie aus der Armut kommen und nicht mehr auf Stütze angewiesen sind, meinte etwa Max Hahn (DP). Das strebe man etwa mit der Einführung des Revis an. Als weitere Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut nannte Hahn u.a. den kostenlosen öffentlichen Verkehr ab März, die geplante Verallgemeinerung des Drittzahlers bei medizinischen Dienstleistungen, Verbesserungen bei der Kinderbetreuung. Tess Burton (LSAP) erinnerte ihrerseits an die Einführung von Gratisschulbüchern, an den reformierten Elternurlaub, den erleichterten Zugang zur Teuerungszulage, die steuerlichen Entlastungen für Geringverdiener sowie an die Mindestlohnerhöhung. Ohne diese Maßnahmen wäre das Armutsrisiko höher.

Neue Elemente ergab die Debatte gestern nicht. Es war vielmehr eine Bestandsaufnahme zur Problematik Armutsrisiko und deren Ursachen wie Wohnungsnot, schlecht bezahlte Jobs und prekäre Arbeitsverhältnisse oder soziale Ungerechtigkeiten. Ein Novum war die Diskussion im Plenum nicht. Es sei bereits die vierte Debatte zu diesem Thema in den letzten zehn Jahren, sagte Marc Baum („déi Lénk“).

Zu Beginn der Sitzung waren zwei neue Abgeordnete, Cécile Hemmen (LSAP) und Pim Knaff (DP), vereidigt worden. Knaff rückt für den vor zwei Wochen verstorbenen Eugène Berger nach, Hemmen für den in die Regierung gewechselten Franz Fayot. Mit 42 von 55 abgegebenen Stimmen wurde Laurent Scheeck zum neuen Generalsekretär des Parlaments gewählt.