„An einem Strang ziehen“: Was die Escher vor den Europawahlen beschäftigt

„An einem Strang ziehen“: Was die Escher vor den Europawahlen beschäftigt

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Der unendliche Brexit, der aufkommende Nationalismus, die sozialen Ungerechtigkeiten und die verheerende Flüchtlingskrise. Das sind einige der Themen, die die Bürger vor dem Urnengang am Sonntag beschäftigen, wie eine kleine, nicht repräsentative Umfrage in der Escher Uelzechtstrooss am Montag zeigte.

 

Benilde Martins, 45

Das Acapulco-Kaffeeservice von Villeroy&Boch, das sie im Schaufenster feilbietet, sei nahezu komplett und zudem bei Sammlern sehr beliebt, erklärt Benilde Martins. Seit September letzten Jahres führt die gebürtige Portugiesin in der rue Dicks ein Dekorationsgeschäft.

„L’Europe actuelle est trop grande et un grand mélange qui ne se marie pas toujours très bien“, so die 45-Jährige. Ihr sind die finanzielle Lage in einigen Ländern und das Gefälle bei den Gehältern ein Dorn im Auge. „Wenn die Portugiesen zurückkehren, erzählen sie, dass die Löhne in Luxemburg sehr hoch sind – sie vergessen aber zu sagen, wie teuer das Leben hier ist“, so Martins weiter. Viele kämen mit zahlreichen Wunschvorstellungen nach Luxemburg, in ein Land, das immer noch ein Steuerparadies sei. Dann die ganze Korruption, die mehr und mehr grassiere, hierzulande und auch anderswo …

Ins Großherzogtum immigrierte Benilde Martins im Jahr 1992. Die Luxemburger Nationalität hat sie aber nicht angenommen – und das wird sie auch nicht. „Ich weiß nicht, was mir das bringen soll. Ich bin sowieso schon viel patriotischer als so mancher Luxemburger.“

Europa mangele es mit seinen mehr als 500 Millionen Bürgern an Durchsetzungsvermögen. Leider würde man allzu oft den USA, China und Russland das Feld überlassen. „Wir haben keine Führungsrolle. Das ist eine große Gefahr und sollte so nicht weitergehen“, sagt Benilde Martins abschließend. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.


Jim Glod, 30

„Dajee alt, ech affere mech gären“, sagt Jim Glod lachend, der in der „Brillschoul“ unterrichtet. Der 30-Jährige unterbricht sogar seinen Plausch mit einer Bekannten, die es an diesem Nachmittag ohnehin eilig hat. „Nein, ich habe keine Angst um Europa. Wir müssen jedoch achtgeben, dass wir weiterhin am Ball bleiben und uns genug in Szene setzen und unsere Meinung kundtun.“ Gerade jetzt, wo China immer mehr zur Wirtschaftsmacht schlechthin mutiere, gehe es darum, in Europa weiterhin ein möglichst attraktives Umfeld für Investoren aus aller Welt zu bieten, so Jim Glod.

„Ich denke auch, dass es wichtig ist, Errungenschaften wie Reisefreiheit und gemeinsame Währung nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen oder daran in irgendeiner Form zu rütteln.“
Etwas, was ihm Sorgen macht, ist indes das Thema illegale Einwanderung. „Es geht in dem Zusammenhang nicht darum, die Grenzen dichtzumachen, um es mal so zu formulieren, sondern darum, die Situation angesichts der anhaltenden Flüchtlingskrise im Blick zu halten und die Übersicht zu bewahren.“

Und der Brexit? Jim Glod fährt sich mit der Hand durch seinen Bart: „England ist ja noch nicht ganz verloren, auch wenn es gegenwärtig nicht gut aussieht. Spaß beiseite: Der Brexit wird Europa schwächen. Das könnte einen Dominoeffekt zur Folge haben. Das wäre fatal.“ Den Anfängen des aufkommenden Nationalismus gelte es, etwas entgegenzusetzen. Bei ihm und seinen Schülern steht das Thema Europa dieser Tage auch in der Schule auf dem Programm. Es hat einen festen Platz im Unterricht. Und das sei gut, so der Grundschullehrer.


Gérard Cayotte, 60

„L’Europe a permis d’évoluer. Sinon chaque pays serait resté dans son petit coin. Ça il ne faut jamais l’oublier.“ Der Franzose Gérard Cayotte, Bäckermeister in der rue de la Libération und Mitglied des Escher Geschäftsverbandes, ist gerade mit seinem Hund unterwegs. Auch er vertritt klare Meinungen – und zwar für Europa: „Vergangenes Wochenende lud der Front national diesen Amerikaner ein … Das ist extrem gefährlich. Man muss diese Tendenzen bekämpfen.“

Steve Bannon, „selbst ernannter Chefideologe der rechtspopulistischen Bewegungen“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihn kürzlich bezeichnete, macht gegenwärtig Wahlkampf für Marine Le Pen in Cayottes Heimatland. „Man kann mit allen reden – mit den Grünen, den Konservativen und den Sozialisten. Aber man soll nicht mit den Extremisten diskutieren. Sollten diese noch stärker werden, wäre dies eine Gefahr und eine Katastrophe.“

Gérard Cayotte wünscht sich nichts, dass viele seiner Landsleute wählen und sich gegen den Front national aussprechen werden. Es gelte nun, Europa zusammenzuhalten und an einem Strang zu ziehen – „China hin, China her“. „Und wenn wir ein starkes und einiges Europa sind, dann können wir uns mit ihnen weiterentwickeln.“

Was ihm übel aufstößt, ist indes das Thema – wie er es bezeichnet – „esclavage moderne“. Menschen aus Osteuropa, die für Hungerlöhne arbeiten müssen. Genauso wie die Tausenden Lkw-Fahrer, die unter menschenunwürdigen Bedingungen malochen. „Diejenigen, die die Verantwortung haben, müssen auch Entscheidungen treffen. Wenn sie das nicht tun, muss man auch mal mit der Faust auf den Tisch hauen, auch wenn man sich gegebenenfalls damit nicht beliebt macht.“


Bianca Leardini, 57

Der aufkommende Nationalismus macht auch Bianca Leardini aus Zolver Angst. Zusammen mit ihrem Ehemann flaniert sie durch die Geschäfte in der Alzettestraße. „Es wäre gut, wenn die Menschen das auch wieder öfter machen würden, anstatt alles per Internet zu bestellen. Ansonsten geht der lokale Handel bald vor die Hunde“, so die 57-Jährige.

Sie wünscht sich eine hohe Wahlbeteiligung am kommenden Wochenende. „Wenn weniger Menschen wählen, kommt dies immer den rechtspopulistischen Parteien zugute.“ Angst mache ihr, dass nicht ausreichend über diese Gefahr geredet wird. „Wir waren am Wochenende in Fulda. Da hingen Wahlplakate der NPD, auf denen waren Sprüche drauf, wie es sie auch in Nazideutschland gab. Auch hierzulande wird leider nicht ausreichend über ‚braune Tendenzen‘ diskutiert.“

Dabei seien all diese Akteure „so smart“ geworden. In ihren Augen können sie sich sehr gut vermarkten. „Leider denken viele nicht so, da sie sich der Konsequenzen nicht bewusst sind. Wenn wieder Grenzen kommen, dann ‚gute Nacht, Europa‘.“ Was sie sich wünscht? „Ein sozialeres Europa. Denn dann haben diese nationalistischen Tendenzen keine Chance. Wir in Luxemburg sind noch auf einer Insel.“

Und das Klima? „Zu viele Lobbyisten haben zu viele Interessen. So einfach ist das, ‚basta‘!“, sagt Bianca Leardini energisch. „In meinen Augen ist die Lösung für diese Problematik, an einem Strang zu ziehen. Und vor allem den Ländern, die im Automobilsektor führend sind, weniger Macht zu geben. Denn die haben die Entwicklung hin zur E-Mobilität verschlafen.“ Es sei entscheidend, zusammenzuarbeiten.


Georges Werdel, 54

„Mit meinen Kunden spreche ich nie über Politik“, sagt Metzgermeister Georges Werdel. Beim Thema Europa muss er erst mal nachdenken. „Kommen Sie in einer Stunde noch mal wieder, dann kann ich Ihnen etwas dazu sagen.“

Der 54-Jährige beklagt vor allem mangelnde Transparenz. „Wie funktioniert Europa eigentlich und welchen Einfluss haben unsere sechs Vertreter in diesem ganzen Gebilde? Und damit meine ich insbesondere den auf die Luxemburger Politik und auf unser alltägliches Leben.“ Kummerfalten bekommt er bei dem Gedanken daran, dass vielen das Hemd näher ist als die Hose. „Das ist ja konträr zu dem ursprünglichen Grundgedanken. Es wird nicht an einem Strang gezogen.“

Unsicher ist er sich bei einer Antwort darauf, wie groß der Einfluss Europas noch ist und welcher Stellenwert dem „alten Kontinent“ zwischen USA, China und Russland zukommt. „Vielleicht müsste ich mich dafür mehr interessieren“, sagt er. Wirklich bewegen tut ihn jedoch die Frage nach der Transparenz. Und damit steht Georges Werdel nicht alleine da.