StandpunktDie wirtschaftliche Kraft der Gendergerechtigkeit

Standpunkt / Die wirtschaftliche Kraft der Gendergerechtigkeit
 Foto: Editpress/Julien Garroy

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Kaum ein Konzept hat für die größten Herausforderungen und politischen Prioritäten mehr Bedeutung als „Inklusion“, das Motto des Weltfrauentags. Inklusives Wachstum, das der ganzen Gesellschaft zugutekommt, ist die Grundlage für wirtschaftlichen Wohlstand, sozialen Zusammenhalt, Wettbewerbsfähigkeit und geopolitische Stabilität. Dafür brauchen wir eine „gerechte Transition“, die alle Teile der Gesellschaft mitnimmt. Dann können wir mit Klimaschutz und digitaler Transformation eine Welt schaffen, die nachhaltiger und sicherer für alle ist.

Gleichstellung und gleiche Rechte sind nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch ökonomisch unverzichtbar. Mehr Gendergerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt könnte das Bruttoinlandsprodukt in Schwellen- und Entwicklungsländern um fast acht Prozent anheben, zeigen Studien des Internationalen Währungsfonds (IWF). Bei vollständiger Schließung der Genderkluft wäre das Plus in diesen Ländern mit durchschnittlich 23 Prozent sogar noch größer.

Diversität und gleiche Rechte für Frauen in Entscheidungsprozessen, in der Wirtschaft und in der Politik, führen zu besseren Ergebnissen. Wenn wir das verfügbare Potenzial konsequent nutzen, optimieren wir unsere Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit. Das ist auch entscheidend im Kampf gegen den Klimawandel und für mehr Wohlstand weltweit – gerade jetzt, wo die geballten Folgen von Klimakrise, Pandemie und Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine viele bereits sicher geglaubten Erfolge gefährden.

Rentaber, nachhaltiger und stabiler

Dieses Jahr sind zudem weltweit vier Milliarden Menschen zu Wahlen aufgerufen, und umso wichtiger ist es, die positive Wirkung von mehr Gendergerechtigkeit hervorzuheben. So belegen etwa Analysen der Europäischen Zentralbank, dass ein Prozentpunkt mehr Frauen an den Schalthebeln von Unternehmen die Treibhausgas-Emissionen um 0,5 Prozent nach unten bringt. Die Europäische Investitionsbank hat herausgefunden, dass frauengeführte Unternehmen im Bereich Umwelt, Soziales und Governance (ESG) besser abschneiden. Laut IWF sind diese Unternehmen auch rentabler. Zudem gehen ausgewogen besetzte Führungsgremien bei Banken mit mehr finanzieller Stabilität und besseren Ergebnissen einher. Daraus folgt: Die großen Herausforderungen unserer Zeit meistern wir nur mit mehr Inklusion – in der Breite und an der Spitze.

In diesem Zusammenhang sind bereits klare Fortschritte erkennbar: Immer mehr Frauen gründen heute Unternehmen, trotz Problemen bei der Finanzierung. Daten der Weltbank für 71 Länder zeigen, dass in 45 von ihnen unter den Alleineigentümern von Unternehmen immer mehr Frauen sind. Wie können wir auf solche Fortschritte aufbauen? Eine Studie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung verweist hier zum Beispiel auf die Erfolge sogenannter Blending-Programme, die Mittel aus verschiedenen Quellen kombinieren. Sie helfen Frauen, an Kredite zu kommen und ihr Geschäft auszuweiten.

Frauen treffen oder beeinflussen ferner 80 Prozent der Entscheidungen, wenn es um den Kauf von Konsumgütern geht. Unternehmen sind also gut beraten, weibliche Sichtweisen und Erfahrungen zu berücksichtigen, wenn sie ihre Produkte besser „an die Frau“ bringen wollen. Frauen sind meist auch umweltbewusster, was ein Grund für die wachsende Nachfrage nach grünen Finanzdienstleistungen ist. Ein Drittel der Kundinnen und Kunden weltweit wäre bereit, für nachhaltige Finanzdienstleistungen einen Aufschlag von bis zu 25 Prozent zu zahlen.

Strategien für den Umgang mit Ungleichheit

Ein weiteres wirtschaftliches Argument für mehr Inklusion: Untersuchungen zufolge korreliert ein Mehr an Frauen in der Unternehmensleitung mit einem Mehr an Informationen über CO2-Emissionen. Zudem kontrollieren Frauen mittlerweile 40 Prozent des weltweiten Vermögens und wollen in eine nachhaltige Zukunft investieren. 74 Prozent bekunden Interesse, den Anteil der ESG-Anlagen in ihren Portfolios zu erhöhen, verglichen mit 53 Prozent der Männer. Unternehmen, die Frauen übergehen, verpassen daher eine Chance, sich von ihren Wettbewerbern abzusetzen.

Frauen haben jahrzehntelang Strategien für den Umgang mit Ungleichheit entwickelt. Das macht uns auch so wertvoll für Organisationen, die die Welt verändern wollen. Aufgrund unserer Erfahrungen mit Ausgrenzung und Ungleichheit haben wir oft ein besseres Gespür dafür, wo Veränderungen nötig sind und wo die Wirkung unternehmerischer oder politischer Entscheidungen auf andere zu berücksichtigen ist. Entsprechend setzen sich beispielsweise Länder mit einem höheren Frauenanteil im Parlament stärker für Umweltabkommen und Klimastrategien ein.

Die Fähigkeiten von Frauen sind ein wichtiger Motor des wirtschaftlichen Fortschritts und liefern wichtige Lösungsansätze für die Klimakrise. Frauen stehen bereits an der Spitze einiger der einflussreichsten Finanzinstitutionen der Welt und wirken auch in der Politik immer mehr und führend mit. Während es nun gilt, auf ein nachhaltigeres Wachstumsmodell umzustellen, an dem alle teilhaben, müssen wir Frauen dabei vorweggehen. Wir haben die einmalige Chance, die Inklusion voranzutreiben und auch andere dafür zu gewinnen – als Weg in eine bessere Zukunft.


* Nadia Calviño ist die Präsidentin der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg. Kristalina Georgieva ist die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds. Odile Renaud-Basso ist die Präsidentin der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.

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