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Jüdische Gemeinschaften aus New York City haben am 28. Dezember 2023 einen Protestmarsch organisiert, bei dem der Opfer des Gaza-Krieges, insbesondere der Kinder, gedacht wurde Foto: Getty Images via AFP/Spencer Platt

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Kriege haben die Menschheit noch immer begleitet. In seinem Standard-Werk „Gewalt“ liefert Harvard-Professor Steven Pinker eine beeindruckende Geschichte des gegenseitigen Abschlachtens des Homo sapiens, der vermeintlich mit großer Intelligenz behafteten menschlichen Spezies.

Allein die hebräische Bibel, auf deren Botschaft sowohl das Christentum wie auch der Islam aufbauen, enthält mehr als 600 Passagen, „in den ausdrücklich davon die Rede ist, wie Nationen, Könige oder Einzelpersonen andere angreifen, zerstören und ermorden …“, wobei Gott Jahwe „an mehr als 100 Stellen ausdrücklich den Befehl (erteilt), Menschen zu töten“ (Bibelforscher Raymond Schwager).

Doch nicht nur Menschen sind gewalttätig. Selbst die Natur ist kein Paradies perfekter Harmonie. Für den Evolutionsbiologen Richard Dawkins („Das egoistische Gen“) sind Tiere „Überlebensmaschinen“, die „ihre unsterblichen Gene für die Zukunft verwalten und vor nichts zurückschrecken, um deren Fortbestand zu sichern“. Steven Pinker schreibt: „In großen Teilen der Natur ist Gewalt einfach der Normalzustand.“

Löwen, Krokodile, Haie töten andere Lebewesen, um zu überleben und sich fortzupflanzen. Viele Insekten, selbst viele Pflanzen sind Parasiten, die andere Teilhaber der Natur ausnutzen.

Für Steven Pinker gibt es zumindest bei den Menschen einen „Prozess der Zivilisation“, der über die Jahrhunderte zu einem Rückgang der brutalsten Gewalt in und zwischen den Konstrukten des menschlichen Zusammenlebens geführt hat. Die Zahl der Morde und ähnlicher Gewalttaten ist global rückläufig. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges endeten zwischenstaatliche Konflikte bis auf wenige Ausnahmen (Korea, Vietnam, Irak-Iran-Krieg) weniger blutig. Dennoch gab es seit 1945 weltweit 250 militärische Konflikte, mit rund 50 Millionen Opfern. Gegenüber 75 Millionen Toten im Zweiten Weltkrieg. Laut Pinker „zögernde und unvollständige Fortschritte zwar, aber unverkennbare Fortschritte zweifellos“.

Dennoch, wie die Aktualität es leider beweist, gibt es kein Ende der Gewalt. Steven Pinker schreibt: „Die Kräfte der Moderne – Vernunft, Wissenschaft, Humanismus, individuelle Rechte – haben natürlich nicht stetig nur in eine Richtung gezielt; sie werden auch nie in eine Utopie führen oder die Reibungen und Verwundungen beenden, die mit dem Menschen einhergehen“. Daher: „Einseitiger Pazifismus ist eine Verliererstrategie,und gemeinsamer Frieden liegt für alle außerhalb der Reichweite.“

Kants Traum

Das 1795 veröffentlichte Traktat „Zum Ewigen Frieden“ von Immanuel Kant bleibt leider ein Traum. Die brutalste Machtpolitik ist zurück. In der Ukraine, in Gaza. Es toben Bürgerkriege in Jemen, im Sudan, in Myanmar. In der Sahel-Zone. Es drohen Kriege in vielen Weltteilen, um Korea, Taiwan, den Iran, gar ein Einfall Venezuelas in Guyana.

Die „Friedensdividende“, die das Ende des Kalten Krieges in der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts brachte, ist längst aufgebraucht. Heute investieren alle Staaten massiv in „Verteidigung“. Wobei alle Waffensysteme auch zum Angreifen gedacht sind.

Während besonders im Westen die „Händler des Todes“ lange die Schmuddel-Kinder der Wirtschaft blieben, erfreuen sich die Waffen-Produzenten nunmehr massiver Unterstützung. Selbst das Europäische Parlament stimmte mit großer Mehrheit für die Programme zur Aufrüstung der EU.

Die Waffenindustrie gehört zu den Boom-Sektoren der europäischen Wirtschaft. Gebremst nur durch Nimby-Reaktionen in deutschen und französischen Kommunen, wo verängstigte Bürger und damit Lokalpolitiker gegen Munitions-Produktion in ihrem Hinterhof prozessieren.

Im Jahr 2022 überstiegen die weltweiten Rüstungsausgaben 2.240 Milliarden Dollar. 2024 werden es viele Milliarden Dollar zusätzlich sein. Allein die NATO-Europäer werden 480 Milliarden Dollar ausgeben, davon zwei Drittel für den Kauf von amerikanischem Militär-Material. Die USA produzieren rund 40 Prozent aller weltweit genutzten Waffen.

Tatsache ist jedenfalls, dass die kriegsführenden Parteien immer größere Schwierigkeiten haben, den Nachschub für ihre Kriegshandlungen zu organisieren. Scheinbar benötigt die Ukraine täglich 5.000 Granaten, während Russland 8.000 bis 10.000 Geschosse pro Tag verfeuert.

Die EU gab sich Kredite, um 2024 mindestens eine Million Artillerie-Geschosse zu produzieren. Das Ziel ist nicht zu erreichen. Geliefert hat Europa bislang einige 300.000 Geschosse.

Sinnlose Materialschlachten

Kriege steigern sich zu enormen Material-Schlachten. Schon im Ersten Weltkrieg wurden an allen Fronten 1,4 Milliarden Granaten verfeuert. Im Zweiten Weltkrieg warf die Royal Air Force, unterstützt von US-Bombern, rund 1,6 Millionen Tonnen Bomben auf Deutschland und auf die von den Nazis besetzten Gebiete ab. Zirka 350.000 Deutsche starben. Es gab 60.000 Tote in Frankreich. Die US-Bombenangriffe auf Japan töteten eine halbe Million Japaner, davon um die 100.000 durch die Atom-Bomben auf Hiroshima und Nagasaki.

Angesichts dieser Unmengen an Bomben, Granaten und anderen Geschossen muss man sich fragen, wie effizient der Masseneinsatz solcher Waffensysteme ist.

Olivier Wieviorka, in seiner „Totalgeschichte des Zweiten Weltkrieges“, errechnete durchschnittlich zwei Tote pro Bombe. Als die Luftwaffe 1940 die britische Industriestadt Coventry attackierte und 500 Bomber 1.500 Tonnen Sprengbomben abwarfen, blieben bloß 15.000 der 75.000 Gebäude der Stadt unbeschädigt. Es starben aber „nur“ 568 Menschen. Als Anfang Februar 1945 die RAF 4.000 Tonnen Bomben auf Dresden abwarf, wurde die 630.000 Einwohner zählende Stadt zu 60 Prozent zerstört. 25.000 Menschen fielen den Flächen-Bombardements zum Opfer.

Die Militärgeschichte der Menschheit ist ein nicht abreißender Wettlauf um bessere Waffensysteme, wobei schon sehr früh auf Masse gesetzt wurde. Die Briten erfanden den Longbow, mit dem ein guter Schütze 12 bis 16 Pfeile pro Minute auf eine Distanz von über 200 Meter abschießen konnte. 1415, bei der Schlacht von Azincourt, schossen 7.000 englische Bogenschützen 80.000 Pfeile auf den berittenen französischen Adel ab. Dabei starben mehr als 1.000 Reiter. 600 ergaben sich. Der Rest flüchtete.

Experten schätzen, dass bei dem permanenten Schlagabtausch zwischen Russen und Ukrainern kaum 8 Prozent aller Geschosse ihr Ziel treffen. Seit Jahresende lässt Putin wieder verstärkt ukrainische Städte mittels Hyperschall-Raketen, Marschflugkörper und elektronisch gesteuerten Drohnen beschießen. In weniger denn einer Woche wurden rund 500 solcher Präzisionswaffen abgefeuert, wobei in Kiew und Charkow einige 40 Zivilisten starben. Für die Betroffenen und ihre Familien eine Tragödie. Doch der finanzielle Aufwand der Attacken scheint überproportional zum Resultat, zumal es der Ukraine scheinbar gelang, durch ihre Luftabwehr die große Mehrheit der Geschosse abzufangen, selbst wenn es Kollateralschäden durch abstürzende Trümmerteile gab.

Es gibt kaum Angaben über die Kosten der russischen Raketen und anderen Cruise Missiles. Bekannt ist, dass ein einziges Luftabwehrsystem wie das von den Europäern gelieferte „IRIS-T“ an die Ukraine 140 Millionen Euro kostet. Da werden schnell auf beiden Seiten Milliarden „verbraten“, die mit Sicherheit besser einzusetzen wären, um die Probleme der Menschheit zu lösen.

Krieg und Klima

Kaum erwähnt werden die Folgen der Kriegshandlungen in der Ukraine, in Gaza und anderswo auf die Zunahme der Klimagase, die in den offiziellen Statistiken über den globalen Emissionen nicht erscheinen. Dabei verbrennt ein Kampfjet in einer Stunde mehr Treibstoff als ein normal genutztes Auto in sieben Jahren. Auch Raketen, Marschflugkörper und Drohnen benötigen Unmengen Energie. für deren Produktion sowie beim Abfeuern.

Die NGO „Climate Crossfire“ errechnete, dass allein die NATO-Streitkräfte 2021 jnsgesamt 196 Millionen Tonnen CO2 verursacht haben. Für 2023 wurde der „ökologische Fußabdruck“ der NATO auf 226 Millionen Tonnen CO2 geschätzt. Über die Klima-Auswirkungen der russischen und weiteren Angriffe gibt es nur Vermutungen. Einer Untersuchung des „Conflict and Environment Observatory“ zufolge entfallen etwa 5,5 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen auf das Militär. Das ist mehr, als die zivile Schiff- und Luftfahrt zusammen emittieren. Oder so viel, wie Handys und andere moderne Kommunikationsmittel verursachen. Alles kein Thema für die 100.000 COP-Touristen in Dubai.

Krieg bleibt die Geißel der Menschheit. Aber wie sagte der Dichter Francis Scott Fitzgerald: „Man sollte sehen, dass die Dinge ohne Hoffnung sind, und dennoch entschlossen sein, sie zu ändern!“

Robert Goebbels ist ein ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter
Robert Goebbels ist ein ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter Foto: Editpress/Didier Sylvestre
den tutebatty
10. Januar 2024 - 14.56

Wie will resp. soll man Dinge ändern, die hoffnungslos sind? Die grössten Denker, Philosophen, Dichter usw. sind auch nur Menschen und schreiben so Manches das nicht unbedingt stimmen muss.

Leila
7. Januar 2024 - 21.20

Romain C.: Gut erkannt!

Romain C.
7. Januar 2024 - 9.41

Da Bomben und Granaten nicht effizient zu einer Entscheidung führen und es oft bei einem Stellungskrieg bleibt, muss der geniale Mensch irgendwann zur Überzeugung gelangen dass er die vorhandenen Atomwaffen einsetzen muss um einen Sieg zu erringen!....Er kann nichts dafür, die Evolution und der Kampf zum Überleben zwingt ihn dazu.Sieger wird die Natur sein die den Krebs Mensch nicht vermissen wird....