LeserforumTreibjagd in der Hauptstadt

Leserforum / Treibjagd in der Hauptstadt
Symbolfoto Foto: Editpress-Archiv/Julien Garroy

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Sehr geehrter Herr Minister Léon Gloden, als Innenminister sind Sie zuständig für die Sauberkeit in den Städten und Ortschaften. Um Ihr Ziel zu erreichen, haben sie zu einer Treibjagd aufgerufen, mit Tatatü und Trallala, wie das nun mal so üblich ist für diese Art von Jagd. Da sie zusätzlich auch noch Polizeiminister sind, stehen Ihnen aus Ihren eigenen Reihen die nötigen Treiber zur Verfügung, die auch für die Weiterverarbeitung und Entsorgung des erlegten Wildes zuständig sind. Diese werden auch die Arbeit von Hetzhunden übernehmen, müssen allerdings an der Leine geführt werden zur Sicherheit der Passanten. Ihre Entscheidung hat viele Gegner auf den Plan gerufen, die vehement dagegen protestieren, dass Sie sich selbst und Ihren Leuten in einer Stadt die Erlaubnis zum Jagen erteilten. Da die Wahlen abgeschlossen sind und es noch lange bis zu den nächsten ist, brauchen Sie sich keine Sorgen um Ihr Amt zu machen, bis dahin ist der Unmut abgeklungen. Ob die unbelehrbaren Jagdgegner sich zu einer weiteren Petition aufraffen können, glaube ich nicht. Bei Menschen dieser Art ist sehr schnell die Luft raus und sie suchen sich ein neues Feld, um ihren Frust abzubauen.

Sie sind mit Ihren ganz persönlichen Vorstellungen doch etwas von den traditionellen Jagdformen abgewichen, deshalb gibt es offene Fragen zu beantworten. Erstmals scheint es mir, als ob Sie wenig Unterstützung von Ihren Kolleginnen und Kollegen bekommen würden. Bei so einem heiklen Thema eigentlich normal, dass manche nicht in die Schusslinie geraten wollen. Mir fiel auf einem Gruppenfoto auf, dass alle anderen Regierungsmitglieder sich eng zusammen in trauter Einigkeit haben ablichten lassen, während Sie mit etwas Abstand seitwärts standen. Ich möchte nicht unbedingt eine Symbolik darin sehen und nachfragen, ob die Gruppe von Ihnen oder Sie von der Gruppe abgerückt sind. Bestimmt lag es an dem schusseligen Fotografen, der im falschen Moment geknipst hat. Dass die ganze Geschichte durch ein Gesetz getragen wird, mit klar abgesteckten Grundregeln, bei denen auch die eventuell entstehenden Kollateralschäden samt Ihrer finanziellen Entschädigungen festgelegt werden, ist für eine Musterdemokratie wie unsere eine Selbstverständlichkeit.

Ihre Vorgehensweise ist für unser ansonsten friedliches Ländchen doch etwas befremdend, deshalb fehlen zu meinem Verständnis noch etliche Erklärungen. Wie steht es mit den Jagdzeiten? Ist das betreffende Wild ganzjährig zu erlegen oder werden ihm feste Schonzeiten gewährt? Ist eine gewisse Nachzucht erwünscht, damit der Spaß erhalten bleibt, oder geht es um die totale Ausrottung? Dann komme ich zu dem wichtigsten Punkt: die Art des Wildes. So wie ich mit meiner begrenzten Intelligenz verstanden habe, sollten die Bettler betroffen sein. Wer ist ein Bettler?

Definition aus dem Internet: Bettler sind Menschen, die ihren Lebensunterhalt ganz oder teilweise aus Almosen – milden Gaben anderer – bestreiten. Meistens wird um Geld gebettelt. Also, nach meinen Schlussfolgerungen ist ein Bettler im Gegensatz zum Dieb, der fremdes Eigentum einsteckt, ohne den Eigentümer darum zu bitten, ein Mensch mit Respekt. Arm, aber gut erzogen. Er bittet und ich entscheide, ob ich ihm was zustecke oder nicht. Bettelnde Musiker haben es leichter, sie tun was für ihr Geld und werden von mir das ganze Jahr über belohnt, nur nicht in der Weihnachtszeit, da ich an einer Dudel-Allergie leide. Die Spannweite unter denjenigen, die um etwas bitten, ist sehr breit. Es ist deshalb von großer Wichtigkeit, im Gesetz deutlich festzulegen, welcher der verschiedenen Bittsteller eigentlich in Zukunft erlegt werden soll.

Es beginnt schon in der Familie von jung auf. „Papa, gib mir bitte etwas Geld, ich möchte mir ein Eis kaufen.“ Später im Leben: „Ach Du mein allerbestes Schnuckelchen, ich habe einen wunderschönen Fetzen im Schaufenster gesehen. Gib mir doch bitte Deine Karte, Du wirst stolz auf mich sein.“ Erlegen, bestrafen oder tolerieren? Als Messdiener zog ich mit meinem Bettelsack durch die Reihen der Gläubigen, die schon etwas Kleingeld bereithielten. Vor denjenigen, die der Meinung waren, ihr Pfarrer solle doch Traubensaft statt teuren Messwein trinken, blieb ich so lange stehen, bis seine Nachbarn sich räusperten und Sie oder Er dann doch noch verschämt irgendwo die kleinste aller Münzen hervorkramte und spendete. Dieser Akt, zu dem wir von Gottes Vertretern angehalten wurden, grenzte an Nötigung, war aber sicher eine Belästigung oder gar der Versuch einer Bloßstellung von Menschen in der Öffentlichkeit. Was würde ich heute tun? Melden, erlegen, wen, mich selbst? Der gutgekleidete Herr, der mich in der Fußgängerzone um eine Zigarette anschnorrt und zugleich Feuer dazu? Bettler, festhalten? Die zahlreichen Briefe aller möglichen Hilfsorganisationen, die mir seit Monaten ins Haus schneien? Klare und deutliche Bettelei und versuchte Körperverletzung an dem schwer schleppenden Briefträger. Notieren, melden? Wahlzeit. Von den Beleuchtungsmasten herab grinsen Frauen und Männer uns an und … na was schon, sie betteln. Betteln um Stimmen, mit Versprechen, die sie nie halten können, lügende Bettler oder bettelnde Lügner? Melden, wo, wem? Während dieser Zeit in der Hauptstadt auf den Bürgersteigen: stumpfsinnig vor sich hin starrende, schweigsame, ärmlich gekleidete Menschen, neben sich eine Bettelbüchse. Mitten im Gewühl, Tische und Schirme aufgebaut, behangen mit großen Sprüchen. Menschen, die verschiedenfarbige Schirmmützen tragen und sich gegenseitig anschreien. Ich versuche mich ungesehen vorbeizuquetschen, werde am Arm gefasst und zu Boden gerissen, am Hals gepackt, angeschrien, Jacke und Mund vollgesteckt mit farbig bedrucktem, ekelerregend schmeckendem Papier. In einem günstigen Augenblick kann ich mich aus der entstandenen Keilerei entwinden und ergreife die Flucht. Beschwerde bei der Polizei. Wurde abgewimmelt. „Nicht vor den Wahlen, von denen könnte jeder in 14 Tagen mein Hauptvorgesetzter sein.“ Nach diesem Ereignis ist mir im Nachhinein klar, welche Art es unweigerlich auszurotten gilt: die blutrünstigen Politiker-Bettler. Während der Wahlkampagne, die einzigen bettelnden Menschen, die mich je angefasst und dabei mein Leben in Gefahr gebracht haben. Herr Rambo II, bitte tun Sie Ihre Pflicht.

Werner
1. Januar 2024 - 15.20

@Phil / Ganz genau, und mit richtigem Rititi lockt man Elefanten an.

Phil
31. Dezember 2023 - 14.03

Mit Speck fängt man Mäuse... umgekehrt fängt man mit keinem Speck keine Mäuse. Wenn Passanten konsequent NICHTS geben würden, wäre der Spuk in 6 Monaten vorbei!

benschul
29. Dezember 2023 - 16.01

Und jetzt? Das stimmt genau. Weil auf der Straße täglich Raser erwischt werden, müssen sie zahlen. Es wird aber deswegen den anderen unschuldigen Fahrern nicht integral der Führerschein abgenommen. Auch ein noch so schwer zu bewegender Staat müßte es doch schaffen, die Spreu vom Weizen zu trennen.

benschul
29. Dezember 2023 - 15.52

Ich möchte zu gerne wissen, was diese Akion der Entrümplung bisher schon gekostet hat und noch kosten wird. Dieses Geld wäre besser in der Hilfe solcher Menschen angelegt + einem kleinen Bonus. Und wieder wurde das Volk nicht um seine Meinung gefragt, obschon es unser Geld ist das hier verplempert wird. Wenn ich bei meinem Nachbarn Kirschen pflücke ohne seine Einwilligung, bin ich ein Dieb. Sind denn Abgeordnete Luxusdiebe die über dem Gesetz stehen? Wenn ich bedenke: bei der Abstimmung ist es leicht über die Hälfte, die mit Ja stimmt. Dagegen steht das ganze machtlose Volk. Vor den Wahlen eine Demokratie, nach den Wahlen eine Diktatur.

Leila
29. Dezember 2023 - 12.12

P.S. Die Gratis-Standplätze unter Auflagen: Plätze sind sauber und abgeräumt zu verlassen!

Und jetzt?
29. Dezember 2023 - 12.01

Es ist wie bei allem, ein paar sehr agressive unmanierliche fürterliche haben der Mehrheit der Bettler dies eingebrockt.

Leila
29. Dezember 2023 - 11.59

Wie könnte transparente Hilfe, sichtbar für alle Bürger, aussehen? Z.B. ein Wochenmarkt ohne Standgebühren, auf dem handwerklich oder künstlerisch Veranlagte, (die sonst auf der Strasse sind - und nur sie an diesem Tag!), ihre Kunsterzeugnisse anbieten dürfen (nicht zu verwechseln mit Trödelmärkten). Die Petruss würde sich dafür anbieten. Gleichzeitig bekommen sie ihre Würde zurück, wenigstens einmal die Woche. Der Gutmensch beruhigt sein Gewissen, indem er dem Bettler grosszügig "erlaubt" egal wo zu sitzen... In Urlaubsländern, wie Tunesien beispielsweise, lassen sie ihre eigenen Bettler nicht in die Souks.

benschul
29. Dezember 2023 - 11.12

Schön zu lesen, dass Ihr meine Auffasung teilt. In anderen Großstätten ist es genau so wie bei uns. Menschliches Leid wird zum Abfallprodukt der Gesellschaft erklärt und entsorgt. Hier bei uns, wo ein abgewählter Minister nach 10 Jahren mit hohem Gehalt, auch noch 2 Jahre sein Gehalt weiter bezieht, ist es ein krasser Gegensatz und eine vom Staat gesteuerte Unmenschlichkeit. Einerseits die Reichen, denen als Perspektive nur noch weiterer Reichtum bevorsteht, anderseits dass diese Wesen, die genau so Mensch sind wie sie, ausgerechnet auf Grund ihrer Entscheidungen gezwungen werden ihren Elend abseits der Gesellschaft auszuleben. Es ist nicht Hilflosigkeit vor der Problematik, sondern reine Bequemlichheit die unsere Politiker von einem Umdenken abhällt.

de Schmötten Hein
29. Dezember 2023 - 8.28

In Sachen Armut versagt überall, in jedem Land, die Politik. Die Wirtschaft steht absolut an erster Stelle und natürlich das Wachstum. O.K. Aber wer profitiert davon? Die Armen und Bedürftigen bleiben auf der Strecke und die Ärmsten der Armen sind einer Treibjagd ausgesetzt.Sie darf es einfach niccht geben in unserer Konsumgesellschaft.

de Schmötten Hein
29. Dezember 2023 - 8.24

In Sachen Armut versagt überall, in jedem Land, die Politik. Die Wirtschaft steht absolut an erster Stelle und natürlich das Wachstum. O.K. Aber wer profitiert davon?

liah1elin2
29. Dezember 2023 - 0.44

@Leila Stimmt, die meisten Städte haben dieses Dilemma, das spricht sie aber nicht frei, nur weil sie "Hilfe" anbieten. Diese Hilfen sind kaum einsehbar und transparent. Herr Frieden meinte ja auch, dass geholfen wird, nur nicht wie. Das sind leider Floskeln, kommen im Moment gut an in den Medien, haben leider keinen Inhalt. Zudem wurde und wird in der Prävention zu wenig getan, wie leider überall.

Leila
28. Dezember 2023 - 21.05

Luxembourg ist weder die erste noch die einzige Stadt mit Betteleinschränkung, auch in Basel, Wien, München usw. ist Betteln in bestimmten Strassen nicht erlaubt und alle bieten Hilfe für die Bedürftigen an. Eine Einschränkung ist kein generelles Verbot. Heute Morgen war Maurice Bauer auf Sendung. Was er sagte, war nachvollziehbar.

jean-pierre.goelff
28. Dezember 2023 - 16.28

...frei nach dem Motto:neue Besen kehren gut!Ein Armutszeugnis erster Klasse!

liah1elin2
28. Dezember 2023 - 12.38

Danke Herr Schultheis, interessante Perspektiven die Sie uns aufzeigen. Doch am Ende bleiben leider nur die Bettler übrig, die in der Arena "Luxemburg" gejagt werden, ist am einfachsten und die gewillten Bürger haben ihre "Spiele". Was in der Antike klappte ist heute noch beliebt. Es ist einfach eine Schande wie unsere Regierung mit den Ärmsten und Bedürftigen umgeht.