Festival de Cannes (19)Eine „Americana“ der Gier: „Killers of the Flower Moon“

Festival de Cannes (19) / Eine „Americana“ der Gier: „Killers of the Flower Moon“
Darauf haben Scorsese-Fans sehnsüchtig gewartet: In „Killers of the Fower Moon“ spielen Robert De Niro und Leonardo Di Caprio Onkel und Neffe   Courtesy of Apple

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„I like money“ betont Ernest Burkhardt (Leonardo Di Caprio) immer wieder. Sein Onkel William Hale (Robert De Niro) hat ihm ein lukratives Angebot gemacht. Durch die Eheschließung mit einer Indianerin des Osage-Stammes in Oklahoma soll er zu einem großen Vermögen gelangen, denn auf deren Land wurde Öl gefunden. Die Ureinwohner, denen das Land rechtmäßig zusteht, sind da plötzlich reicher als all jene ehemals weißen Siedler – ein Spannungsfeld und das zentrale Konfliktmoment von Martin Scorseses neuem Film „Killers of the Flower Moon“.

Situiert an der Schnittstelle zwischen Western- und Gangsterzeit und mit seiner beachtlichen Laufzeit von dreieinhalb Stunden, erzählt Scorsese noch einmal nach „Gangs of New York“ eine blutige Gründungsgeschichte Amerikas, die an Michael Ciminos „Heaven’s Gate“ oder noch Sergio Leones „Once upon a time in the West“ erinnert.

Da bestehen zwischen Leone und Scorsese durchaus Ähnlichkeiten: Da wie hier erinnern die „establishing shots“ der Landschaft am Anfang an dieses mythische Moment. Burkhardt, gerade aus dem Krieg in Europa zurück, steigt aus dem Zug und unvermittelt spürt man seine Ahnung für das Land, das er betritt. Die Erdölplattformen, die prominent ins Bild gesetzt sind, bilden den Ausgangspunkt für dieses breite Epos.

Von da aus strukturieren eine Reihe von Eheschließungen und Morden das Geschehen, das Scorsese mit einer Mischung aus der Ernsthaftigkeit des Thrillers und dem Interesse am historischen Stoff schildert. In diesem historischen Rekonstruktionswillen, der die Würde der indigenen Bevölkerung nicht berührt, fügt sich ein Gestus der stilvollen Überhöhung, eine Form des Hyperrealismus, für den auch komödiantische Einlagen tonangebend sind.

Lose an der gleichnamigen Romanvorlage von David Grann angelehnt, wird hier von einem Kriminalfall aus den 1920er Jahren erzählt – rund zwanzig Morde soll William Hale als Drahtzieher in Auftrag gegeben haben. Die Ereignisse dürfen wohl als später Ausgang einer Historie stehen, die mit der gewaltsamen Besiedelung des Westens ihren Anfang nahm. An den Western-Sheriff, gleichsam der Ordnungshüter aus der Not heraus, erinnert nur noch der Stern an der Wand, ein Anhängsel als Erinnerungsstück an wilde Zeiten und die rauen Herausforderungen, die sich an die Westerner stellten.

Aus dieser Mischung aus eigenwilliger Rechtsvorstellung, weißem Überlegenheitsgedanken und der Idee der unbegrenzten Möglichkeiten erwächst eine Maßlosigkeit, auch in den Gewalttaten gegenüber der indigenen Bevölkerung, denen das Land in dieser Logik kapitalistischen Exzesses nochmals genommen werden darf.

Dass es denn auch die grenzenlose Gier nach mehr Geld ist, die die Figuren antreibt, schreibt diesen Film nahtlos in das Werk Scorseses ein – für die Figuren Scorseses ist Geld immer schon Religion gewesen. Tatsächlich wirken dieser William Hale und dieser Burkhardt ein bisschen wie die Vorfahren von Ace Rothstein in „Casino“ oder Jordan Belfort aus „The Wolf of Wall Street“ – die Ähnlichkeit beschränkt sich da nicht nur auf das äußere Erscheinungsbild von DeNiro und DiCaprio.

Es ist Scorseses meisterhafte Leistung, dass er beides in den Bildern sichtbar macht, die merkwürdige Mischform dieser Gesellschaft und die Niedertracht, die in dem verübten Unrecht an den Indianern steckt. Die Etablierung einer neuen Ordnung auf amerikanischem Boden muss sich vor der Ausgangsbasis der einstigen gewaltvollen Landnahme durchsetzen – mit der Gründung des FBI ist eine staatliche Fahndungsinstitution erstmals am Ermitteln.

Verzweifelt, fast schon mitleiderregend wirken die Figuren dieses Films, die gegenüber den Umbrüchen der Gesellschaft wie verloren erscheinen. Normale Menschen würden nicht aus besserer Moralvorstellung agieren, aber mit mehr Intelligenz, hier sind die Figuren einfach nur dumme Dilettanten, die in ihrer Dümmlichkeit die eigenen Fehler nicht bemerken. Fehler, die aber auch aus einer „selbstverschuldeten Werdung“ dieser neuen Nation resultieren.

Blickt man auf das Gesamtwerk Scorseses, kommt einem dieser Prozess ein bisschen unfair vor, unfair, weil den zwielichtigen Helden dieses Films die Kenntnisse rund um die Ausführung des perfekten Verbrechens, im Gegensatz zu den ‘Goodfellas’ oder den Börsenhaien der Wallstreet, noch fehlen – niemand weiß so recht, was das FBI eigentlich ist, noch wie sie operieren. Zeugenaussagen und -gegenüberstellungen sind für sie fremde Begriffe.

Die Komik, die Scorsese erzeugt, steht im krassen Widerstreit zu den Taten, das setzt das Unbehagen gegenüber dem Gezeigten erst recht frei. Die Justiz, das Gesetz, der Gerichtsprozess, alles wirkt wie eine Farce, weil sich ein allgemeingültiges Rechtssystem erst etablieren muss.

So wie die Taten Burkhardts immer rückgratloser werden, so wird Scorseses Erzählhaltung immer achtsamer: Da erhebt sich zu den Klängen von „Guide Me O Thou Great Jehovah“ in der Interpretation der Indian Bottom Association of old Regular Baptists eine Feuerwand in die Luft, dahinter sind nur noch schemenhafte Körper zu erkennen – Scorsese schafft mit Bildern und Tönen eindringliche Stimmungen, die erschüttern.

Darin liegt die ganze Kunst von Scorseses Blick auf den Gangster: Er sieht ihn, er versteht ihn sogar ansatzweise, aber er verzeiht ihm nicht – ein Kino der ausbleibenden Vergebung. Die letzte Einstellung von „Killers of the Flower Moon“, eine vertikalaufsichtige Rückfahrt der Kamera, belegt denn auch umso mehr die würdevolle Haltung, mit der Scorsese dem indigenen Volk begegnet.