Auf der Zielgerade zu dem von Budapest ohnehin kräftig verwässerten Öl-Embargo gegen Russland tratt Ungarn erneut auf die Sanktionsbremse. Mit Verweis auf die Bedeutung der Religionsfreiheit forderte Budapest, den russisch-orthodoxen Partriachen Kyrill von den EU-Sanktionen auszunehmen: Mit dem erneuten Einspruch Ungarns konnte das neue verschärfte Sanktionspaket der EU nicht in Kraft treten.
„Es geht nicht um Religionsfreiheit“, ist das Portal „hvg.hu“ überzeugt: Dass Premier Viktor Orban mit dem Putin-Vertrauten Kyrill einen Kirchenfürsten verteidige, der den „Krieg mit angezettelt“ habe, deute auf ein „ideologisches Bündnis zwischen Putin und Orban“ hin, das über die angeführten wirtschaftlichen Interessen weit hinausgehe.
Tatsächlich scheinen Ungarns russophile Amtsträger bei ihren wochenlangen Störmanövern gegen das Öl-Embargo oft ganz andere Ziele zu verfolgen, als sie offiziell vorgeben. Wochenlang beteuerten sie beispielsweise, dass Ungarns Wirtschaft ohne das Öl aus der russischen „Druschba“-Pipeline kaum überleben könne. Doch nur wenige Stunden nach dem EU-Gipfel, bei dem sich Ungarn die vorläufige Befreiung von allen Embargo-Verpflichtungen erstritt, läutete Außenminister Peter Szijjarto eine auffällige Kehrtwende ein: Mit Kroatiens Energieminister Davor Filipovic besprach er den Ausbau der Adria-Pipeline.
Die Versorgungslage sei dank der von Orban erstrittenen Ausnahmeregelung zwar „sicher“, so Szijjarto: Doch die Diversität der Bezugsquellen bleibe der „Schlüssel für eine volle Energiesicherheit“. Weniger die Sorge vor einer zu starken Abhängigkeit von Moskau als die Angst vor dem Kiewer Grollen ist es, die Budapest plötzlich verstärkt auf Transportalternativen zu den Pipelines aus dem Osten setzen lässt. „Wir haben gehört, dass die Ukrainer mit dem Stopp von Transitlieferungen drohen“, so Szijjarto.
Doch egal, ob Adria- oder Druschba-Röhren: das per Pipeline über Land oder von der kroatischen Adria-Küste nach Ungarn gepumpte Öl bleibt bis auf Weiteres dasselbe. In Brüssel hat sich Ungarn nicht nur das Recht zugesichert, über die Druschba-Pipeline „vorläufig“ weiter billiges russisches Öl zu beziehen. Zeitlich noch unbefristet ist auch die den EU-Partnern abgepresste Garantie, russisches Öl notfalls auch auf dem Seeweg importieren zu können, falls die Druschba-Pipeline ausfallen sollte.
Mol-Konzern mit Rekordgewinnen
Mehrmals hatte Orban ein Öl-Embargo mit einer „Atombombe“ für die heimische Wirtschaft verglichen. Tatsächlich hat der fast zehn Millionen Einwohner zählende Binnenstaat keinen direkten Zugang zum Meer – und hängt zu 65 Prozent von Öl- und gar zu 85 Prozent von Gaslieferungen aus Russland ab. Doch es scheint weniger die Angst um die Energiesicherheit als die Sorge um die einträglichen Geschäfte des heimischen Mol-Konzerns mit russischen Billigöl, die Budapest entschlossen den Embargo-Bremser mimen lässt.
Mol mache „erhebliche Gewinne“ mit dem günstigen Kauf und gewinnträchtigen Verkauf russischen Billigöls, so Tamas Pletser, Energie-Experte der Ersten Bank. Tatsächlich wies der Mol-Konzern im ersten Quartal dieses Jahres eine rekordverdächtige Gewinnsteigerung von 38 Prozent auf.
Wegen der Sanktionen ist der Preis für russisches Öl deutlich unter dem anderer Förderländer gesackt. Lag der Barrel-Preis von Ural-Öl zu Jahresbeginn rund 2 Dollar unter dem von Brent-Öl, ist der Preisunterschied nun auf 30 bis 40 Dollar geklettert. Ein vollständiges Öl-Embargo hätte die Mol-Gewinne „um viele, viele Prozent reduzieren“ können, so das Wirtschaftsportal „napi.hu“: Ungarns Veto-Drohung sei eher „von Profit als von Schwierigkeiten diktiert“ gewesen.
Orban und Szijjarto lügen über das Öl-Embargo. Sie haben Angst um ihren Geldbeutel.
Keinerlei Schwierigkeiten dürfte der Ausbau der Adria-Pipeline verursachen, mit deren Hilfe sich Ungarn von der Druschba-Pipeline abnabeln könnte. Laut Kroatiens Premier Andrej Plenkovic ist nur eine Investition von acht Millionen Euro nötig, um deren Kapazität innerhalb eines Monats um 30 Prozent zu erhöhen – genug, um Ungarns zusätzlichen Bedarf zu decken.
Sondersteuer auf Treibstoff aus Ungarn
Bei der hartnäckigen Abwehrschlacht gegen das missliebige EU-Embargo hatte Außenminister Szijjarto Mitte Mai gar die aberwitzige Summe von 15 bis 18 Milliarden Euro ins Spiel gebracht, die für die Finanzierung einer kompletten Umstellung der ungarischen Energiewirtschaft vonnöten seien. Später sprach Orban von 750 Millionen Euro, die für die Umrüstung der Raffinerien auf andere Rohölsorten nötig wären. „Orban und Szijjarto lügen über das Öl-Embargo. Sie haben Angst um ihren Geldbeutel“, ätzt die ungarische Zeitung Nepszava.
Wie eilig es Budapest mit der Abkehr vom russischen Öl überhaupt hat, muss sich erst noch zeigen: Auf die Vorgabe klarer Fristen wurde beim EU-Gipfel verzichtet. Ungarn habe den EU-Partnern „klargemacht“, dass es „auch in vier bis fünf Jahren“ noch nicht zur Abnabelung von seinen russischen Energiequellen in der Lage sein werde, „geschweige denn bis zum Jahresende“, erklärte diese Woche Orbans Kabinettschef Zoran Kovacs.
Wann immer das abgeschwächte Öl-Embargo in Kraft treten kann: Vorläufig wird Ungarn zu Kriegszeiten vom lukrativen Handel mit dem russischen Billigöl weiter profitieren. Ab 2023 will Brüssel immerhin den Weiterverkauf von Öl aus der Druschba-Pipeline an die EU-Partner verbieten lassen. Die slowakische Regierung hat vorsichtshalber bereits eine Sondersteuer von 30 Prozent für die Mol-Tochter Slovnaft abgesegnet. Die Sondersteuer sei eine „Steuer auf Kriegsgewinne“, so Finanzminister Igor Matovic.
De Maart
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