Aus der Ukraine wurden auch in der Nacht zum Freitag heftige Kämpfe gemeldet. Im Nordosten zogen sich nach Angaben des ukrainischen Generalstabs aber einige russische Verbände hinter die Grenze zurück. Sie hätten hohe Verluste erlitten, teilweise mehr als die Hälfte ihrer Kräfte, hieß es. Die Angaben aus dem Kriegsgebiet waren nicht unabhängig überprüfbar. Allerdings bestätigten in den vergangenen Tagen auch US-amerikanische und britische Quellen, dass ukrainische Kräfte östlich und nordwestlich der Hauptstadt Kiew erfolgreiche Gegenangriffe unternommen hätten. Die westlichen Militärmächte beobachten das Geschehen mit Satelliten.
Im Großen und Ganzen sind die grundlegenden Aufgaben der ersten Etappe der Operation erfüllt
Ungeachtet der Berichte über hohe Verluste hat der russische Generalstab nach einem Monat Krieg in der Ukraine allerdings ein positives Fazit gezogen – und eine Strategie-Umkehr angedeutet. „Im Großen und Ganzen sind die grundlegenden Aufgaben der ersten Etappe der Operation erfüllt“, sagte der Vizechef des russischen Generalstabs, Sergej Rudskoj, am Freitag der Agentur Interfax zufolge. „Das Kampfpotenzial der ukrainischen Streitkräfte wurde erheblich reduziert, das ermöglicht es, ich betonte das noch einmal, die Hauptanstrengungen auf das Erreichen des Hauptziels zu richten – die Befreiung des Donbass.“
Der Westen sieht es anders
Nach Ansicht westlicher Militärexperten reagieren die russischen Streitkräfte mit der Darstellung auch auf die stockenden Vorstöße auf größere Städte wie Kiew, Charkiw und Mykolajiw. Ein hochrangiger Vertreter des US-Verteidigungsministeriums sagte in einem Briefing mit Journalisten mit Blick auf die russischen Truppen: „Sie sind auf den Donbass konzentriert.“ Ein russischer Vormarsch auf die Hauptstadt Kiew sei derzeit nicht zu beobachten. „Sie graben sich ein, sie bauen Verteidigungspositionen auf.“

Der Pentagon-Vertreter sagte weiter: „Offensichtlich haben sie ihre Fähigkeit, Kiew einzunehmen, überschätzt. Und offen gesagt haben sie ihre Fähigkeit überschätzt, irgendein Bevölkerungszentrum einzunehmen: Und sie haben den ukrainischen Widerstand eindeutig unterschätzt.“
Tausende Tote nach vier Wochen Krieg
Erstmals seit dreieinhalb Wochen veröffentlichten die Russen Zahlen zu Verlusten ihrer Armee. Es seien 1.351 russische Soldaten getötet und 3.825 Soldaten verletzt worden, teilte der Generalstab mit. Experten gehen allerdings von mehreren Tausend toten russischen Soldaten aus, die Ukraine spricht von 16.000 getöteten russischen Soldaten. Auf ukrainischer Seite seien 14.000 Soldaten getötet und 16.000 weitere verletzt worden, hieß es aus Moskau. Die Ukraine selbst hatte zuletzt am 12. März von rund 1.300 getöteten Soldaten in den eigenen Reihen gesprochen. Die Zahlen sind nicht überprüfbar.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte den Angriff am 24. Februar unter anderem mit der Begründung angeordnet, den als unabhängig anerkannten ostukrainischen Separatistengebieten Donezk und Luhansk beizustehen. Der Kreml behauptet, ukrainische Nationalisten verübten in der Region einen „Genozid“ an der russischsprachigen Bevölkerung. Dafür gibt es keine Belege.
Als weitere Ziele des Angriffs auf das Nachbarland hat Moskau unter anderem benannt: ein neutraler Status der Ukraine, die „Entmilitarisierung“ und „Entnazifizierung“ des Landes sowie die Anerkennung der 2014 annektierten ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim als russisch.

Wie viele Operationsphasen vorgesehen sind, sagte Rudskoj nicht. Die „militärische Sonderoperation“, wie Russland den Krieg nennt, werde fortgesetzt, bis die von Oberbefehlshaber Putin festgelegten Aufgaben vollständig erfüllt seien. „Ursprünglich hatten wir nicht geplant, (die großen Städte) zu erstürmen, um Zerstörungen zu verhindern und Verluste unter Soldaten und Zivilisten zu minimieren“, sagte Rudskoj. Dies sei aber nicht mehr ausgeschlossen.
Lawrow spricht von „totalem Krieg“
Inzwischen seien 93 Prozent des Gebiets Luhansk und 54 Prozent des Gebiets Donezk nicht mehr unter ukrainischer Kontrolle, sagte Rudskoj. Die ukrainischen Streitkräfte hätten gut ein Viertel ihrer zunächst knapp 60.000 Soldaten in der Gegend verloren. Der Kampf um Mariupol gehe weiter, sagte Rudskoj. Er hob auch hervor, dass in den vergangenen sieben Tagen kein Söldner mehr in die Ukraine gekommen sei, die Zahl dieser Kräfte sinke.
Russland kündigte derweil als Reaktion auf zusätzliche Truppen an der NATO-Ostflanke an, seine Truppen an der Westgrenze aufzustocken. Die NATO hatte wegen des Kriegs ihre Verteidigungspläne aktiviert und an der Ostflanke 40.000 Soldaten dem direkten Kommando des Bündnisses unterstellt. Moskau warf dem Westen vor, mit den Sanktionen Krieg gegen Russland zu führen. „Heute haben sie uns einen echten hybriden Krieg erklärt, den totalen Krieg“, sagte Außenminister Sergej Lawrow. (AFP, dpa)
Letzte Fahrt nach Helsinki
Eine der letzten direkten Verbindungen zwischen der EU und Russland wird eingestellt: Wie der finnische Bahnbetreiber VR am Freitag mitteilte, fährt der Allegro-Schnellzug zwischen der russischen Metropole St. Petersburg und der finnischen Hauptstadt Helsinki am Sonntag vorerst zum letzten Mal. Der beliebte Allegro-Schnellzug fuhr bislang zweimal täglich. Die russische Ukraine-Invasion hatte die Nachfrage nach Tickets für den Zug deutlich steigen lassen.
Bisher habe VR im Einklang mit den Anweisungen der Behörden den Betrieb des Allegro-Schnellzugs aufrechterhalten, um den Zugang finnischer Staatsbürger zu ihrem Heimatland sicherzustellen, erklärte der Vizechef des Bahnunternehmens, Topi Simola. „Menschen, die Russland verlassen wollten, hatten dazu in den vergangenen Wochen Gelegenheit.“
Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar hatte der Westen harte Sanktionen verhängt. Die EU schloss den Luftraum für russische Flugzeuge. Der Allegro-Schnellzug gewann dadurch extrem an Bedeutung. In den ersten zwei Wochen nach Beginn des Krieges waren die meisten der Züge voll besetzt.
Um den Allegro-Schnellzug von St. Petersburg aus nutzen zu können, müssen Passagiere bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Unter anderem müssen sie sich als russische oder finnische Staatsbürger ausweisen können. Russen müssen zudem ein Visum sowie einen Nachweis vorlegen, dass sie vollständig mit einem in der EU zugelassenen Corona-Impfstoff geimpft sind. Der in Russland am meisten verbreitete Impfstoff Sputnik ist in der EU nicht zugelassen. Die meisten Russen, die in den vergangenen Wochen mit dem Allegro-Zug in Finnland ankamen, leben dauerhaft in der EU.
De Maart
D'Drauwen haenke wuel ze héich!