Samstag25. Oktober 2025

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„Mann ohne Schamgefühl“Britischer Premier Johnson entschuldigt sich für „Partygate“ in Corona-Zeiten

„Mann ohne Schamgefühl“ / Britischer Premier Johnson entschuldigt sich für „Partygate“ in Corona-Zeiten
Wenig überzeugend: Johnson bei einem Besuch im Hafen von Tilbury am Montag Foto: dpa/Matt Dunham

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Eine Spitzenbeamtin spricht von Führungsversagen in der Downing Street, der Oppositionsführer hält Boris Johnson für ungeeignet fürs Amt und auch aus der eigenen Partei gibt es die volle Breitseite. Der britische Premier geht gerade durch harte Zeiten.

Der Premierminister ist „ein Mann ohne Schamgefühl, für höchste Ämter ungeeignet“ – die Veröffentlichung eines ersten Berichts über die zahlreichen Lockdown-Partys in der Downing Street hat Labour-Oppositionschef Keir Starmer zu einem brutalen Angriff auf Boris Johnsons Charakter und Urteilsfähigkeit genutzt. Im Unterhaus geriet der Regierungschef am Montagnachmittag auch unter schweren Beschuss von Parteifreunden. Er wolle die Arbeitsweise in der Regierungszentrale verbessern, beteuerte Johnson: „Ich mache weiter meinen Job.“

Weil seit vergangener Woche zusätzlich auch die Kriminalpolizei ermittelt, lieferte die Spitzenbeamtin Sue Gray lediglich eine „Fortschreibung“ ihrer Untersuchung zahlreicher Lockdown-Partys in der Downing Street ab. Fazit: Am Regierungssitz der sechstgrößten Wirtschaftsmacht der Welt gab es „erhebliches Führungs- und Urteilsversagen“ sowie „schwer zu rechtfertigendes Verhalten“. Einige der insgesamt 16 Events „hätten nicht stattfinden dürfen“, der massive Alkoholkonsum am Arbeitsplatz sei inakzeptabel.

Details der diversen Feiern blieb Gray mit Verweis auf Scotland Yard schuldig. Dort würden jetzt „500 Seiten Dokumente sowie mehr als 300 Fotos analysiert“ und anschließend Zeugen befragt, teilte die zuständige Kriminaloberrätin Catherine Roper mit. Ihre Untersuchung werde „nicht länger als ein Jahr“ dauern.

Entweder hat mein ehrenwerter Freund die Regeln nicht gelesen oder er und die Menschen um ihn herum haben nicht verstanden, was sie bedeuteten, oder sie dachten, die Regeln würden nicht für (Downing Street) Nummer 10 gelten. Was davon war es?

Theresa May, Johnsons Vorgängerin

Dass die Londoner Polizeipräsidentin Cressida Dick vergangene Woche plötzlich eigene Ermittlungen ankündigte, sorgte im Regierungsviertel Westminster zunächst für Aufregung, später für Misstrauen. Letzteres wurde vergangenen Freitag durch zwei Medienmitteilungen verstärkt: Man habe Sue Gray darum gebeten, „nur minimal“ auf jene Ereignisse einzugehen, die von der Kriminalpolizei untersucht werden – logischerweise handelte es sich dabei um die offenkundigsten Lockdown-Verletzungen. Aber nein, hieß es wenige Stunden später, man wolle natürlich der Spitzenbeamtin keineswegs ins Handwerk pfuschen.

Die dilettantische Öffentlichkeitsarbeit der wichtigsten Polizeibehörde des Landes spiegelt das Chaos von Dementis, Teilgeständnissen, Entschuldigungen und Ausflüchten wider, mit dem der Premierminister und seine Leute das Land in den vergangenen acht Wochen je nach Gemütslage entsetzt oder unterhalten haben.

Viel wird jetzt an Theresa May hängen

Den ersten Bericht über eine Weihnachtsfeier im Advent 2020, als in London längst alle sozialen Zusammenkünfte verboten waren, versuchte die Pressestelle der Downing Street noch zu bestreiten. Kurz darauf tauchte ein Video auf, in dem sich Regierungssprecherin Allegra Stratton und Johnsons engste Mitarbeiter den Kopf darüber zerbrachen, wie sie die illegale Feier kennzeichnen sollten: „Es war nur Wein und Käse, können wir das sagen?“ Stratton trat zurück, Johnson entschuldigte sich im Unterhaus und teilte mit, er habe von nichts gewusst: „Ich bin selbst wütend und angeekelt.“

Geschürt von seinem früheren Ex-Chefberater Dominic Cummings kamen immer neue Details ans Licht – auch über Events, an denen Johnson selbst zweifelsfrei teilgenommen hatte. „Ich dachte, es handele sich um ein Arbeitstreffen“, entschuldigte dieser seine Anwesenheit bei einer Gartenparty, zu der sein Privatsekretär im Mai 2020 mehrere Dutzend Menschen eingeladen hatte („Bringen Sie Ihre eigenen Getränke mit“). Schließlich stellte sich auch heraus, dass im Juni 2020 bis zu 30 Leute im Kabinettssaal dem Chef zum 56. Geburtstag gratuliert hatten, zusammengetrommelt von dessen Frau Carrie, damals 32.

Im Unterhaus kündigte Johnson ein neues „Amt des Premierministers“ mit eigenem Staatssekretär an. Seit mehr als zwei Jahrzehnten beschweren sich die Bewohner des Hauses mit der berühmten schwarzen Tür darüber, dass die Regierungszentrale den Anforderungen des 21. Jahrhunderts nicht mehr entspricht. Er wolle außerdem die Regierungseffizienz durch bessere Koordination des Kabinetts stärken, sagte der Premierminister.

Als Reaktion auf sein Statement entzog ihm der frühere Kabinettsminister Andrew Mitchell das Vertrauen. Johnsons Vorgängerin im Amt, Theresa May, machte durch ihre Frage tiefe Skepsis deutlich, dass der Premierminister seine Vorgehensweise ändern wird. Auch andere Torys machten deutlich, dass sich der Regierungschef nicht auf ihre Unterstützung verlassen kann.

Mitte Januar hatte es noch so ausgesehen, als würde sich die kritische Masse von 54 Tory-Abgeordneten finden, die für eine Misstrauensabstimmung gegen den Chef in der 359-köpfigen Fraktion nötig sind. In den vergangenen Tagen aber gingen Johnsons Unterstützer gegen die eigenen Fraktionskritiker in die Offensive. Der nichtsahnende Premier sei „sozusagen mit einer Torte überfallen“ worden, rechtfertigte Nordirland-Minister Conor Burns die illegale Geburtstagsfeier und konstatierte am Sonntagabend erleichtert: „Die Kollegen sind von der Felskante zurückgewichen.“ Die ganze Debatte sei „alberner Unfug“, donnerte Ben Houchen, der junge Regionalbürgermeister der Region um die Tees-Mündung im englischen Nordosten: „Wer für Boris’ Rausschmiss votiert, stimmt unserer Niederlage bei der nächsten Wahl zu.“

Ob dies erfahrene Politiker wie May und Mitchell auch so sehen? Von ihrer Reaktion wird abhängen, ob Johnson die schwere Krise überstehen kann.

zeyen
1. Februar 2022 - 15.56

"Alle Menschen sind gleich.Nur manche sind eben gleicher."