Cornel Josef Bocks „Verbraucherpolitik“ ist ein Referenzwerk des Konsumentenschutzes. Von „sklavischer Abhängigkeit von Waren und Geräten“ geht darin die Rede, von einer Welt, die „als Phantom und Matrix ins Haus geliefert“ wird. Der Autor spricht von „neuen Kommunikationsmitteln“ und von Entwicklungen, die als „Zeichen des Übergangs zu einer reiferen oder verwesenden Gesellschaft“ betrachtet werden.
Diese komplexen Zeilen könnte man auf die Folgen der Digitalisierung im 21. Jahrhundert anwenden. Dabei wurden sie vor mehr als 60 Jahren verfasst. Zu einem Zeitpunkt, an dem die Bemühungen der Nachkriegsjahre erste Früchte trugen. An dem im Westen die Wirtschaft floriert und Luxemburg einen neuen Boom erlebt, an dem auch viele Gastarbeiter teilhaben wollen. Immer mehr Waren gehören zum Konsumalltag. Und immer mehr Menschen sparen für den Traum vom eigenen Auto.
Früh erkennen sieben Gewerkschaften und Kooperativen im Großherzogtum, dass sich die Gesellschaft in Richtung Massenkonsum bewegt. Die Zeit ist reif für einen Dienst, der den Verbrauchern den Rücken stärkt und dem Handel auf die Finger klopft. So entsteht am 14. Dezember 1961 die erste Luxemburger Konsumentenschutzvereinigung. Doch während andere Organisationen dem Fortschritt zum Opfer fallen, gewinnt die Mission der „Union luxembourgeoise des consommateurs“ (ULC) im Laufe der Jahrzehnte an Bedeutung.
Information ist ihr Kerngeschäft
Die Verbraucher informieren und vor Benachteiligungen schützen, ihre Rechte verteidigen, die Qualität der Produkte sichern: Das sind die Ziele des Luxemburger Konsumentenschutzes. „Das Verbraucherrecht und der juristische Schutz des Konsumenten sind komplexe Materien“, unterstreicht Präsident Nico Hoffmann. Die Aufgabe der ULC sei es, die Gesetzgebung mitsamt all ihren Vorgaben, Möglichkeiten und Regelungen so verständlich wie nur möglich den „Otto Normalverbrauchern“ zu vermitteln.
„Oft aber melden sich die Leute erst bei uns, wenn das Kind bereits im Brunnen liegt“, so der langjährige Gewerkschaftler. Leider seien dann schon Regeln gebrochen, Fristen längst abgelaufen. „Deshalb ist es unser oberstes Anliegen, die Menschen zu kritischen Verbrauchern zu erziehen, die rechtzeitig reagieren.“ 44.000 Mitglieder, darunter viele Familien, vertritt die Vereinigung inzwischen gegenüber Dienstleistungsunternehmen und Händlern. Eine Zahl, die in den letzten Jahrzehnten konsequent gewachsen ist.
„Zu uns kommt der Verbraucher, wenn er ein Problem oder eine Frage hat. Die Vermittlung von Informationen gehört zu unserem Kerngeschäft“, erklärt der Vorsitzende. Individuelle Beratungsgespräche und juristischer Beistand in Fällen, die durch die Instanzen müssen, ergänzen das Angebot der ULC, die aufgrund einer Konvention mit dem Staat auch Nicht-Mitgliedern beratend zur Seite steht.
Juristischen Beistand in komplexen Dossiers erhalten indessen nur Mitglieder. Sollte der Fall letztendlich bei Gericht landen, übernimmt die ULC sogar die Hälfte der Kosten. „Bei einer maximalen Summe von 10.000 Euro“, fügt Nico Hoffmann hinzu. Somit sei der Mitgliedsbeitrag von 70 Euro für einen gesamten Haushalt durchaus gerechtfertigt, wie der Präsident anmerkt.
Allein im letzten Jahr sei die Verbraucherschutzzentrale mit 5.300 Streitfällen belangt worden. Diese wurden von elf Mitarbeitern und vier Juristen bearbeitet, die von der ULC im sogenannten „Service contentieux“ beschäftigt werden. Die Erfolgsquote ist beeindruckend: Mehr als 99 Prozent der Anträge konnten auf direktem Wege bereinigt werden. In nur 0,5 Prozent der Fälle musste das Dossier den Weg über die juristischen Instanzen antreten. „Unsere Leute leisten hervorragende Arbeit“, sagt der Präsident.
Nico Hoffmann sieht es aber nicht nur als Aufgabe der ULC, den Akteuren auf die Finger zu klopfen, sondern auch ins Gewissen zu reden. „Uns wird oft vorgeworfen, nur auf Kritik aus zu sein. Als kritischer Partner aber wollen wir erreichen, dass beide Parteien von der Situation profitieren. Denn: Wenn die Qualität stimmt, bleiben Kunden einem Anbieter über Jahre hinweg treu“, betont Hoffmann.
Petitionen und Sammelklagen
Mit dem Siegeszug des Internets hat der Verbraucherschutz ganz neue Dimensionen angenommen. Wichtig erscheint es dem ULC-Vorsitzenden, dass die Politik europäischen Richtlinien rasch nachkommt. Wie etwa der Regelung zu Sammelklagen, die in Luxemburg noch nicht umgesetzt wurde. So vertritt der Konsumentenschutz aktuell vier Luxemburger Kunden in der Dieselgate-Affäre. Es sei dies ein langwieriges Verfahren, das die ULC bereits teuer zu stehen gekommen sei.
Auch im Netz lauern etliche Gefahren auf Menschen, die mit den jüngsten Entwicklungen schwer Schritt halten konnten. Besonders ältere Semester tun sich immer noch schwer mit den neuen Technologien. Es sei deshalb die Mission der ULC, darauf zu achten, dass diese Menschen nicht auf der Strecke bleiben, so Hoffmann.
So ist der Luxemburger Konsumentenschutz in den letzten Jahren gleich zweimal gegen überteuerte Gebühren bei grundlegenden Bankgeschäften zu Felde gezogen. Zwischen 2017 und 2019 konnte die ULC zweimal die nötige Anzahl an Unterschriften sammeln, um Petitionen in eine Anhörung vor der Abgeordnetenkammer zu bringen. „Bis auf einige nette Worte ist aber nichts dabei herausgekommen“, meint der Präsident enttäuscht.
Neben den Banken wird auch die Luxemburger Post regelmäßig von der ULC ins Gebet genommen. Dem Verbraucherschutz ist die Schließung von Filialen ein Dorn im Auge, da immer noch viele ältere und gefährdete Bürger auf physische Schalter und die Hilfe der anwesenden Beamten angewiesen sind. Online-Dienste könnten keine Rechtfertigung dafür sein, diese Kunden im Regen stehenzulassen.
Auch werde die Zentrale aktuell mit vielen Anfragen von Bankkunden bezüglich der Luxtrust-Token befasst. Tatsächlich wollen Banken zur Identifizierung beim Online-Banking auf „LuxTrust-Mobile“ umsteigen. Diese Umstellung wird den Banken zwar durch europäische Richtlinien auferlegt, doch bleibt die Kritik bestehen: „Viele Bürger haben sich gerade erst an Bankgeschäfte im Netz gewöhnt. Und jetzt müssen sie sich wieder mit neuen Vorgängen anfreunden“, so Hoffmann.
Die Sache mit dem Bargeld
Für viel Aufregung hat bei den ULC-Mitgliedern zuletzt auch der kurzzeitige Verzicht aufs Bargeld während der Pandemie gesorgt. Hundert Anfragen erhielt die Verbraucherzentrale innerhalb kürzester Zeit. Und auch dieses Mal seien vor allem ältere Leute ohne Karten die Leidtragenden gewesen. „Da haben wir uns wirklich ins Zeug gelegt“, sagt Hoffmann, der sich diesbezüglich etwas mehr Unterstützung seitens der Regierung gewünscht hatte.
Tatsächlich hatten zu Beginn der Pandemie mehrere Läden und Unternehmen nur noch auf Kartenzahlung bestanden. Bargeld war aus sanitären Gründen unerwünscht, trotz anderslautender Erkenntnisse der Wissenschaft. Bis auf eine halbherzige Mitteilung des Finanzministeriums blieben die Behörden aber stumm. Die Hysterie ums Bargeld hielt aber nur einige Wochen. Inzwischen sind es andere Themen, die den Luxemburger Verbraucherschützern um Nico Hoffmann schlaflose Nächte bereiten.
So beschäftigt sich die ULC nicht nur mit stornierten Reisen und beschädigten Online-Lieferungen, sondern auch mit Lobby-Arbeit gegenüber den Behörden. „Damit die Kirche im Dorf bleibt“, so Hoffmann augenzwinkernd. Man habe etwa festgestellt, dass die Kaufkraft der Bürger in der Pandemie extrem zurückgegangen sei. Der Grund seien die explodierenden Rohstoff- und Lebensmittelpreise. Es sei unerlässlich, dass sich die Politik Gedanken darüber mache, wie man jene Menschen unterstützen kann, die am Ende des Monats kaum noch über die Runden kämen.
„Unser Hauptanliegen bleibt aber die Betreuung der Tausenden Verbraucher, die uns jedes Jahr aufsuchen, weil sie Rat und Unterstützung brauchen“, betont Nico Hoffmann.
Einen Wunsch zum 60. Geburtstag der Verbraucherschutzzentrale hat er auch: „Dass die ULC auch weiterhin als starke Organisation hinter den einzelnen Verbrauchern stehen kann“. Und: „Die baldige Umsetzung der EU-Direktive über Sammelklagen“, so Hoffmann mit einem Lachen.

De Maart

Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können