Sonntag19. Oktober 2025

Demaart De Maart

CoronaWegen niedriger Impfquoten droht auch Südosteuropa ein bitterer Advent

Corona / Wegen niedriger Impfquoten droht auch Südosteuropa ein bitterer Advent
Tief sitzende Impfskepsis: 90 Prozent von Rumäniens Corona-Toten von zuletzt rund 300 bis 400 pro Tag haben zu Lebzeiten keinerlei Impfung erhalten Foto: AP/dpa/Andreea Alexandru

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Die Balkanstaaten schlagen Alarm. Die Infektionszahlen explodieren. Die Covid-Kliniken sind völlig überfüllt. Und die sehr niedrigen Impfquoten fordern einen immer höheren Todeszoll: Epidemiologen sehen schon jetzt der weihnachtlichen Heimreisewelle der Gastarbeiter mit Sorge entgegen.

Die ersten installierten Lichterketten verbreiten in Zagreb vorweihnachtlichen Schein: Hoffnungsfroh rüstet sich Kroatiens Hauptstadt nach fast zweijähriger Zwangspause für die wichtigste touristische Attraktion des Jahres. „Der Advent wird uns viele Gäste bringen“, verkündete Martina Bienenfeld, die Chefin des Fremdenverkehrsamts, in dieser Woche bei der Präsentation der Pläne für den am 1. Advent beginnenden Weihnachtsmarkt: „Wir wollen die fröhliche Stimmung nach Zagreb zurückbringen.“

Doch statt stimmungsvollem Feiertagszauber steht den Kroaten erneut ein eher bitterer Corona-Advent bevor. Trotz einer sechssprachigen Website „Zagreb Advent“ und Sondertarifen für Zug- und Flugtickets werden die Zagreber beim Knabbern der Honiglebkuchen und bei den über 120 geplanten Konzerten des Weihnachtsmarkts vermutlich unter sich sein. Nicht nur den Küstenstaat hat das Europäische Gesundheitsamt ECDC in die tiefrote Zone mit „besonders hohem Risiko“ eingestuft: Wie beim EU-Neuling explodieren in ganz Südosteuropa die Infektions- und Todeszahlen.

Während Kroatiens 7-Tage-Inzidenz mittlerweile auf 946 (Stand: 11.11.) geklettert ist, weist das benachbarte Slowenien mit 1.117 derzeit gar den höchsten Wert der Welt auf. Die geringen Impfquoten in der Alpenrepublik, aber auch die Großdemonstrationen der Impfgegner in den letzten Wochen macht der in der Notaufnahme arbeitende Internist Janez Skerl (Name auf Wunsch geändert) in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana für die explodierenden Infektionszahlen verantwortlich: „Bei den Demos wurden keinerlei Präventivmaßnahmen eingehalten, im Gegenteil. Und das rächt sich nun.“

Bei den Demos wurden keinerlei Präventivmaßnahmen eingehalten, im Gegenteil. Und das rächt sich nun.

Ein in Slowenien in der Notaufnahme arbeitender Internist

Die überfüllten Covid-Kliniken könnten den Patientenandrang kaum mehr bewältigen, so Skerl. Gleichzeitig stehe wegen des Abzugs von Ärzten und Pflegern und der verminderten Aufnahmekapazitäten in allen Kliniken das Gesundheitssystem „vor dem Kollaps“: „Alle Korridore sind mit Betten überfüllt. In meiner Notaufnahme blieb wegen des Bettenmangels nun selbst ein 84-Jähriger über 24 Stunden auf seiner Bahre liegen. Es ist einfach traurig.“

Zumindest den bevorstehenden Auftakt der Wintersaison können Sloweniens Winterressorts schon jetzt abschreiben. Denn ein Ende der Krisenfahnenstange ist in der Alpenrepublik nicht in Sicht.

Sloweniens Gesundheitsorganisationen haben ihre Landsleute in dieser Woche dazu aufgerufen, wegen des drohenden Zusammenbruchs des Gesundheitssystem „alles zu tun“, um Behandlungen in den „nächsten ein, zwei Monaten zu vermeiden“. Die Chefin der Ärztekammer, Bojana Beovic, warnt, dass die Ärzte in den Intensivstationen bald gezwungen sein könnten zu entscheiden, welche Patienten behandelt werden und welche nicht: „Das ist das Härteste, was einem Arzt passieren kann.“

Und jetzt noch die Heimreisewelle der Gastarbeiter

Mit Sorge blicken Epidemiologen der Region der weihnachtlichen Heimreisewelle der Gastarbeiter in der Diaspora entgegen. Schon im Sommer pflegten sich viele der kontaktfreudigen Rückkehrer auch im Urlaub vom Corona-Regime zu wähnen – und das Virus kräftig zu verbreiten. Wie viele Arbeitsemigranten sich über die Feiertage aber tatsächlich in ihre Heimat aufmachen werden, dürfte letztendlich von den Rückreisebestimmungen abhängen: Die Aussicht, nach dem Urlaub noch zehn oder mehr Tage in der Haus-Quarantäne schmoren zu müssen, hatte viele im letzten Jahr auf die gewohnten Heimreisen verzichten lassen.

Ungeachtet der hohen Infektionszahlen werden auch im serbischen Belgrad erneut große Open-Air-Konzerte in der Silvesternacht geplant. Epidemiologen warnen indes vor dem Besuch von Feiern in geschlossenen Räumen. Denn zu dem durch die Delta-Plus-Variante erhöhten Infektionsrisiko gesellt sich in den Balkanstaaten eine tief sitzende Impfskepsis. Auch die teilweise sehr niedrigen Impfraten erhöhen den Todeszoll: So hatten beispielsweise 90 Prozent von Rumäniens Corona-Toten von zuletzt rund 300 bis 400 pro Tag laut Angaben der Behörden zu Lebzeiten keinerlei Impfung erhalten.

Mehr Impfungen nach neuen Regeln 

Nicht nur bei EU-Anrainern wie Albanien (32,1 Prozent), Montenegro (39 Prozent) oder Serbien (43,9 Prozent) ist noch nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung geimpft. Auch EU-Staaten wie Bulgarien (22,9 Prozent), Rumänien (30,3 Prozent), Kroatien (45,3 Prozent) oder Slowenien (53,6 Prozent) hinken dem EU-Mittel (65,8 Prozent) weit hinterher: 50 der 66 Corona-Toten, die in Kroatien am Donnerstag zu beklagen waren, seien ungeimpft gewesen, berichtet in Zagreb Premier Andrej Plenkovic: „Dies zeigt, wie wichtig es ist, die Impfungen zu intensivieren.“

Die Ankündigung von verschärften Zulassregeln in fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens hat in Kroatien indes nicht nur zu vermehrtem Andrang in den Impfzentren, sondern auch zu neuen Protesten der Impfgegner geführt. Als „satanisch“ geißelte ein Priester bei einer Kundgebung in Split die „moralische Vergewaltigung“ der Ungeimpften, die er mit der Verwüstung von Vukovar vor 30 Jahren während des Kroatienkriegs (1991-95) verglich: „Wir müssen für unser Recht gegen das Ungesetzliche kämpfen.“