„Für Wahlsieg Wintersaison riskiert“ – der Titel der Tageblatt-Vorschau auf die Landtagswahlen in Oberösterreich Ende September bewahrheitet sich nun. Deutschland schockte Österreichs Tourismusbranche gestern mit der Aufnahme der Alpenrepublik in die Liste der Hochrisikogebiete. Ungeimpfte und nicht genesene Deutsche müssen damit bei der Rückkehr aus Österreich zehn Tage in Quarantäne und können sich erst nach fünf Tagen freitesten.
Da die Sieben-Tage-Inzidenz in Österreich mit 779 fast dreimal so hoch ist wie in Deutschland, ist die Entscheidung der Berliner Regierung nachvollziehbar. Für Michaela Reitterer, Leiterin der Hoteliervereinigung, ist sie „eine atmosphärische Katastrophe“. Denn sie verunsichere auch die Geimpften. In den Wintersportorten hagelt es schon Stornierungen.
Ausgeblendete Pandemie
Bedanken können sich die Touristiker bei der rechtspopulistischen FPÖ und der neuen MFG-Partei, deren Anti-Impf-Propaganda auf fruchtbaren Boden gefallen ist, und bei den Regierungsparteien, insbesondere der ÖVP, die vor der Oberösterreich-Wahl das Thema Corona wahltaktisch ausgeblendet und die Pandemie im Sommer einfach für beendet erklärt hatte.
Noch an diesem Mittwoch wollte Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) trotz täglicher Neuinfektionsrekorde keinen Grund für einen Lockdown sehen, weil es noch genug Intensivbetten gebe. Gemeinsam mit dem Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) ließ er den grünen Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein mit dem Ansinnen eines Lockdowns für Ungeimpfte in den beiden Bundesländern abblitzen.
Spott über Virologen
Als wollte er FPÖ-Chef Herbert Kickl demagogisch überholen, ließ sich Haslauer auch noch zu Hohn und Spott über die seit vielen Wochen vor einer Eskalation warnenden Experten hinreißen: Den Virologen, so der Salzburger Landeschef, wäre es am liebsten, „wenn jeder einzelne Salzburger und Österreicher in ein Zimmer eingesperrt ist, weil da kann er sich nicht anstecken und er kann niemanden infizieren. Er wird halt dann leider aus Depression sterben oder verhungern oder verdursten“.
Einen Tag und 11.798 Neuinfektionen sowie 40 Covid-Todesfälle später brachten laute Proteste von verärgerten Virologen und überforderten Pflegekräften die Politik spät aber doch zur Vernunft. Nach einer Videoschalte mit Stelzer und Haslauer konnte Minister Mückstein doch noch einen Lockdown für Ungeimpfte verkünden. In Salzburg und Oberösterreich wird es am Montag so weit sein.
Kurz darauf werden im gesamten Bundesgebiet die Ungeimpften nur noch für dringende Erledigungen oder für eine kurzen Spaziergang vor die Haustür dürfen. Die Details sollen über das Wochenende abgeklärt werden, Sonntagabend soll im Parlament der entsprechende Beschluss fallen. Mückstein verkündete zudem eine Impflicht für alle Beschäftigten im Gesundheitsbereich. Nicht nur Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, sondern alle, die in Pflegeheimen und Spitälern arbeiten, müssen sich stechen lassen.
Lockdown für alle?
Einem generellen Lockdown auch für Geimpfte und Genesene erteilte Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) eine Absage: Es dürfe keine „Solidarität“ mit den Ungeimpften im Sinne eines Lockdowns für alle geben. Die Frage ist allerdings, wie diese Differenzierung in der Praxis funktionieren soll. Die Polizeigewerkschaft hat schon klargestellt, dass sie selbst „am Limit“ sei und die Kontrolle des selektiven Lockdowns, also ob sich im Einkaufszentrum Ungeimpfte unter Geimpfte mischen, nicht als ihre Aufgabe sehe.
Neben den praktischen Umsetzungsproblemen droht auch verfassungsrechtliches Ungemach: Ein Lockdown nur für Ungeimpfte müsste sachlich gerechtfertigt werden. Dies könnte jedoch schwierig werden: Zum einen steigen die Zahlen der Impfdurchbrüche, zum anderen können auch Geimpfte das Virus übertragen. Gelingt eine juristisch einwandfreie Begründung der Ungleichbehandlung von Geimpften und Ungeimpften nicht, könnte der nächste Schritt der Lockdown für alle sein.
All das wäre vermeidbar gewesen, hätten nicht des Denkens über den Wahltag hinaus unfähige Politiker, sondern die Experten das Sagen.
Wieder kostenlose Tests in Deutschland
Von diesem Samstag an sind in Deutschland wieder kostenlose Corona-Schnelltests für alle Bewohner möglich. Das legt eine Verordnung des geschäftsführenden Gesundheitsministers Jens Spahn fest, die am Freitag verkündet wurde. Die Regierung führt damit das vor rund einem Monat stark eingeschränkte Angebot der „Bürgertests“ wieder auf breiter Front ein. Damit haben alle mindestens einmal pro Woche Anspruch auf einen Schnelltest durch geschultes Personal – auch unabhängig vom Impf- oder Genesenenstatus. Bescheinigungen können auch als Nachweis bei Zugangsregeln dienen. (dpa)
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