Wahlfieber kommt vor Bulgariens Superwahlsonntag allenfalls bei den Parteien und ihren Hoffnungsträgern auf. Ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Pandemie werden die ermatteten Marathonwähler im Balkanstaat zur dritten Parlamentswahl des Jahres und der gleichzeitig steigenden Präsidentenkür gerufen: Nicht nur Wahlmüdigkeit, sondern auch Infektionsfurcht drohen den Drang an die Urnen spürbar zu bremsen.
Die tägliche Zahl der Corona-Toten ist in der Vorwahlwoche mit 334 auf einen neuen Rekord im Balkanstaat geklettert. Gleichzeitig sind nur 22,9 Prozent (Stand 10.11.) der Bulgaren vollständig geimpft – mit Abstand der niedrigste Wert in der EU: Zumindest die Wut über das katastrophale Management der Corona-Krise eint die Impfgegner und Impfbefürworter beim EU-Sorgenkind.
Auch politisch ist ein entschlossener Neuaufbruch in bessere Zeiten kaum zu erwarten. Klare Regierungsmehrheiten sind auch im dritten Wahlanlauf nicht in Sicht. Allerdings dürfte der vorgezogene Urnengang für eine erneute Verschiebung in Bulgariens Volksversammlung sorgen.
Die Verlierer von gestern werden die Sieger von morgen sein. Ihre angestammte Position als stärkste politische Kraft hatte die rechtspopulistische „Gerb“ von Ex-Premier Bojko Borissow wegen der Wählerverärgerung über Korruption und Machtmissbrauch im Juli an die Protestpartei ITN verloren. Doch deren Absturz in der Wählergunst dürfte Gerb laut den Umfragen auch ohne größere Zugewinne mit 23 bis 24 Prozent der Stimmen einen klaren Wahlsieg bescheren. Ob dieser zur Rückkehr auf die Regierungsbank genügt, ist jedoch fraglich.
Präsident offenbar vor Wiederwahl
Mit rund 16 Prozent liegen die sozialistische BSP und der Parteineuling „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) beim Kampf um Platz zwei nahezu gleich auf: Die wirtschaftsliberale PP hofft bei ihrer Wahlpremiere nicht nur auf die Stimmen bisheriger Nichtwähler, sondern dürfte auch den Protestparteien und Gerb Wähler abgraben. Die bei der letzten Wahl noch stärkste ITN ist laut den Prognosen mit 10-12 Prozent der Stimmen nur noch viert- oder fünfstärkste Kraft: Die Unfähigkeit und der Unwille des eigenwilligen ITN-Chefs und Entertainers Slawi Trifonow, sich mit anderen Partnern auf eine Koalition zu verständigen, haben seine Partei ins Umfragetief purzeln lassen.
Ob das künftige Parlament sechs, sieben oder gar acht Parteien zählt: Erneut wird in Sofia mit einem mühsamen Koalitionspoker gerechnet. Bei der gleichzeitig mit der Parlamentswahl steigenden Präsidentschaftskür gilt der Wahltriumph des von den Sozialisten und mehreren Protestparteien unterstützten Amtsinhaber Rumen Radew hingegen als ausgemacht. Unsicher ist nur, ob dem in den Umfragen bei 47-52 Prozent liegenden Platzhirsch die Wiederwahl bereits in der ersten oder erst in der zweiten Runde gelingt. Chancen auf den Einzug in eine etwaige Stichwahl werden nur dem von der Gerb unterstützten Universitätsdirektor Anastas Gerdschikow eingeräumt.
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