Montag27. Oktober 2025

Demaart De Maart

Gastbeitrag von Norbert CampagnaEinige Überlegungen zur Plagiatsaffäre

Gastbeitrag von Norbert Campagna / Einige Überlegungen zur Plagiatsaffäre
Wie groß ist die Schuld, die Xavier Bettel (Archivbild) auf sich geladen hat? Unser Gastautor sieht ihn davor, „endgültig in das Mittelmaß“ zu fallen. Foto : Editpress/Julien Garroy

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

In seinem Gastbeitrag klärt Norbert Campagna*, was ein Plagiat im akademischen Zusammenhang darstellt, wie weit hier die Unschuldsvermutung geht – und wie sehr Xavier Bettel diese Grenze offenbar überschritten hat.

Ein Plagiat liegt dann vor, wenn eine Person die Ideen einer anderen als die seinigen ausgibt. Dabei gilt aber erstens, dass dies wissend geschehen muss. Wenn A nicht weiß, dass die von ihm veröffentlichte Idee eine Idee ist, die B schon vor ihm publiziert hat, dann liegt kein Plagiat vor – darüber gleich mehr. Es gilt dann aber auch zweitens, dass es sich um eine originelle Idee handeln muss. Wer in einem Buch über die Französische Revolution schreibt, dass die Bastille am 14. Juli 1789 eingenommen wurde, braucht seine Quelle nicht anzugeben, da es sich hier um ein bekanntes Faktum handelt, das in vielen Büchern erwähnt wird. Dabei muss zugegeben werden, dass es keine absolut klare Grenze zwischen dem schon Originellen und dem nicht (mehr) Originellen gibt. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte im Zweifelsfall einen Hinweis auf die Quelle machen.

* Zum Autor

Norbert Campagna ist „professeur-associé“ für Philosophie an der Universität Luxemburg und Studienrat für Philosophie, Geschichte, Psychologie und Englisch am Lycée de Garçons Esch.

Als Autor oder Mitherausgeber von über 30 Büchern hat er sich unter anderem mit Sexualethik befasst und wurde in Paris für seine Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet mit der „Trophée de l’Ethique“ ausgezeichnet.

Jüngste Publikationen: Staatliche Macht und menschliche Freiheit. Bertrand de Jouvenels Staatsdenken, Stuttgart 2020.

Norbert Campagna, Oliver Hidalgo, Skadi S. Krause (Hrsg.), Tocqueville Handbuch, Stuttgart 2021.

Doch wenden wir uns jetzt genauer dem ersten Punkt zu. Es kann durchaus vorkommen, dass zwei Forscher unabhängig voneinander auf eine originelle These stoßen und diese mit zum Teil ähnlichen Argumenten verteidigen. Wo dies geschieht und keiner vor der Publikation seines Aufsatzes oder seines Buches oder, im Fall eines Studierenden, vor der Abgabe seiner Arbeit, von den Resultaten des anderen weiß, kann von Plagiat keine Rede sein.

Das bedeutet allerdings nicht, dass das „Ich wusste nicht“ immer als Ausrede dienen kann. Wer über ein Thema forscht, und vor allem dann, wenn seine Forschung sich jenseits des Masters bewegt, sollte mit dem aktuellen Stand der Forschung auf seinem Forschungsgebiet vertraut sein, ebenso wie mit wichtigen älteren Beiträgen. In einer Doktorarbeit wird übrigens erwartet, dass man die schon vorliegenden Forschungsresultate referiert, um damit einerseits zu zeigen, dass man den Stand der Forschung kennt, und um andererseits seine eigenen Forschungsresultate von den vorliegenden abzugrenzen und dadurch ihre Wichtigkeit und Originalität zu betonen. Natürlich sollte beim Referieren der vorliegenden Forschungsresultate jeweils die Quelle angegeben werden.

Ausweichender Kommentar

Von einem besonders groben – und primitiven – Fall von Plagiat wird man dann sprechen müssen, wenn man nicht nur die These und Argumente von einem anderen übernimmt, ohne dies anzugeben, sondern wenn man darüber hinaus auch ganze Textpassagen wortwörtlich übernimmt und sich dementsprechend nicht einmal die Mühe des Paraphrasierens gibt. Das geschieht meistens in Gymnasien, wenn 15-jährige Schüler ein Referat verfassen müssen und Wikipedia oder ähnliche Quellen benutzen – die Lehrer haben es hier leicht, das Plagiat zu entdecken.

Auch wenn Xavier Bettel, wie jede andere Person, in den Genuss der Unschuldsvermutung kommen muss,  solange keine offizielle Instanz ihn schuldig gesprochen hat, so kann doch sein Kommentar nach dem Erscheinen des Artikels von reporter.lu nicht unkommentiert im Raum stehen bleiben. Denn entweder ist er des Plagiats unschuldig, und dann hätte er reporter.lu wegen Diffamierung angreifen müssen, was er aber nicht getan hat. Oder er ist sich (auf einmal) bewusst (geworden), doch nicht ganz so ehrlich bei der Abfassung seiner DEA-Arbeit gewesen zu sein. Und wenn er beteuert, dass er damals alles mit gutem Wissen und Gewissen gehandelt hat, so wirft diese Behauptung doch Fragen auf.

Jemand, der eine DEA-Arbeit verfasst, müsste eigentlich wissen, dass man textuelle Anleihen als Zitate in die Arbeit einbaut und dann in Fußnoten oder sonstwie die genauen Quellen (Autor, Titel, Erscheinungsjahr und –ort, Seite) angibt. Und wer von sich behauptet, mit gutem Gewissen zu handeln und dann solche Angaben unterlässt, der sollte in einem Wörterbuch nach einer Definition des Wortes „Gewissen“ suchen, damit er zumindest weiß, was ihm fehlt.

Verantwortung des Betreuers

Man sollte in diesem Kontext aber auch die Seriosität des Bettelschen „directeur de thèse“ in Zweifel ziehen. Wer eine DEA-Arbeit betreut, sollte schon über die von seinem Studenten behandelte Materie Bescheid wissen und demnach auch über die neuesten Publikationen zum Thema. Dass es 1999 nicht so einfach wie heute war, ein Plagiat nachzuweisen, mag sicherlich stimmen. Aber dass der directeur de thèse die von seinem Studenten benutzten Quellen nicht gekannt hat, zeugt doch von einer mangelnden Professionalität oder dann Fachkompetenz dieser Person. Wenn sie wenig Ahnung vom Thema hatte, hätte sie die direction de thèse ablehnen müssen.

Angenommen, die von der Université de Lorraine eingeleitete Prozedur kommt zum Schluss, dass Xavier Bettel tatsächlich Plagiate begangen hat. Was sollten die Folgen sein? Eine Aberkennung des DEA dürfte, falls es amtstechnisch möglich ist, das absolute Minimum sein. Zugleich ist es aber auch das Maximum für die Université de Lorraine.

Andere Sanktionen kann keine Instanz verhängen, sieht man einmal von der Aberkennung der Ehrendoktorwürde ab, in deren Genuss, wenn ich richtig informiert bin, Xavier Bettel gekommen ist. Wer sich nach dem Erwerb des Mastertitels an einer Grundregel des universitären Kodexes vergriffen hat, sollte alle universitären Titel und Anerkennungen verlieren, die er nach dem Mastertitel erworben hat.

Mensch oder Politiker?

Sollte der Plagiatsverdacht etabliert werden, dann ist zu berücksichtigen, dass das Plagiat nicht vor dem Eintreten Xavier Bettels in das politische Leben geschehen ist, sondern als der junge und strebsame Mensch schon sehr stark politisch engagiert war. Es ist also der Politiker Xavier Bettel, der sich des Plagiats schuldig gemacht hat, auch wenn es sich beim Plagiat natürlich nicht um eine politische Handlung gehandelt hat. Hätte Bettel sein politisches Leben erst einige Jahre nach dem Plagiat begonnen, so wäre die Situation eine andere gewesen. Einem Politiker kommt eine größere Vorbildfunktion zu als einem Nicht-Politiker.

Und damit sind wir beim Stichwort: Vorbildfunktion. Wer einen Blick in politische Traktate aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit wirft, der wird feststellen, dass man die Herrscher immer darauf aufmerksam machte, dass die Untertanen dazu tendieren, ihr Handeln nach demjenigen der Herrscher zu richten. Dem absoluten Herrscher wurde ans Herz gelegt, dass er zwar nicht dazu gezwungen werden konnte, die Gesetze zu respektieren, dass es aber opportun für ihn wäre, es zu tun, ansonsten die Untertanen den Respekt vor den Gesetzen verlieren können.

Wenn ich behaupte, dass heute kaum noch ein Politiker als Vorbild gelten kann, dann will ich damit nicht in die populistische Logik des „Alle korrupt“ verfallen. Die meisten Politiker sind nicht korrupt, aber sie sind auch keine Vorbilder. Sie vegetieren im Mittelmaß, d.h. genau dort, wo auch die große Mehrheit ihrer Wähler vegetiert. Die demokratischen Gesellschaften sind, wie schon Tocqueville es vor fast 200 Jahren erkannt hatte, Gesellschaften des Mittelmaßes, der médiocrité. In ihr sind die großen Schurken ebenso selten wie die großen Vorbilder. Große Schurken und große Vorbilder findet man in aristokratischen Gesellschaften wieder.

Mit der Plagiat-Affäre, sollten die Vorwürfe sich als wahr herausstellen, wäre auch Xavier Bettel endgültig in das Mittelmaß gefallen. Besäße er noch ein Quäntchen Anstand – ein weiterer Begriff, bei dem wir das Kind mit dem Badewasser ausgeschüttet haben –, dann würde er klar und deutlich Stellung zu den an ihn gerichteten Vorwürfe beziehen, sei es um zu zeigen, dass er korrekt gehandelt hat, oder um zu zeigen, dass er völlig inkorrekt gehandelt hat und zumindest ein klares Bedauern auszudrücken. Denn das „Heute würde ich es anders machen“ kann auch gelesen werden als ein „Heute würde ich mich cleverer beim Plagieren anlegen“.

Guzzes
11. November 2021 - 15.50

Deen, deen nach ni geknäipt huet, duerf den éischten Steen werfen..

Hartwich?
30. Oktober 2021 - 13.47

Entièrement d accord avec Jean Grun
Xavier BEttel a admirablement servi et promu et le Luxembourg et la démocratie.
Pourquoi lui jeter une peccadille de jeunesse ds les roues.
LA JALOUSIE EST UN VILAIN DEFAUT
Envoyé de BERLIN après 45 MERVEILLEUSES ANNÉES a LUXEMBOURG
MERCI, LUXEMBOURG

J-Marc Calderoni
30. Oktober 2021 - 13.31

Ech fannen, ët gëtt vill ze haart mat deem aarmen Här Bettel ëmgesprongen. Deejhéinejhen, deen als Student nii geknäipt huët, soll deen éischte Bic geheien. A schliesslech hu vill Politiker vill Schlëmmeres op der Lee wéi eise Premier !

Dass nëmme ronn 6 Prozent vu sénger Diplomaarbecht op eejhener Mëscht gewuëss sin, as dorop zréck ze féiren, dass en nëtt nach méi Pabeier onnëtz wollt verschwenden. Als gewiefte Politiker haat hiën deemols schon erkannt, dass di Gréng him soss géifen wéinst Emweltbeschiëdejhung op den Daach klammen …

HTK
30. Oktober 2021 - 11.57

"Die demokratischen Gesellschaften sind, wie schon Tocqueville es vor fast 200 Jahren erkannt hatte, Gesellschaften des Mittelmaßes, der médiocrité. In ihr sind die großen Schurken ebenso selten wie die großen Vorbilder."
Vielleicht sollten wir uns damit begnügen! Mittelmaß war noch nie schlecht weil menschlich.Die Überflieger sind nicht nur selten sondern auch oft gefährlich. Zumal wenn sie sich als solche erkennen und davon profitieren den Mittelmäßigen über den Tisch zu ziehen. Aber mit unserer heuchlerischen Vorstellung von Moral und Ethik wird Bettel es schwer haben. Egal was er in Zukunft sagen wird,es wird sofort heißen " Was will der Plagiator denn?" Schade,dass die weiße Weste immer nur von anderen verlangt wird.

Therese
30. Oktober 2021 - 10.52

@Jean Grün
"Als Politiker sollte er jetzt um so mehr bemüht sein, ehrliche, echte Arbeit zu leisten."
Ech bezweifelen,dass die heiteg Politiker nach eierlech Aarbecht leeschten.Sabbelen,Braddelen,Tuddelen an d'Vollek beléien sin hier Stärkten.

Grober J-P.
29. Oktober 2021 - 23.44

„Heute würde ich es anders machen“ Das ist also echte Scham?
Wenn unser "ungeliebter" Norbert uns beim Knäipen erwischt hat, gab es eng fatzeg Datz. Danach war das grosse Strampeln angesagt oder einfach Nachexamen oder vielleicht das Sitzenbleiben. Ich habe immer einige Kommilitonen wegen ihren Knäipfähigkeiten bewundert, einige von denen haben auch in der Politik Karriere gemacht.

Jean Grün
29. Oktober 2021 - 21.31

Soll Herr Bettel an seiner politischen Leistung für Luxemburg oder einer Arbeit vor 20 Jahren gemessen werden? Schmälert diese Arbeit seine Leistung und seinen Einsatz für Luxemburg? Ich denke nicht. Es war nicht heldenhaft, abzuschreiben. Das weiß er selbst und schämt sich hoffentlich jeden Morgen vor seinem Spiegelbild dafür.
Als Politiker sollte er jetzt um so mehr bemüht sein, ehrliche, echte Arbeit zu leisten.

Deen Komeschen
29. Oktober 2021 - 19.28

Tjo daat ass eben sou, wei beim Gutenberg demols bei den Preisen! Wann de den Leidt matt dengen Entschëdungen op d'Feis trëppels an se wessen dass se nett geimt d'Meenung vum Premier unkommen oder deem et furzegal ass, dann gin se eben anescht sichen. Waat ech och gudd fannen fir een deen wëllt als Saubermann an Alleswessend do stoen an schon virdrunn 3x sain Vollek ungelun huet! (ech bleiwen Buergermeschter, bei mir gin et keng Klassengesellschaft, keen gett gezwongen sech ze Impfen) Dobai ass Horeca erem dei dei mussen drunn gleewen! Mais et wärt wei emmer hei am Land sinn, deen dei futti's den Kneien huet kennt am weitsten an deem geschidd naischt! Bon hoffen mer mol op e Wonner

Hoffmann
29. Oktober 2021 - 19.21

Les plagiaires sont des personnes qui font leurs les textes d'autrui avec lesquels ils sont probablement d'accord mais sans le dire explicitement. Notre Premier, en l'occurrence, vient de l'avouer et aussi d'exprimer ses regrets à cet égard. Je propose que dans ces cas que non seulement soit exprimé un blâme officiel, ici déjà intervenu en auto-blâme, mais que toutes ces personnes soient désormais certes maintenues dans leurs fonctions, mais aussi punies d'une très forte amende, en veillant à ce que à la moindre récidive celle-ci fût doublée et que ces gens soient définitivement interdits de toute activité politique.

H.Horst
29. Oktober 2021 - 19.08

@Dani Dat as awer einfach. Et gët Ghostwriter déi Diplomarbechten schreiwen. De Spiegel hat viru Joeren recherchéiert. E Master kascht tëschent 6000 an 10000 Euro. Exotesch Fächer oder Themen si nët sou betraff.

Dani
29. Oktober 2021 - 17.38

Och virun 20 Joer war et net erlabt eng Arbescht ofzeginn, wou 96 % Plagiat ass.

Deemools haten sie net déi technesch Meiglechkeete wéi haut. Et war trotzdem NET erlabt. Ausserdeem, wann e Prof (och virun 20 Joer) eng Arbecht ouni 1 Quell kritt, do wier all Proff messtrauesch ginn an hätt dat méi genau kontrolléiert. Ouni eng Quell ass absolut net normal. Deen huet dat net gemach mee et einfach duerchgoe gelooss. Do stellen ech mir d‘Fro firwat? Dir net? Ech mengen dat do ass just Spëtz vum Aisbierg! Fro as beregtegt op een op UNI‘en Diplomer kann op eng aner Maneier ka kréien wei mat Fläiss an Intelligenz!

Carlo Wagner
29. Oktober 2021 - 17.12

Nees eng Kéier: Bravo Här Campagna fir déi kloer Wieder!

Op lëtzebuergesch heescht Plagiat "knäipen".
An der Schoul kritt de 15-jährege Schüler 01/60 an der Prüfung, an eng Remarque op d'Zensur. Et ass schwéier, aus esou enger Datz eraus ze kommen, ausser et kann een kompenséieren. A mat wat soll oder kann deen Här Bettel dat dann elo kompenséieren? Dat gëtt nach spannend.
An op d'Université de Lorraine dann elo Format weist oder eng Provenz-Universitéit bleiwt, steet och nach aus.

Klod
29. Oktober 2021 - 17.02

Als stater bin ich weder bettel noch dp waehler,aber man fragt sich ob das land nun keine dringenderen probleme hat...gut vom unsaeglichen covid und der impfdiskussion sind wir halt ein wenig abgelenkt.
Danke an xavier und auch fraenk engel dafuer.

Wieder Mann
29. Oktober 2021 - 16.08

Informativer kann ein Artikel nicht sein.