In der von den radikalislamischen Taliban belagerten nordafghanischen Stadt Kundus herrscht angespannte Ruhe. Militärfahrzeuge patrouillieren auf den ansonsten weitgehend leeren Straßen, die meisten Geschäfte sind geschlossen. Die Stadt wird von den Taliban belagert, die derzeit in Nordafghanistan vorrücken. Lange war die sich gerade im Abzug befindende deutsche Bundeswehr dort für die Stabilisierung der Sicherheitslage zuständig.
Obstverkäufer Qudratullah ist verzweifelt. Seit dem Beginn der jüngsten Kämpfe in der Provinz hat er kaum mehr etwas verkauft. „Wenn die Regierung keinen Einsatz gegen die Taliban startet, wird deren Belagerung lange dauern.“
Kundus zählt rund 300.000 Einwohner, tatsächlich sind es deutlich mehr, da viele Menschen vor Kämpfen aus den umliegenden Provinzen in die Stadt geflüchtet sind. Zahlreiche Menschen haben sich aus Angst vor den vorrückenden Taliban-Kämpfern auf dem Gelände einer Schule verschanzt. „Wir sind sechs Familien, die hier seit drei Tagen zusammenleben“, schildert Dschuma Khan die Lage auf dem Gelände. „Sie können sehen, dass meine Kinder auf dem Boden sitzen.“ Hilfe habe es noch keine gegeben, klagt ein anderer Vater.
Wir fühlen uns nicht sicher
Tausende Menschen seien bereits in die Hauptstadt Kabul oder in andere Provinzen geflohen, berichtet der Direktor der Abteilung für Flüchtlinge und Repatriierung in Kundus, Ghulam Sachi Rasuli. Rund 8.000 Familien seien innerhalb der Provinz vertrieben worden.
Am östlichen Stadtrand von Kundus schießen afghanische Sicherheitskräfte vereinzelt auf Stellungen der Taliban. Die Regierung hatte zuletzt zusätzliche Truppen nach Kundus verlegt. Die Gesundheitsbehörden der Stadt melden seit dem Beginn von heftigen Kämpfen vor einer Woche 29 tote Zivilisten und über 220 Verletzte. Bewohner klagen über Unterbrechungen der Wasser- und Stromversorgung.
Bewohner Hasib befürchtet, dass die Taliban bald eine Offensive auf die Stadt beginnen werden. „Wir fühlen uns nicht sicher“, sagt er. „Wir haben zweimal mitangesehen, wie die Taliban die Stadt erobert haben, und wir wollen nicht, dass sie ihnen erneut in die Hände fällt.“ Er hofft, dass die Regierungstruppen die Belagerung beenden können. 2015 und 2016 hatten die Taliban Kundus jeweils kurz eingenommen, bevor sie wieder vertrieben werden konnten.
Offensive seit Beginn des US-Abzugs
Seit Tagen gibt es heftige Kämpfe zwischen den Taliban und den Regierungstruppen in der Provinz Kundus. Am Dienstag nahmen die Aufständischen einen wichtigen Grenzübergang zu Tadschikistan im Norden und die nahegelegene Grenzstadt Schir Chan Bandar ein. Am Donnerstag stattete der afghanische Innenminister Abdul Satar Mirsakwal der Stadt einen Kurzbesuch ab. „Kundus zu retten und zu beschützen zählt zu unseren obersten Prioritäten“, sagte er in einer Videobotschaft. „Wir ergreifen ernsthafte Maßnahmen und schicken mehr Waffen und technische Ausrüstung an die afghanischen Truppen in allen Provinzen.“
Die Taliban sind seit Beginn des Abzugs der US- und Nato-Truppen aus Afghanistan auf dem Vormarsch. Seit Anfang Mai haben sie mehrere große Offensiven gestartet und geben an, knapp 90 der 400 Bezirke des Landes erobert zu haben. Die Regierung widerspricht zahlreichen Angaben der Aufständischen, die nur schwer von unabhängiger Seite verifiziert werden können. (AFP)
De Maart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können