StatistikHäusliche Gewalt: 2020 gab es keinen exponentiellen Anstieg der Fälle durch Corona

Statistik / Häusliche Gewalt: 2020 gab es keinen exponentiellen Anstieg der Fälle durch Corona
Ein Plus von 11 Prozent bei den Polizeieinsätzen, aber nur wenige Wegweisungen mehr, das ist die Bilanz des Coronajahres 2020 in Sachen häuslicher Gewalt Symbolfoto: Tageblatt-Archiv

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Das zu befürchtende exponentielle Wachstum der häuslichen Gewalt während der Corona-Krise ist in Luxemburg ausgeblieben. So lautet das Fazit von Gleichstellungsministerin Taina Bofferding bei der Präsentation der neuesten Zahlen am Donnerstag. 

Zwar ist die Anzahl der Fälle häuslicher Gewalt im vergangenen Jahr gestiegen, im Vergleich zum benachbarten Ausland aber weniger stark, so Ministerin Taina Bofferding (LSAP) am Donnerstag vor der Presse. In der Tat geht man in Frankreich davon aus, dass während des ersten Lockdowns die Fälle von häuslicher Gewalt um 30% gestiegen sind. In Deutschland hat man seit Corona einen Anstieg von 6% der Opferzahlen festgestellt. Neben der Isolation in den eigenen, beengten vier Wänden sind es auch Sorgen über persönliche Konsequenzen der Pandemie (Beispiel Jobverlust), die für zusätzliche Spannungen in den Familien sorgten. Wobei häusliche Gewalt nicht exklusiv mit körperlicher Gewalt gleichzusetzen ist, sondern genauso psychische Gewalt umfasst.    

 Grafik: Tageblatt/Virginie Alonzi

In Luxemburg zieht man als Basis für die Erhebungen die Gesamtzahl der Polizeieinsätze wegen häuslicher Gewalt und die daraus resultierenden richterlichen Wegweisungen („Expulsions“) in Betracht. Zumindest bei Ersterem gibt es im Vergleich zu 2019 einen beträchtlichen Anstieg von rund 11% (von 849 auf 943 Polizeieinsätze). Bei den Wegweisungen ist die Steigerung deutlich geringer. Hier gab es 2020 insgesamt 278, während es im Vorjahr 265 waren. Kirstin Schmit von der Polizei führt das auch auf das Home-Office zurück. Das könne dafür verantwortlich sein, dass die Menschen besser mitkriegen, was bei den Nachbarn geschieht, und sie somit auch verstärkt die Polizei alarmieren. Es habe zwar mehr Einsätze gegeben, dafür aber weniger schwere Fälle, sodass auch die Bilanz der Polizei unter dem Strich positiv ausfällt: „Das Covid-Jahr hat uns bei der Polizei schon geprägt, aber nicht im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt“, sagt Schmit. 

Das sind erst einmal gute Nachrichten. Findet auch Taina Bofferding, die die proaktive Handlungsweise aller beteiligten Akteure hervorhob. So habe es trotz Lockdown zu keinem Moment eine Lücke in der Betreuung gegeben. Eine neue Hotline wurde eingerichtet und Opfer bei coronabedingten Engpässen in den Aufnahmeeinrichtungen wurden mitunter sogar in Hotels untergebracht. Auch habe man im Ministerium ein wöchentliches Monitoring eingeführt. Im Gegensatz zu den Nachbarländern erleichtert die Größe Luxemburgs die Zusammenarbeit der einzelnen Akteure. Das ändere freilich nichts daran, dass häusliche Gewalt nicht zu tolerieren sei. „Gewalt ist keine Privatsache. Keiner hat das Recht, die Hand gegen andere zu erheben“, sagte Taina Bofferding. „Die Opfer sind nicht schuld, sondern brauchen Schutz. Jedenfalls nehmen wir häusliche Gewalt nicht hin.“ Ihr Ministerium hat ein Jahresbudget von 11 Millionen Euro zur Bekämpfung der häuslichen Gewalt.

Statistiken

 Grafik: Tageblatt/Virginie Alonzi

Ein Blick in die Statistiken offenbart, dass Frauen wesentlich öfters als Männer Opfer sind (60% gegenüber 40%, insgesamt 1.697 Opfer). Dagegen sind mehr als zwei Drittel der Täter Männer (70%). Die Zahl der Täter ist um 150 Personen auf 1.356 gestiegen. Bei den Wegweisungen ist die Schere zwischen den Geschlechtern noch größer. 90% Männer stehen 10% Frauen gegenüber. Meistens treten Fälle bei verheirateten Paaren in der Alterskategorie 31 bis 50 Jahre auf. Aber nicht nur, denn häusliche Gewalt beschränkt sich nicht auf Partnerschaftsstreit. Olga Strasser vom SAVVD („Service d’assistance aux victimes de violence domestique“) berichtete, dass es 2020 insgesamt 164 Wegweisungen in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit Minderjährigen gab. Betroffen waren 320 Kinder und Jugendliche (Anstieg von 10,5% zu 2019). Dabei ging die Gewalt in 70% der Fälle vom Vater, in 17,5% vom Stiefvater, in 6% von der Mutter und in 1,5% von der Stiefmutter aus.  

Die meisten Fälle von häuslicher Gewalt waren an den Wochenenden zu verzeichnen, sonntags mehr als samstags. Regionale Unterschiede gibt es dabei auch, wobei diejenigen Gemeinden am stärksten betroffen sind, die am dichtesten besiedelt sind. Also Luxemburg-Stadt, Esch, Differdingen und Düdelingen. Die Fälle ziehen sich quer durch alle sozialen Verhältnisse und Nationalitäten. Auffallend ist der relativ hohe Anteil an Wiederholungstätern. Fast 47% der Weggewiesenen waren der Justiz im Vorfeld bekannt. „Die Zahlen von 2020 zeigen, dass die Opfer häuslicher Gewalt sich verstärkt trauen, Hilfe in Anspruch zu nehmen“, so Taina Bofferding abschließend. „Die Enttabuisierung des Themas hilft dabei.“  

Hilfe

Helpline: 20 60 1060
E-Mail: info@helpline-violence.lu
Weitere Infos: www.violence.lu

Ministerin Taina Bofferding: „Die Opfer sind nicht schuld, sie brauchen Schutz“
Ministerin Taina Bofferding: „Die Opfer sind nicht schuld, sie brauchen Schutz“ Foto: Editpress/Hervé Montaigu

HTK
11. Juni 2021 - 17.13

Wofür Corona nicht alles herhalten muss! Jemand der seine Frau/Mann schlägt hat ein anderes Virus als Corona.