Bei dem lang erwarteten Urteil geht es um die Ernennung von Richtern nach der Machtübernahme der national-konservativen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) vor fünf Jahren. Die neuen Regeln der Richterernennung könnten nicht mehr garantieren, dass die Richter „unabhängig und unparteilich“ seien, wie es EU-Recht vorschreibe, wird in dem Urteil argumentiert.
Polen habe sich bei seinem EU-Beitritt im Jahre 2004 dazu verpflichtet, EU-Recht anzuwenden und der EuGH-Gerichtsbarkeit unterworfen, wird in der Urteilsbegründung betont. Das EU-Recht genieße in allen Mitgliedstaaten Vorrang vor Verfassung und Landesrecht, wird festgehalten. Genau dies wird von PiS bereits seit Jahren für Polen immer wieder öffentlich in Abrede gestellt.
Bei dem Urteil handelt es sich um die bereits dritte Warnung des Obersten EU-Gerichts an die Kaczynski-Regierung. Das Urteil steht im Zusammenhang mit dem EU-Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 7 vom Sommer 2017, das allerdings nicht vom Fleck kommt. Mit der Umsetzung der beiden vorhergehenden EuGH-Urteile tat sich Warschau schwer. Eine versuchte Frühpensionierung von Richtern mit dem Ziel, missliebige Richter durch der PiS genehme zu ersetzen, wurde nach einem EuGH-Urteil vom Herbst 2019 umgesetzt. Doch eine einstweilige Verfügung des EuGH gegen die neue Richter-Disziplinarkammer am Obersten Gericht vom Frühling 2020 wird in den Wind geschlagen. Die umstrittene Disziplinarkammer, mehrheitlich von treuen Gefolgsleuten des polnischen Justizministers Zbigniew Ziobros besetzt, tagt weiter und belegt nicht regierungstreue Richter mit Berufsverboten. Hier sei erst ein zweites Urteil notwendig, um Warschau mit schmerzhaft hohen Geldstrafen belegen zu können, heißt es in Luxemburg.
Ablehnung aus Warschau
Auch das 2017-19 mit mehreren Gesetzesvorstößen der PiS-Mehrheit im Parlament geänderte Verfahren der Richter-Ernennung dürfte einstweilen trotz dieses dritten EuGH-Urteils im Sinne der Regierung weiterlaufen. Der EuGH empfiehlt in dem Urteil nämlich einem polnischen Gericht, darüber nun gemäß EU-Recht zu befinden. Infrage dafür kommt das Höchste Verwaltungsgericht (NSA). Dieses wiederum könnte sich an das von der PiS völlig dominierte Verfassungsgericht halten – ein Teufelskreis, twitterte der regierungskritische Verfassungsrechtler Mateusz Matczak.
Die Kaczynski-Regierung lehnt das neue EuGH-Urteil in ersten Kommentaren erwartungsgemäß umgehend ab. Es handle sich hier um eine „Einmischung in die Strukturen der polnischen Justiz, weil diese in die alleinige Kompetenz der Mitgliedsstaaten fällt“, twitterte Polens Vize-Justizminister Sebastian Kaleta. Dabei würde „Polens Souveränität und Verfassung vergewaltigt“, schreibt Zioboros Stellvertreter. Auf den Punkt bringt die PiS-Sicht Verfassungsrichterin Krystyna Pawlowicz: „Das EuGH hat erneut die EU-Verträge verletzt.“
De Maart
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