Nach sechs Wochen hartem Lockdown öffneten in Österreich am Montag wieder Schulen, Geschäfte und körpernahe Dienstleister. Nur die Gastronomie muss sich noch gedulden. Die Lockerung wurde beschlossen, obwohl die angepeilte Sieben-Tagesinzidenz von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern mit 107 weit verfehlt wurde. Die türkis-grüne Bundesregierung beugte sich gegen den Rat der Experten dem Druck der Straße und der Landeshauptleute.
Besonders augenfällig ist die Durchsetzungsschwäche im Bundesland Tirol. Denn dort braut sich gerade ein neues Corona-Gewitter zusammen. Schon vorigen Mittwoch hatte die Virologin Dorothee von Laer von der Medi-Uni Innsbruck Alarm geschlagen. Angesichts der neuen Corona-Varianten sprach sich die Beraterin der Bundesregierung nicht für eine Verlängerung des Lockdowns in Tirol aus, sondern auch für eine einmonatige Isolation des ganzen Bundeslandes. Gleichzeitig übte sie scharfe Kritik an der Landesregierung und warnt vor einem „zweiten Ischgl“. Vor einem Jahr hatten Skiurlauber von Ischgl aus das Virus über halb Europa verteilen können, weil die Behörden nicht schnell genug auf die Bedrohung reagiert hatten.
Jetzt ist Tirol erneut ein europäischer Hotspot – und zwar der Mutante B.1.351, die nicht nur wie die britische Mutation ansteckender ist, sondern nach ersten Erkenntnissen auch widerstandsfähiger gegen den AstraZeneca-Impfstoff sein dürfte. Wie vor einem Jahr wird das Problem heruntergespielt. Noch gestern behauptete die Landesregierung, es gebe nur acht bestätigte aktive Mutationsfälle. Dem widersprach der Virologe Andreas Bergthaler, ebenfalls ein Berater der Bundesregierung. Er bilanzierte 293 Proben mit der südafrikanischen Sars-CoV-2-Variante.
Kanzler Kurz im Visier seiner Parteifreunde
Doch wieder hält sich in Innsbruck das Verständnis für restriktive und vor allem schnelle Maßnahmen in Grenzen. Nachdem Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) die angeratene Abschottung nicht ausgeschlossen hatte, bekam Wien übers Wochenende die geballte Macht der Tiroler ÖVP zu spüren. Mit Landeshauptmann Günther Platter an der Spitze bildeten die Landesgranden eine Art „Andreas-Hofer-Front“ gegen eine feindselige Attacke von außen.
„Das lassen wir uns nimmer gefallen“, wetterte Wirtschaftskammerpräsident Christoph Walser und drohte für den Fall einer Rücknahme der Lockdown-Lockerungen: „Dann werden sie uns am Montag richtig kennenlernen!“ Arbeiterkammerpräsident Erwin Zangerl, im „heiligen Land“ ist auch der ein ÖVPler, bezichtigte die Virologin von Laer einer „unerhörten Frechheit“ und forderte für den Fall einer Isolation den gesamten Impfstoff Österreichs für Tirol.
Nur vordergründig ging es um ein Match mit dem grünen Minister Anschober. Tatsächlich befindet sich auch Kanzler Kurz im Visier seiner Parteifreunde. Denn der ÖVP-Chef hatte in den vergangenen Wochen immer wieder betont, er hätte seit dem Neuanstieg der Infektionszahlen im Herbst eigentlich einen noch restriktiveren Kurs als Anschober bevorzugt.
Nur eine unverbindliche Reisewarnung
Kurz hielt sich aus der Debatte auffällig heraus und erntete hämische Kommentare der SPÖ über seine Kapitänsqualitäten: „Kaum gibt es parteiinternen Gegenwind, gibt er das Ruder aus der Hand und versteckt sich unter Deck“, ätzte der rote Gesundheitssprecher Philip Kucher. Tatsächlich war die Meuterei erfolgreich. Es ist keine Rede mehr von Abschottung oder Lockdown-Verlängerung. Die Wiener Regierung sprach gestern nur eine rechtlich unverbindliche Reisewarnung aus. Nicht notwendige Reisen nach Tirol sollten unterlassen werden. Wer von dort in ein anderes Bundesland fährt, soll einen Covid-Test machen. Den Tirolern wird eine allgemeine Mobilitätseinschränkung nahegelegt. Verpflichtend werden nur negative Antigen-Tests für die Benutzung von Seilbahnen.
Ob der mühsam ausgehandelte Kompromiss lange hält, darf bezweifelt werden: Nach dem Ende des harten Lockdowns erwarten Experten bald von ohnehin zu hohem Niveau ansteigende Infektionszahlen. Das allerdings nicht nur in Tirol.
 
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