Freitag31. Oktober 2025

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Traktoren gegen Schneemänner Lukaschenko kämpft in Belarus verbissen gegen jede Form der Opposition

Traktoren gegen Schneemänner  / Lukaschenko kämpft in Belarus verbissen gegen jede Form der Opposition
Immer noch demonstrieren viele Belarussen täglich gegen die am 9. August gefälschten Präsidentenwahlen Foto: AFP

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Bei neuen Protesten in Belarus gegen den Präsidenten Lukaschenko sind am Sonntag laut der Menschenrechtsorganisation „Wesna“ mehr als 120 Menschen festgenommen worden. Gleichzeitig rollen Traktoren gegen Schneemänner an.

Sie schwärmen zu Hunderten aus und patrouillieren in Belarus über Straßen, Innenhöfe und Spielplätze. Doch diese Sicherheitskräfte sind nicht in Kampfmontur mit Schlagstöcken oder Gewehren, es handelt sich lediglich um Traktorfahrer von Alexander Lukaschenkos Verkehrspolizei. Ihre Aufgabe ist es, Schneemänner zu orten und diese zu vernichten.

Ausgerechnet die Schneemänner wurden in den letzten Tagen zum Problem für den Autokraten, denn viele von ihnen tragen unter der Rübennase einen roten Strich als Mund oder gar eine rote Schärpe. Damit gleichen sie der verbotenen weiß-rot-weißen Landesflagge der Opposition. Und das ist verhängnisvoll für jeden Schneemann. Er wird meist kurzerhand überfahren. Und weg ist er.

Auch weiß-rot-weiße Widerstandsbänder an Geländern und Zäunen werden abgeschnitten und ebensolche Flaggen von Hausdächern heruntergeholt. Wobei für diesen „Flaggen-Krieg“ Industrie-Alpinisten oder einfach nur loyale Schlägertrupps eingesetzt werden. Immer häufiger werden die oppositionellen Flaggen zwangsweise durch die offizielle rot-grüne Landesflagge aus Sowjetzeiten ersetzt.

32.000 Festnahmen in sechs Monaten

Weit mehr Mühe muss sich das Regime mit den Bürgern machen, die jene Zeichen des Widerstands in dem tief verschneiten Land aufstellen. Trotz über 32.000 Festnahmen in den letzten sechs Monaten demonstrieren immer noch viele Belarussen täglich gegen die am 9. August gefälschten Präsidentenwahlen. Anstelle großer Protestzüge mit oft Hunderten Festnahmen hat die demokratische Opposition für die Wintermonate auf kleine dezentrale Protestspaziergänge mit geschulterten weiß-rot-weißen Flaggen gesetzt. Dutzende solcher Protestmeetings werden jeden Tag abgehalten, wobei es am Wochenende deutlich mehr sind. Inzwischen machen bei den Aktionen auch wieder viele Dörfer mit, nicht nur die fünf großen Gebietszentren und die Hauptstadt Minsk, das Zentrum der Protestbewegung.

Dabei zeigen immer drakonischere Strafen wenig Wirkung. Erst Mitte Januar wurde ein 18-jähriges Teenagerpaar zu je zwei Jahren und 18 Monaten Arbeitslager für die Besprayung von Polizeischildern mit Anti-Lukaschenko-Slogans verurteilt. Und der am Rande von Protesten bewusstlos geprügelte Unternehmer Wiktor Boruschko soll einem Polizisten das Bein gebrochen haben und kommt dafür sogar fünf Jahre in Hochsicherheitshaft. Am Sonntag griffen Lukaschenkos Sicherheitskräfte deswegen zu einer anderen wohlerprobten Taktik.

Schweizer Journalistin vor Café entführt

Obwohl es im Zentrum von Minsk zu keinerlei Protesten kam, kurvten Minibusse mit abgedunkelten Scheiben durch die Stadt und olivgrüne Schergen ohne Abzeichen zogen wahllos Passanten ins Innere. In der Minsker Innenstadt wurden so die Korrespondentin des Schweizer Fernsehens und deren zwei Bekannte auf dem Weg in ein Café entführt. Die Schweizerin kam – vermutlich dank einer gültigen Presse-Akkreditierung – nach wenigen Stunden wieder frei, von den beiden Belarussen fehlt bisher jede Spur.

Inzwischen hat sich eine weitere grauenhafte Anschuldigung gegen das Regime Lukaschenko bestätigt. Mitte Januar von einer Gruppe nach Polen geflohener Sicherheitskräfte bekannt gemachte Abhörbänder des heutigen Vize-Innenministers Nikolaj Karpiankow über den Bau eines Konzentrationslagers wurden letzte Woche von ehemaligen KZ-Häftlingen mit Fotos belegt.

Karpiankow ermuntert die Sicherheitskräfte in dem geheimen Mitschnitt auch zum offensiveren Schusswaffengebrauch: „Ihr könnt verletzen oder töten: Zielt auf die Stirn oder direkt ins Gesicht, und er (der Demonstrant) wird nie mehr gesund werden.“ Todesopfer sind wenige zu beklagen, aber offenbar waren Hunderte aus den überfüllten U-Haftzellen in das Mitte August schleunigst in den Wäldern bei Slutzk errichtete KZ überführt worden. Die Lagerbaracken sind auf den Fotos wie während der Nazi-Besatzung von 1941 bis 1945 mit Stacheldraht und Wachtürmen umgeben. Ähnlich wurden in der Sowjetunion politische Gefangene in Sibirien und anderswo eingesperrt. In Belarus gibt es aktuell 230 von Menschenrechtsorganisationen anerkannte politische Gefangene.