Bernard Hinault ist nicht nur in Sportlerkreisen „Quelqu’un“, wie man in Frankreich zu sagen pflegt. Der 65-jährige Franzose (geb. am 14.11.1954 in Yffinac/Côtes d’Armor) verkörpert wie kein anderer das Bild des ausdauernden, energiegeladenen, manchmal aber unwirschen Bretonen, der sich dank seiner Willensstärke durchsetzt, die soziale Leiter emporsteigt und es zu etwas bringt.
Angriffslust
Hinault, das sind in Zahlen ausgedrückt fünf Tour-Erfolge (1978, 1979, 1981, 1982, 1985), drei Siege beim Giro d’Italia (1980, 1982, 1985), zwei oberste Treppchen bei der Vuelta a España (1978, 1983), 28 Etappensiege in der Tour de France, 76 Tage im „Maillot jaune“, fünf Grands Prix des Nations (1977, 1978, 1979, 1982, 1984), drei Critériums du Dauphiné (1977, 1979, 1981), zwei „Il Lombardia“ (1979, 1984), zwei Liège-Bastogne-Liège (1977, 1980), zwei Flèches Wallonnes (1979, 1983), eine Straßen-Weltmeisterschaft (1980, Sallanches), sowie je ein Erfolg bei Paris-Roubaix (1981), Gent-Wevelgem (1977), dem Amstel Gold Race (1981), der Tour de Romandie (1980), dem Critérium International (1981) und der Tour de Luxembourg (1982).
Hinault war als Fahrer ein verbissener Kämpfer, der auch nach seiner erfolgreichen Karriere immer positiv dachte und versuchte, das Beste aus der jeweiligen Situation zu machen. „Tant que je respire, j’attaque“ (Solange ich atme, greife ich an) steht darum auch auf den neuen Radsport-Trikots, die ein französischer Sportartikelhersteller vor der Tour 2020 zu seinen Ehren entwarf. Das Leibchen ist in den Farben Gelb und Schwarz gehalten, die an die glorreichen Zeiten Hinaults bei Renault-Gitane-Campagnolo und Renault-Elf-Gitane erinnern.
Als Fahrer dieser Teams gewann Hinault immerhin viermal die Frankreich-Rundfahrt, und viermal hatte dabei mit Lucien Didier auch ein Luxemburger die Gelegenheit, an der Seite des Toursiegers zu fahren. Didier, am 5. August runde 70 Jahre alt geworden, diente im Hochgebirge oft als Lokomotive des Franzosen, er beendete die Tours an der Seite seines Leaders auf den Plätzen 52 (1978), 29 (1979), 22 (1981) und 25 (1982).
Der Chef
Beim fünften Erfolg Hinaults, der gleichbedeutend war mit der Einstellung des Rekords von Jacques Anquetil und Eddy Merckx, war Hinault Leader von Bernard Tapies Team La Vie Claire. In dieser Mannschaft stand mit Kim Andersen auch ein Fahrer, der bis zum heutigen Tag mit Luxemburg verbunden ist (zuerst als Aktiver, danach als Sportdirektor, z.Z. bei Trek Segafredo). In der Tour 1985 gewann La Vie Claire die dritte Etappe, ein Mannschaftszeitfahren über 73 km von Vitré nach Fougères. Tags darauf streifte Kim Andersen in Pont-Audemer das „Maillot jaune“ über. Der Luxemburger Däne trug es an vier Tagen, ehe er es nach dem Einzelzeitfahren Sarrebourg-Strasbourg (8. Etappe, 75 km) an seinen Kapitän Bernard Hinault abtrat. Dieser führte das Gelbe Trikot bis nach Paris, zum Teil auch dadurch, weil Mannschaftsgefährte Greg Lemond mit angezogener Handbremse fuhr und als Dank dafür 12 Monate später mit seinem ersten Tour-Sieg belohnt wurde. Als der Franzose einsah, dass er nicht stark genug war, um einen sechsten Erfolg zu erringen, stellte er sich 1986 in den Dienst des Amerikaners.
Den ersten großen Coup bei der Tour de France landete Hinault unweit von Luxemburg. Am 21. Juli 1978, am belgischen Nationalfeiertag, dominierte er seinen schärfsten Rivalen Joop Zoetemelk beim „Contre-la-montre“ über 75 km zwischen Metz und Nancy nach Belieben. Schon nach 11 km hatte der Franzose seinen Rückstand von 11 Sekunden in der Gesamtwertung wettgemacht und das „Maillot jaune“ virtuell übergestreift. Danach konnte Zoetemelk den Abstand in etwa stabilisieren, wurde später aber Opfer des starken Gegenwindes. In der „Côte de Morey“, nach 60 km, brach er völlig ein und beendete die Etappe auf dem 9. Platz mit 4’10“ Verspätung auf Hinault. Um 16.36 Uhr streifte dieser am „Cours Léopold“, gegenüber der Statue von General Drouot, zum ersten Mal in seinem Leben das „Maillot jaune“ über. Hinault war 23 Jahre jung, er stand am Anfang einer großen Karriere.
„Kein Radlutscher“
„Ich habe meine Chance bis zuletzt verteidigt“, sagte Zoetemelk nach der Ankunft, „aber gegen Hinault war einfach nichts zu machen. Ich muss das Verdikt akzeptieren und verbeuge mich vor diesem jungen, großen Talent.“ Der Holländer, der die Tour sechsmal auf dem zweiten Platz beendete, galt jahrelang als sogenannter „Hinterradlutscher“.
Dieses Bild rückt Hinault nun zurecht: „Joop verdient das Anhängsel vom Fahrer, der sich immer nur dranhängte, nicht, denn er war ein richtiger Angreifer. Ich erinnere mich an seine Attacken, insbesondere in der Alpe d’Huez 1979, als er mir arg zusetzte“, so der fünffache Tour-Laureat.
„Zoetemelk ließ sich nicht beirren, seine Kraft lag in der Ruhe. Er ignorierte all das Gespött um ihn herum. Ich war glücklich, dass gerade er die Tour 1980 gewann, bei der ich verletzt aufgeben musste. Fünf Jahre später wurde er mit 38 Jahren Weltmeister, das hatte er verdient. Manchmal plagten mich Schuldgefühle, wenn ich ihn hinter mir ließ. So auch 1979, als er mich auf der Schlussetappe in einem Zweiersprint bat, ihn gewinnen zu lassen. Eine Etappe auf den ‚Champs’ aber verschenkt man nicht.“
Aus einer Liste von 15 Fahrern, die ihm als „meilleurs ennemis“ (beste Feinde) vorgelegt wurden, wählte Hinault neben Joop Zoetemelk noch seinen Landsmann Laurent Fignon, den Holländer Jan Raas und den Italiener Francesco Moser aus. Hinzufügen ließ er Eddy Merckx, der nicht auf der Liste stand. „Eddy war kein Falschspieler, er nahm nie die Schulter zu Hilfe, um andere zu rempeln und sich Vorteile zu verschaffen. Merckx war mein Idol, er blieb unantastbar. Dass er alles gewinnen wollte, war sein gutes Recht. Man konnte ihm nie böse sein, ich verzieh ihm alles.“
Die Drohung
Auch für die anderen Konkurrenten fand Hinault meist nur lobende Worte: „Als Laurent Fignon in unserem Team auftauchte, wusste ich, dass ich einen Konkurrenten im eigenen Lager haben würde. Sie nannten ihn den Intellektuellen, er gab sich anfangs eine Wichtigkeit, die er nicht verdiente. In der Tour 1984 aber hat er mich verzweifeln lassen. Ich habe es ihm in seinem kurzen Leben (Fignon starb 2010 im Alter von nur 50 Jahren) leider nicht gesagt. Er wäre stolz darauf gewesen, zu erfahren, dass er mich erniedrigt hatte.“
Für Bernard Hinault war Francesco Moser ein feiner Stratege, ein Avantgardist, was das Material anbelangt, aber ein „Prophet im eigenen Land“. Darum erlaubt er sich die Frage, warum der Italiener den „Komfort des Giro“ der weitaus schwereren Tour vorzog. „Schade, dass er nicht öfter in Frankreich und insbesondere bei der ‚Grande boucle’ startete. Sein Palmarès würde dadurch an Wert gewinnen.“
Jan Raas dagegen war in den Augen des „Blaireau“ ein Krieger, mit dem er so manches Hühnchen rupfte. Und den er auch mal zurechtweisen musste. „Im Peloton gilt die ungeschriebene Regel, dass das Rennen kurze Zeit ‚neutralisiert’ wird, wenn die Leader Druck auf der Blase verspüren und dringend eine Kleinigkeit zu erledigen haben. Als ich 1979 auf einer Tour-Etappe stoppte, blies Raas mit seinem starken Raleigh-Team zur Attacke. Wir rannten dem Feld hinterher, ich fuhr an die Spitze, bremste die Truppe ab und sagte zu Raas (Originalzitat): „Tu peux dire à tes gars qu’à partir de maintenant, le premier qui s’arrête pisser, il ne pourra plus jamais rentrer dans le peloton.“
Herr ist eben Herr, und Max bleibt Max …
De Maart
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