Kann man Musik eigentlich beschreiben, ohne dass es unglaublich käsig anmutet? Ist die Sprache in der Lage, den „Vibe“ einer Live-Darbietung einzufangen? Mit Long Distance Calling macht man es sich als Schreiberling wohl noch verhältnismäßig einfach – trotzdem verdient die Band, dass man mehr als nur ein Wort über sie verliert.
Von unserem Korrespondenten Tom Haas
Eine Konzertkritik ist stets ein schwieriges Unterfangen. Der Informationsgehalt ist auf den ersten Blick irrelevant – die Menschen, die „dabei waren“, benötigen niemanden, der ihnen das Erlebte nochmal vorkaut. Und denjenigen, die das Konzert verpasst haben, ist auch nicht mit einem Bericht geholfen. So wenig, wie ein Sehender einem Blinden das Konzept von Farben verständlich machen kann, so wenig kann ein gedruckter Artikel den Geist der Musik einfangen. Die technische Reproduzierbarkeit eines Kunstwerks mag das Erleben einer kollektiven Ästhetik in Film und Fotografie ermöglichen, bei der Musik stößt sie allerdings an ihre Grenzen. „Live is life“, um die Philosophen von Opus an dieser Stelle zu zitieren.
Was kann eine Konzertkritik also leisten? Nun ist nicht nur der Gegenstand ihrer Betrachtung notwendigerweise vergangen und mit Worten nicht begreiflich zu machen, sondern auch ihre Gegenwärtigkeit hat in dem Informationssturm, der uns täglich um die Ohren weht, einen schweren Stand. Den muss sie allerdings gegen jede Widrigkeit behaupten – und dann wird sie vielleicht zu einem Anker im Gedächtnis für den ein oder anderen, dem sich die Gelegenheit bietet, die besprochene Band einmal in Aktion zu erleben. Die Konzertkritik ist also kein nostalgischer Rückblick, sondern eine Hilfestellung für mögliche, zukünftige Entscheidungen. Aus diesem Grund bedarf sie einer Prise Poesie – vor allem nach dieser trocknen, theorielastigen Einleitung.
Zwischen Schönheit und Gewalt
Stellen Sie sich vor, Sie stehen in einem dunklen Saal. (In diesem Fall dem Balkensaal des Trierer Exhauses am 6.Dezember.) Das Licht des sterbenden Tages ist bereits erloschen und die Gestalten um sie herum sehen aus, als würden sie es generell meiden. Alle, auch sie, sehen jedoch gebannt zu der niedrigen Bühne unter dem altehrwürdigen Dachgebälk. Kühle, blaue Scheinwerfer tauchen die Musiker, die dort auftreten, in ätherisches Flimmern. Umsegelt von schwarzen Papierflugzeugen wohnt ihnen eine gewisse Schwerelosigkeit inne, eine Leichtigkeit, die auch Sie ergreift, als die ersten Klänge ertönen. Die aufsteigenden Kaskaden der Gitarren, das trockene Knurren des Basses und die eindringlichen Drums dringen in jede Ritze des alten Holzfußbodens, lassen die Wände vibrieren und Sie spüren, wie der Sound von den Füßen aufwärts ein Kribbeln durch die Zellen Ihres Körpers jagt. In diesem Moment ist der Ort nicht mehr fremd und finster für Sie und die Menschen um Sie herum verwandeln sich in Freunde.
Der Name der Band wird zum Sprichwort. In Musik gekleidetes Fernweh, melancholisch und zugleich treibend, erhaben und doch erfüllt von Unruhe, packt Sie an der Hand und nimmt Sie mit auf eine Reise zu den kargen, menschenleeren Enden dieser Welt. Sie spüren, wie Ihre Füße den Boden verlassen, die Leichtigkeit ergreift Sie – Sie springen. Die Musik braucht keinen Gesang, sie ist die Sprache, die alle hier verstehen. Sie ist es, was die Welt schöner macht. Die Musiker beherrschen nicht nur ihre Instrumente perfekt, sie beherrschen auch ihr Publikum. Sie wandern auf dem schmalen Grat zwischen der Darbietung eines Orchesters und einem Rockkonzert, zwischen einhüllend und aufpeitschend, zwischen Schönheit und Gewalt. Doch ist da keine Zerrissenheit, kein Widerspruch, die Unterschiede fließen ineinander und bilden eine untrennbare Emulsion wortloser Eleganz.
Das Publikum steht im Bann, Sie verschmelzen mit den anderen Menschen im Saal zu einer Entität. Keine kopflose, wilde Masse, sondern mehr ein transzendentes Bewusstsein – die Erkenntnis, dass das Erlebte alle hier ergreift und erfüllt, in höhere Sphären trägt. Nach diesem Konzert ist man Eingeweihter, man teilt eine Erfahrung, die anderen verwehrt geblieben ist. Insofern grenzt es fast an ein Sakrileg, dieses Erlebnis schriftlich festzuhalten – ein nahezu prometheischer Akt. Aber was tut man nicht alles für gute Musik.
Wenn Sie noch nie das Glück hatten, Long Distance Calling live zu sehen, genießen Sie mein aufrichtiges Bedauern. Ich hoffe, dass es Ihnen vergönnt sein wird.
De Maart
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