Im Dauerstreit um den britischen EU-Austritt sind sich Brüssel und London immer noch nicht nähergekommen. Nun werden die Verhandlungen ausgeweitet, ein Krisengipfel im November ist nicht mehr ausgeschlossen.
Von unserem Korrespondenten Eric Bonse, Brüssel
Ab sofort wird durchverhandelt: Weil die EU und Großbritannien in den Vorbereitungen zum Brexit nicht von der Stelle kommen, drücken sie nun aufs Tempo. Die Gespräche über den Austrittsvertrag sollen trotz der Sommerpause intensiviert werden, erklärte EU-Verhandlungsführer Michel Barnier in Brüssel. Zudem ist ein EU-Sondergipfel im November im Gespräch.
Die Hektik hat einen ernsten Hintergrund. Wenn sich Brüssel und London nicht rechtzeitig einig werden, dann droht am 29. März 2019 ein „harter Brexit“ – ohne vertragliche Absicherung. Vor der Sommerpause hatte die EU-Kommission die Mitgliedstaaten und Unternehmen bereits aufgefordert, sich auf diesen „Worst Case“ vorzubereiten. Nun schaltet sie selbst in den Panikmodus.
„Regelmäßig Bilanz ziehen“
Am Dienstag war eine weitere Verhandlungsrunde in Brüssel ergebnislos zu Ende gegangen. Barnier kündigte danach an, man wolle ab sofort „regelmäßig Bilanz ziehen und die Verhandlungen vorantreiben“. Der neue britische Brexit-Minister Dominic Raab sagte, er werde bereits kommende Woche nach Brüssel zurückkehren: „Wir müssen die Intensität der Verhandlungen steigern“.
Allerdings ist fraglich, ob intensivere Gespräche die Lösung sind – denn bisher fehlt es vor allem am politischen Einigungswillen. In zentralen Fragen wie der Grenze zu Irland zeichnet sich keine Annäherung ab. Auch die künftigen Beziehungen sind Anlass für Streit. Premierministerin Theresa May fordert ein Freihandelsabkommen mit Sonderregeln für den Warenverkehr, die EU lehnt dies kategorisch ab.
Von echten Verhandlungen konnte zuletzt kaum die Rede sein – denn beide Seiten beharren auf ihren Positionen. Dass Barnier nun auch noch Mays Vorschlag für die Zeit nach dem Brexit abgelehnt hat, sorgt in London für Unverständnis bis ins liberale, pro-europäische Lager. Der britische Historiker Timothy Garton Ash warnte die EU sogar davor, Großbritannien zu erniedrigen – dies könne zu „Weimarer Verhältnissen“ auf der Insel führen.
In Brüssel sorgt man sich hingegen vor allem um den Zeitplan. Bisher war geplant, dass der Scheidungsvertrag bis zum EU-Gipfel Mitte Oktober steht. Dann bliebe noch genug Zeit, den Vertrag durch das Europaparlament und die nationalen Parlamente der 27 verbleibenden EU-Mitglieder ratifizieren zu lassen. Rechtzeitig zur Europawahl im Mai 2019 wäre der Brexit-Streit endlich ausgestanden.
Sondergipfel im November
Doch an dieses Szenario glaubt kaum noch jemand in Brüssel. Auch wegen des Parteitags der tief zerstrittenen Konservativen Partei von Premierministerin May vom 30. September bis 3. Oktober gilt eine Einigung bis Mitte Oktober als kaum noch machbar. EU-Diplomaten stellen sich daher schon auf einen Sondergipfel im November ein. Dort könnte es dann zum „Showdown“ kommen.
May käme dies womöglich sogar gelegen – sie könnte sich dann als „eiserne Lady“ präsentieren. Doch für das Europaparlament wäre eine Einigung in letzter Minute ein Problem. „Dezember ist für uns schon zu spät“, sagte die Europaabgeordnete der Linkspartei, Gabriele Zimmer. Denn dann bliebe nicht mehr genug Zeit, um den Austrittsvertrag in Ruhe zu prüfen.
Wie groß der Druck mittlerweile ist, zeigt der Umgang mit einer mutmaßlichen Spionage-Affäre. Nach einem Bericht des Telegraph soll die britische Regierung die EU-Kommission ausgespäht haben, um die Umsetzungs-Chancen für Mays Brexit-Plan zu verbessern. Die Haltung von Verhandlungsführer Barnier und seinen Experten sei detailliert nach London durchgesteckt worden.
In normalen Zeiten hätte das Wirbel und Empörung auf beiden Seiten des Ärmelkanals ausgelöst. Die EU-Kommission soll sich auch offiziell in London beschwert haben. Auf Nachfrage wollte die Brüsseler Behörde dazu jedoch keinen Kommentar abgeben. Die Affäre wird totgeschwiegen – nichts soll die Zitterpartie über den Brexit stören.
De Maart
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