Von unserem Korrespondenten Thomas Roser
Eine Woche nach dem letzten Urteil des Kriegsverbrechertribunals schwappt durch die ex-jugoslawische Staatenwelt eine neue Woge unversöhnlicher Vorwürfe. Von Aussöhnung scheint das einstige Vielvölkerreich weit entfernt.
Statt vorweihnachtlicher Einkehr ist im ex-jugoslawischen Vielvölkerreich der unvergessenen Kriege wieder einmal selbstgerechtes Nachkarten und unversöhnliches Aufrechnen angesagt. Grenzüberschreitend ist das Verherrlichen der heimischen Kriegsverbrecher mit provokativen Ausfällen gegen die einstigen Gegner und bissiger Kritik am UN-Kriegsverbrecher-Tribunal gepaart: Eine Woche nach dessen letzten Urteilen schwappt durch die zerrissene Region eine neue Woge des alten Hasses.
Wandgemälde mit Mladic und Karadzic
Am Wochenende weihten bosnisch-serbische Veteranen des Bosnienkriegs (1992-1995) in Visegrad feierlich ein Wandgemälde mit Portraits der wegen Völkermords verurteilten Kriegsverbrecher Ratko Mladic und Radovan Karadzic ein. Mit dem Antlitz von Mladic auf den Trikots liefen die Kicker des Amateurclubs FK Kabel im serbischen Novi Sad Ende November aufs Feld. Das Boulevardblatt Srpski Telegraf beglückte seine Leser derweil mit einer Poster-Morgengabe für die Wohnstuben: Mit „serbischer Held“ war die Aufnahme des Ex-Generals untertitelt.
Auch in Kroatien wird der zu 20 Jahren verurteilte Kriegsverbrecher Slobodan Praljak nach seinem Selbstmord im Gerichtssaal von den Medien und Regierungspolitikern als Held und Märtyrer gefeiert, der sich für das Land geopfert habe. Vermehrte Todesdrohungen erhalten hingegen Journalisten und Politiker wie die frühere Außenministerin Vesna Pusic, die sich kritisch zu den von der kroatisch-bosnischen Armee (HVO) begangenen Kriegsverbrechen äußern. Er habe gehofft, dass Kroatiens Amtsträger „verantwortlicher“ agieren würden, klagt Serge Brammertz, der Chefankläger des Tribunals. Stattdessen würden Kriegsverbrecher zu Helden gemacht: „Die Negierung der bewiesenen Fakten verhöhnt die Opfer.“
Resozialisierter Kriegsverbrecher
Kroatien müsse sich „endlich seiner Kriegsvergangenheit stellen“, ätzt höhnisch Serbiens Außenminister Ivica Dacic. Dabei könnte sich das einstige Sprachrohr von Serbiens verstorbenen Ex-Autokraten Slobodan Milosevic getrost an die eigene Nase fassen. Erst am Wochenende kürte seine sozialistische SPS den vom UN-Tribunal wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit einst zu 18 Jahren Haft verurteilten Nikola Sainovic zu ihrem neuen Vorstandsmitglied. Serbiens früherer Vizepremier habe das Land in Den Haag „würdig verteidigt“, begründete Dacic die Blitzkarriere des resozialisierten Kriegsverbrechers.
Zum festen Inventar der größten Regierungspartei SNS zählt seit seiner Entlassung Ex-Major Veselin Sljivancanin, der wegen seiner Mitverantwortung für das Massaker von Ovcara vom Tribunal zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war. „Was wollen Sie, sollen wir ihn etwa fesseln oder totschlagen?“, reagierte kürzlich der allgewaltige Staats- und Parteichef Aleksandar Vucic unwirsch auf die Frage, was der Kriegsverbrecher denn bei einer Fabrikeröffnung in seinem Gefolge zu suchen habe. Die Einführung eines „Tags der Krieger“ schlägt derweil Verteidigungsminister Aleksandar Vulin vor, der unlängst den vom Tribunal verurteilten Vladimir Lazerevic zum Dozent der Militärakademie beförderte: Denn Serbien könne auf seine Kriegsvergangenheit „stolz“ sein.
An Versöhnung kein Interesse
Der Geist des Kriegsjahrzehnts der 90er-Jahre sei zurückgekehrt, konstatiert resigniert der Schriftsteller Filip David. Die Nationalisten, die in Bosnien, Kroatien und Serbien an der Macht seien, „werden uns nie versöhnen, weil sie das im Grunde nicht wollen“, fürchtet derweil der Belgrader Kolumnist Veselin Simonovic. „Selbst wenn sie den Namen ihrer Parteien ändern, aus ihren Tschetnik-, Ustascha- oder Mudschaheddin-Uniformen schlüpfen und sich zu Europa bekennen, tun sie das nur, um sich an der Macht zu halten.“
Zum Autor
Geboren 1962 in Traben-Trarbach. Ausbildung zum Keramikformer an der Porzellanmanufaktur Ludwigsburg. Studium der Journalistik in Dortmund und Utrecht. Volontariat beim Kölner Stadtanzeiger. Seit 1994 Korrespondent deutschsprachiger Zeitungen zunächst in den Benelux-Staaten (bis 2001) und Polen (bis 2006). Lebt und arbeitet seit 2007 als Balkan-Korrespondent in Belgrad. Seit 2013 bei Zeit online.
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