„Wir sind eine schlagkräftige Truppe“

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Luxemburg steht für einige Tage im Zentrum der weltweiten Mikrofinanz: Bereits zum elften Mal findet vom heutigen Mittwoch bis Freitag die Europäische Mikrofinanz-Woche in Luxemburg statt. Eine gute Gelegenheit, um mit Christoph Pausch von der European Microfinance Platform über die Entwicklungen der letzten Jahre zu reden.

Vor zehn Jahren wurde der gebürtige Österreicher Christoph Pausch als erster Mitarbeiter der European Microfinance Platform eingestellt. Seine Mission: ein Sekretariat aufbauen. Heute zählt die Organisation fünf bis sechs Mitarbeiter. Studiert hat Christoph Pausch in Österreich und in Belgien.

Tageblatt: Nun findet bereits zum elften Mal die Europäische Mikrofinanz-Woche in Luxemburg statt. Was bedeutet das?

Christoph Pausch: Die dreitägige Konferenz wird von der European Microfinance Platform (e-MFP) organisiert. Dies ist eine Multi-stakeholder-Plattform, die die unterschiedlichsten Organisationen zu ihren über 130 Mitgliedern zählt. Dazu gehören Universitäten, Banken, Nichtregierungsorganisationen, staatliche Entwicklungsbanken usw. Rund 470 Teilnehmer sind angemeldet. Letztes Jahr waren 58 unterschiedliche Länder vertreten.

Welche Themen werden in diesen drei Tagen prioritär behandelt?

Bereits im Mai hatten wir unsere Mitglieder angeschrieben und gefragt, welche Themen derzeit für sie aktuell sind. Herausgekommen waren 45 Vorschläge. Wichtigstes Thema dieses Jahr wird das Wohnen. Auch beim Mikrofinanz-Preis der Europäischen Investitionsbank, der morgen verleihen wird, steht das Wohnen im Mittelpunkt. Letztes Jahr lag der Fokus der Woche und des Preises auf der Aus- und Weiterbildung.

Ein Kredit zum Hausbau ist aber kein typisches Mikrofinanz-Thema …

Ja. Kredite zum Hausbau sind kein typisches Mikrokredit-Thema. Immerhin werden dadurch keine direkten Einnahmen generiert und die Rückzahlung zieht sich länger hin als gewöhnlich. Es erinnert eher an einen Konsumkredit als an ein Startkapital für eine neue, eigene Firma. Ein eigenes Haus führt aber zu besseren Lebensbedingungen und zu mehr Sicherheit (etwa durch Licht oder ein eigenes Klo im Haus). Und damit wären wir wieder beim Kern der Mikrofinanz: eine Verbesserung der sozialen Situation der Kreditnehmer. Zudem werden die Möglichkeiten, etwas Geschäftliches im eigenen Haus zu betreiben, ebenfalls verbessert. Wir versuchen oftmals Themen in den Vordergrund zu rücken, die noch nicht so stark im Fokus stehen.

Wie finanziert sich die European Microfinance Platform?

Im Mai dieses Jahres haben wir eine neue Konvention mit dem Außen- und dem Finanzministerium unterzeichnet. Der Staat steht somit für rund 70 Prozent unserer Einnahmen. Hinzu kommen noch Gelder von Sponsoren und natürlich die Beiträge der Mitglieder.

Wie wichtig ist Luxemburg als weltweite Mikrofinanz-Plattform? Wie zeigt sich das?

Wir sind die größte Multi-Stakeholder-Plattform für inklusive Finanzen in der Welt – also offen für Interessenten aus den unterschiedlichsten Bereichen. Wir sind repräsentativ für den Sektor. Wir können Themen wie etwa die Analyse der sozialen Folgen der Mikrofinanz in den Vordergrund rücken. Unsere Aufgabe als European Microfinance Platform ist es, die Mitglieder zusammenzubringen und Arbeitsgruppen zu Themen anzubieten. Wir (Sekretariat mit fünf Mitarbeitern) sind dabei aber kein spezifischer Berater für Investoren, die auf der Suche nach neuen Anlagemöglichkeiten sind. Wir bringen Menschen zusammen. Zuvor hatte jeder alleine in seiner eigenen Ecke gearbeitet.

„Darauf kann Luxemburg stolz sein“

Vor geraumer Zeit hatte Christoph Pausch eine Mikrofinanzinstitution in Äthiopien besucht, die 2008 den Mikrofinanzpreis gewonnen hatte. „Und dort habe ich erkannt, wie jeder Luxemburg wertschätzt“, so Pausch. „In jeder Filiale der Institution, noch im hintersten Winkel von Äthiopien, hängt ein Zertifikat an der Wand, das von der Luxemburger Großherzogin und dem Entwicklungsminister unterzeichnet wurde.“ Das zeige, wie wichtig dies für die Menschen dort ist. Als die Gewinner vor einigen Jahren mit dem Preis aus Luxemburg zurückgekehrt seien, seien sie zu Hause „wie Nationalhelden“ empfangen worden. „Darauf kann Luxemburg stolz sein.“

Welches sind die aktuellen globalen Entwicklungen in der Mikrofinanz?

Ein Thema, das erst in den letzten Jahren aufgekommen ist, ist die Technologie. Seit letztem Jahr haben auch wir drei FinTechs als Mitglieder. So etwas war vor einigen Jahren noch komplett undenkbar. Es stellt sich die Frage, ob die Technologie Lösungen für bestehende Probleme hat. So könnte das Smartphone, gerade in Ländern, wo es kaum einen öffentlichen Transport gibt und wo Filialen und Kunden kilometerweit voneinander entfernt sind, eine praktische Lösung bieten. Dennoch beinhaltet das Thema Technologie auch eine Gefahr: Riskiert der soziale Aspekt der Mikrofinanz nicht verloren zu gehen? Wer beispielsweise einen Kreditantrag über Smartphone abschließt, der hat keinen Kontakt mehr zu einem Kredit-Officer, der mit dem Blick aufs Soziale und aufs Wirtschaftliche ausgebildet wurde.

Und welches sind die Entwicklungen in Luxemburg? Aus was besteht die Luxemburger Mikrofinanz-Community?

Es ist eine Gemeinschaft, die wächst und wächst. Das geht von Organisationen wie SOS Faim oder ADA („Appui au développement autonome“) über die Fonds-Labelling-Agentur LuxFlag bis hin zu Impakt-Investoren und Investmentfonds. Auch gilt es nicht zu vergessen, dass 60 Prozent der weltweit über Fonds in die Mikrofinanz investierten Gelder über den Finanzplatz Luxemburg fließen. Es ist eine Nische, in der Luxemburg sich von Anfang an gut entwickelt hat. Das alles geht weit über die klassische Mikrofinanz hinaus.
Es gibt das Microinsurance Network, den LuxemburgMikrofinanzfonds LMDF, das Inclusive Finance Network InFine und neuerdings auch die in Luxemburg aktive Mikrofinanzinstitution Microlux. Der Großteil der Gemeinschaft ist hier im Haus der Mikrofinanz (39, rue Glesener in Luxemburg-Stadt) untergebracht. Es sind alles kleine, überschaubare Organisationen mit je einer Handvoll Mitarbeitern. Wir sind eine schlagkräftige Truppe – und nicht ein Verwaltungs-Wasserkopf.

Braucht es staatliche Gelder, damit der Sektor erfolgreich ist?

Ohne staatliche Gelder wäre es nicht das Gleiche. Wir wurden vor elf Jahren gegründet (ohne Mitarbeiter) und zählten damals gerade 20 Mitglieder. Ohne staatliche Unterstützung würde es uns wohl gar nicht geben. Der Erfolg zeigt jedoch, dass die Politik der Regierung der richtige Weg ist.

Wie messen Sie den Erfolg?

An der Zahl der Mitglieder, der Zahl der Publikationen, der Zahl der Teilnehmer an den Konferenzen und in den Arbeitsgruppen. Zudem erfreut uns die Stabilität der Mitgliedschaften. Wer Mitglied ist, bleibt. Anfangs mussten wir in der Welt anklopfen, wenn wir auf der Suche nach bekannten Rednern für unsere Veranstaltungen waren. Heute ist das nicht mehr der Fall. Heute wollen sie alle nach Luxemburg kommen – hier können sie jeden treffen.

Hat die Mikrofinanz ihren Höhepunkt überschritten? Ist das Potenzial ausgeschöpft?

In der öffentlichen Wahrnehmung: ja. Der Buzz, die Zeit der Euphorie nach dem offiziellen UN-Jahr der Mikrofinanz und dem Friedensnobelpreis für Muhammed Yunus sind vorbei. Die überzogenen Erwartungen gibt es nicht mehr. Wir wissen heute, dass Mikrofinanz die Armut nicht ins Museum verbannen wird. Wir wissen aber auch, dass es trotzdem ein effizientes Mittel der Entwicklungshilfe und – wenn es richtig angewendet wird – sehr hilfreich bei der Armutsbekämpfung ist. Potenzial ist aber jedenfalls auch weiterhin da. Noch immer gibt es viele vom traditionellen Bankensystem ausgeschlossenen Menschen in der Welt. Dass es Potenzial gibt, zeigen auch die neuen Entwicklungen, die zunehmende Professionalisierung und die Investitionen in Technologie. Zudem legt die Summe der weltweit vergebenen Mikrokredite konstant weiter zu.

Sind die Grenzen zwischen Mikrofinanz und „sozial-verantwortlichem Investieren“ am Verschwinden?

Die Mikrofinanz ist ein Teil davon. Es gibt hier sehr viele Überschneidungen. Aber auch zur klassischen Finanzierung verschwimmen die Grenzen. Die Banken schauen sich das an. Die Unterschiede pro Land sind aber enorm. So haben beispielsweise in Äthiopien gerade mal fünf Prozent der Menschen Zugang zum klassischen Bankensystem.