In Brüssel verhandeln derzeit die Fachministerien der Mitgliedstaaten im Rat über die letzten technischen Details eines Kontrollmechanismus für Tabakwaren, der ab Mai 2019 EU-weit angewendet werden soll. Es soll den Schmuggel der Raucherzeugnisse verhindern, durch den laut EU-Kommission den Mitgliedstaaten jedes Jahr zehn Milliarden Euro an Steuereinnahmen verloren gehen. Was die Nähe zur Tabakindustrie angeht, gilt Luxemburg unter Tabakexperten als eines der Länder im Mittelfeld. Beim Thema Schmuggelbekämpfung liegt das Land jedoch vorne.
Im Kampf gegen den Handel mit Originalprodukten setzen Luxemburg und Belgien schon seit März 2016 vorsorglich auf spezielles Sicherheitspapier mit sichtbaren und unsichtbaren Sicherheitsmerkmalen und QR-Codes. Auch der Luxemburger Tabakgroßkonzern Heintz van Landewyck rüstet beim Thema Transportkontrolle auf. 60 Millionen investiert das Unternehmen in seine neue Fabrik in Fridhaff, in der ab 2019 Jahr für Jahr sieben Milliarden Zigaretten hergestellt werden sollen. Dabei will das Unternehmen auf spezielle Technik zur Rückverfolgung der eigenen Ware nach dem neuen EU-Standard setzen. Nicht zufällig orientiert sich der Konzern beim Start der Anlage deshalb auch am Inkrafttreten der Tabakrichtlinie.
Steht Deutschland den großen Tabakkonzernen bei?
Deutschland ist dagegen eines der Länder, dem eine Nähe zu den vier großen Tabakkonzernen nachgesagt werden, Philip Morris, Japan Tobacco, British American Tobacco, Imperial Tobacco, den direkten Konkurrenten von Heintz van Landewyck. Nun hat das Tageblatt erfahren, dass sich die Vertreter des deutschen Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) am vergangenen Mittwoch in Brüssel für bei den vier großen Konzernen gängige sogenannte ISO-Industrienormen eingesetzt haben. In dem Vorhaben wurde Deutschland von einigen anderen EU-Staaten unterstützt, darunter neben Österreich vor allem osteuropäische Ländern wie Ungarn und Polen. Der Brüsseler Tabak-Experte Luk Joossens spricht auf Anfrage der taz von einem „schäbigen Manöver“ mehrerer im Tabakanbau und der Zigarettenherstellung sehr aktiver Länder, als einem Vorhaben, das einer „Totgeburt der Tabak-Rückverfolgung“ gleichkommen würde. Er fürchtet nun den Startschuss für den flächendeckenden Einsatz des von den vier Tabakgroßkonzernen entwickelten Kontrollsystems Codentify.
Vinayak Mohan Prasad, Leiter des Anti-Tabak-Programms der Weltgesundheitsorganisation WHO, ärgern die in Brüssel diskutierten Pläne. „In den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren waren die vier großen Zigarettenfirmen am Schmuggel beteiligt“, erinnert Prasad gegenüber dem Tageblatt. Das Interesse der Industrie, den Schmuggel wenigstens nicht zu erschweren, ist für Experten wie ihn offensichtlich: Damit könnten Steuern gespart und vor allem auch Jüngere zum Zigarettenkonsum verführt werden. Doch nicht nur der Schmuggel selbst, auch das Betreiben eines entsprechenden Rückverfolgungssystems ist mit mächtigen finanziellen Interessen verbunden. Seit Jahren schon tobt in Brüssel ein Lobbykampf zwischen Anbietern unabhängiger Kontrollsysteme wie dem Schweizer Konzern SICPA und der Tabakindustrie.
Die Tabakindustrie als Partner?
Die in Brüssel ansässige Anti-Tabak-Initiative „Smoke Free Partnership“ machte das Tageblatt in diesem Zusammenhang auf ein bisher unbekanntes deutsches Projekt aufmerksam, das eine Nähe der Deutschen zur Tabakindustrie aufzeigen soll. Eine dem Tageblatt vorliegende englischsprachige Präsentation mit dem Titel „Sendung und Rückverfolgung und Sicherheitsmerkmal – ein Pilotprojekt der Bundesdruckerei GmbH“ erläutert die Details. Die Broschüre aus dem Sommer vergangenen Jahres zeigt auf, wie sich die Bundesdruckerei die Schmuggelkontrolle bei Zigaretten und Lebensmitteln vorstellt. Interessant ist zunächst, dass die Tabakindustrie als „Partner“ aufgeführt wird.
Tabakprodukte sollen danach künftig von den klassischen Steuermarken auf Zigaretten- oder Tabakpackungen ausgenommen werden. Stattdessen setze man „aufgrund der Bedürfnisse der Industrie“ auf durch die ISO-Norm definierte sogenannte UID-Codes. Diese Codes werden in vielen Ländern von den Tabakkonzernen selbst in Kleinschrift auf die Verpackungen gedruckt. Für viele Experten gelten sie als nicht fälschungssicher und als wenig zuverlässig, um die Herkunft von Zigaretten zurückzuverfolgen. Dem deutschen Konzept zufolge könnte die Bundesdruckerei diese Nummern künftig in einer Datenbank verwalten. Das BMEL solle über die Konformität mit der EU-Tabakrichtlinie wachen.
Institutionen wollen sich nicht äußern
Bundesdruckerei und BMEL bestätigen die Existenz des Pilotprojekts, wollten sich aber mit Verweis auf die Verhandlungen in Brüssel nicht weiter äußern. Auch die betroffenen vier weltgrößten Tabakkonzerne kommentierten die jüngsten Entwicklungen nicht. Fakt ist: Alle großen Tabakfirmen plädierten in Stellungnahmen für die EU-weite Einführung der erwähnten UID-Codes. Auch erstaunlich viele europäische Industrieverbände und Organisationen äußerten sich, teils nahezu wortgleich, im Sinne der Tabakindustrie.
Doch vor allem das deutsche Engagement im Sinne der Industrie erstaunt. Erst Ende Oktober hatte die Bundesrepublik, als bisher letzter von 33 Staaten, das WHO-Abkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs unterzeichnet. In Genf hofft man nun auf ein deutliches Zeichen aus Brüssel. „Der Entscheidung der EU kommt eine wichtige Signalwirkung zu“, erklärt der Leiter des WHO-Anti-Tabak-Programms Prasad. Eine „klare Entscheidung gegen jegliche Beteiligung der Industrie“ sei wichtig für das noch junge Programm, das erst voraussichtlich kommenden Sommer in Kraft treten soll, so Prasad. Schließlich schreibe das Abkommen klar vor, dass die Tabakindustrie für Regierungen „keine Verpflichtungen ausführen“ und auch „nicht an sie delegiert“ werden kann.
Illegaler Handel mit den eigenen Waren
Wie von dem WHO-Experten erwähnt, finden sich tatsächlich viele Belege für eine Mittäterschaft der Unternehmen am illegalen Handel ihrer eigenen Waren. So gilt es als erwiesen, dass die Tabakmultis in den 90er-Jahren mehrere tausend Lastwagen mit Originalware über die Balkanroute in die EU schleusen ließen. Schmuggler, Mittelsmänner und Tabakunternehmen steckten sich Milliarden Euro in die Tasche, die eigentlich beim Fiskus hätten landen sollen. Anfang der 2000er-Jahre flog diese sogenannte „Montenegro Connection“ auf. Nach einem erfolglosen Rechtsstreit einigten sich einige große EU-Staaten, darunter auch Deutschland, wenig später mit den vier größten Tabakkonzernen. Die Konzerne verpflichten sich, ihre Ware künftig besser zu schützen. Vereinbart wurden außerdem Zahlungen an die EU-Kommission von insgesamt mehr als zwei Milliarden Dollar. Jahr für Jahr fließen so Gelder von der Tabakindustrie über den Umweg Brüssel in die Kassen der teilnehmenden EU-Staaten. Ein kleinerer Teil der Industrie-Zahlungen ermöglichen der Kommission den Kampf gegen den Zigarettenschwarzmarkt.
Wie erfolgreich diese Strategie bisher ist, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Während die für den Schmuggel zuständige EU-Antibetrugsbehörde OLAF zunächst schreibt, es sei „schwierig, den Zigarettenschwarzmarkt genau zu überblicken“, liest man in ihrem jüngsten Jahresbericht erstaunlich präzise Zahlen zu den vermeintlichen Erfolgen der Tabakkonzerne. Demnach gehe aus einer Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen von 2016 hervor, dass der „Schmuggel von echten Philip-Morris-Produkten auf dem illegalen Tabakmarkt der EU zwischen 2006 und 2014 um etwa 85 Prozent zurückgegangen“ sei.
Studien von den Zigarettenproduzenten bezahlt
Anerkannte Experten wie Anna Gilmore vertrauen diesen Zahlen ebenso wenig wie von der Zigarettenindustrie bezahlten Studien, nach denen die Situation noch rosiger aussehe. Professorin Gilmore forscht an der Universität in der englischen Stadt Bath seit Jahren zum Thema Tabakkontrolle. Sie hat zahlreiche Hinweise gesammelt, nach denen die Konzerne nach wie vor am Schmuggel beteiligt sind. Ein großes Problem seien gezielte Überproduktionen, sagt Gilmore der taz. Mehrfach kritisierte die WHO die Industrie beispielsweise für Überproduktionen in der Ukraine. Im Vereinigten Königreich wurde der Konzern British American Tobacco 2014 in diesem Zusammenhang gar zu einer Geldstrafe verurteilt, die später auf 100.000 Pfund reduziert wurde. Nach Ansicht der obersten britischen Zollbehörde hatte das Unternehmen den belgischen Markt gezielt mit Rohtabak überversorgt, ohne zu verhindern, dass ein Teil wieder nach Großbritannien zurückgeschmuggelt wurde. Das Unternehmen stritt jedes Fehlverhalten ab.
Voraussichtlich am kommenden Mittwoch soll in Brüssel abschließend über den neuen Standard der Schmuggelkontrolle beraten werden. Auf Deutschland können Verfechter eines unabhängigen Systems dabei wohl kaum bauen. Schließlich hat die Bundesrepublik noch weitere Zugeständnisse gemacht. Anders als in vielen anderen EU-Ländern wurde das hiesige Gesundheitsministerium gar nicht erst an den Verhandlungen beteiligt. Aus der dortigen Fachabteilung ist zu hören, man sollte bitte die Mitwirkung der Zigarettenfirmen „auf das notwendige Minimum beschränken, wenn nicht sogar ganz lassen“. Die langjährige WHO-Generaldirektorin Margaret Chan formulierte es einmal noch drastischer: „Die Tabakindustrie an den Verhandlungstisch zu holen, das ist in etwa, als stellt man einen Fuchs ein, damit er über die Hühner wacht.“
Von Robert Schmidt
De Maart
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