Mike Robert
Am vergangenen Mittwoch nun war es so weit: Sein deutschsprachiges Theaterstück „Dow Jones“ wurde im TNL uraufgeführt.
Ein buntgemaltes Landhaus in Form eines Luftschlosses samt Rutschbahn und Holzleitern. Könnte auch ein Squat sein, ein besetztes Haus. Ein Gummi-Planschbecken symbolisiert den kleinen Fischteich, der den sieben Bewohnern der Drückerkolonne als Ersatz für einen Swimmingpool dient. Von Anfang an spürt der Zuschauer, dass es hier nicht mit gerechten Dingen zugeht, und dass, in Anbetracht ständiger Rivalitäten, permanent mit Haken und Ösen gearbeitet wird.
Vor allem arbeiten, das müssen sie, die ergebenen Lakaien des skrupellosen Leaders Sascha (Pitt Simon). Es geht um den Verkauf von Abonnements, sogenannten Abos jeglicher Art. Sieben Personen und fast genauso viele persönliche Dramen. Nur der 14-jährige Schulschwänzer Dylan (Konstantin Rommelfangen) bietet dem Diktator von Beginn an die Stirn, mit dem Risiko, diese zertrümmert zu bekommen. Er sieht sich als „writer“, besprayt Mauern und Züge, liest eine Biografie von Gangsta-Rapper 50 Cent. Brian Jones wird erwähnt, sowie die undurchsichtigen Umstände seines Todes. Sinken wie Brian Jones, abtauchen wie Dow Jones. Auch Dylan kommt nicht am Verkaufen von Abos vorbei.
Zynische Psychologiespielchen
Begünstigt durch mehr oder weniger vage Angaben über Geografie und Epoche, konnte die Inszenierung von Anne Simon auf gewisse Freiräume zurückgreifen. Sie könnte sich in den 1980er, den 1990er oder gar in diesem Jahrzehnt abspielen. Könnte irgendwo sein, wie es der Autor selbst sagt, obschon einige Anspielungen, wenn auch nur wenige, auf Luxemburg hindeuten. Das ist an sich auch nur zweitrangig. Denn es geht vor allen Dingen um die Darstellung der Komplexität der zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb eines undankbaren Milieus.
Die Handlung in „Dow Jones“ wird durch permanente Konflikte innerhalb der Gruppe geprägt, es ist wie ein Sammelsurium an Psychospielchen, bei denen nicht mit Zynismus und Brutalität gespart wird. Keineswegs Klischee-Figuren, wie man vielleicht annehmen könnte. Im Gegenteil, allesamt sind komplex durchdachte Charaktere, jeder mit seiner Persönlichkeit. Eigentlich ist jeder des anderen Gegner, Konkurrent. Und wenn man seinem direkten Gegner eins auswischen kann, um so besser fürs eigene Ego.
Hölle und Wahn geben sich die Hand
Die Monologe sind nicht minder interessant. Regelmäßig verzieht sich eine Person in eine Ecke, die man zwischen Orakel von Delphi und leerem Beichtstuhl ansiedeln könnte. Hier wird sich der Frust von der Seele gesprochen, geweint, gebrüllt. Es wird auch oft aneinander vorbei geredet, ganz skurrile Dialoge entstehen, deren Verwechslungen manchmal sehr schmerzhaft sein können, wie es besonders Chris (Fabrice Bernard) oft am eigenen Leib erfahren muss.
Aber keiner wird verschont bleiben. Die drogenabhängige Lynn (Claire Thill) scheint sich als einzige für den Lückenbüßer Chris zu interessieren. Die Betonung liegt auf scheint.
Auch die Rolle von Rod (Nilton Martins), abwertend Bacalau genannt, ist schwer einzuordnen. Drückt sich nach oben und tritt nach unten. Und für den manipulierenden Sascha ist es zunächst ein leichtes Unterfangen, alle gegeneinander auszuspielen, unter dem Vorwand, für die Gruppe sorgen zu müssen. So kontrolliert man auch besser, zerschlägt im Nu jegliches Aufmüpfen.
Doch die Zeiten ändern sich mit dem überraschenden Aufkreuzen der selbstbewussten Samiha (Jacqueline LeSaunier). Sascha beginnt zu wanken, die beiden anderen Frauen wittern nun Hoffnung und dennoch werden einige auf der Strecke bleiben.
In dieser vielschichtigen Story, die einem auch so manch krassen Einblick in die Küchen der Abo-Käufer ermöglicht, mangelt es auch nicht an sprachlichen Spielereien. Bereits der Titel „Dow Jones“ lässt einen gleich, vielleicht etwas irreführend, an den berühmten Index denken, der die Entwicklung des US-amerikanischen Aktienmarktes messen soll. Doch etwas genauer betrachtet, in einem mikrokosmischen Sinne, kann man wohl Parallelen ziehen, denn es ist schlecht bestellt um die menschlichen Aktien der Charaktere im Stück „Dow Jones“. Die Börse eines jeden Einzelnen ist schwer angeschlagen, das Geschäft ist rau, das Geschäft verlangt seine Opfer. Das Geschäft will Gewinn. Um jeden Preis. Sein Symbol: Dow Jones.
Eine schauspielerisch überzeugende Darbietung, die es verdient, dass man sie sich anschaut, denn es werden Bereiche thematisiert, die sonst unerwähnt bleiben.
TNL
„Dow Jones“
von Nico Helminger
Inszenierung Anne Simon
Aufführungen:
4., 5., 8., 9., 13., 14. Juli um 20 Uhr in den Ateliers
des „Théâtre national
du Luxembourg“
166, av. du X Septembre Luxembourg-Belair
www.tnl.lu
De Maart
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