Aus Mende berichten „T“-Redakteur Kim Hermes (khe) und „T“-Radsportexperte Petz Lahure (P.L.)
Gelbes Trikot, gelber Helm, gelbes Velo und weiß-schwarze Hose: in diesem Outfit präsentiert sich seit drei Tagen Andy Schleck am Start.
Der Leader der Tour de France hat seine Utensilien dem „Maillot jaune“ angepasst, das ihm zwei französische Schönheiten jeden Abend auf dem Siegespodest umlegen. Die Hose soll ein Wink sein an das „Maillot blanc“, das Andy zusätzlich zum gelben Leibchen sein Eigen nennen darf. Weil es aber laut Reglement nicht gestattet ist, zwei Trikots auf einmal anzuziehen, fährt der Zweite dieses Klassements, der Holländer Robert Gesink, in Weiß über die französischen Landstraßen. Besitzer des Trikots und Prämienkassierer aber ist Andy Schleck.
Heute Tag 4 in Gelb
Heute Samstag ist Andy am vierten aufeinander folgenden Tag Leader bei der Tour de France. Er hat damit Arsène Mersch (1 Tag), Charly Gaul (2), Frank Schleck (2), Jean Goldschmit (3) und Bim Diederich (3) überholt und zieht mit Kim Kirchen (4) gleich. Vor Andy liegen in diesem Klassement nur noch Jean Majerus (7), François Faber (25) und Nicolas Frantz (37). Majerus ist in Reichweite, die beiden andern dagegen (vielleicht) ein Ziel für spätere Jahre.
Über solches sollte Andy sich im Moment den Kopf nicht zerbrechen. Viel wichtiger ist derzeit die volle Konzentration auf die Sonntagsetappe nach Ax-les-Domaines, wo die Ankunft nach einer 8,2 km langen Steigung oben auf dem „Plateau de Bonascre“ in 1.372 m Höhe gewertet wird. Ehe die Fahrer den Schlussanstieg in Angriff nehmen, müssen sie zuerst den Port de Pailhères (oder Col de Pailhères) bezwingen. Mit seinen 2.001 m ist dieser Berg einer der vier 2.000er der Pyrenäen. Im Aufstieg zum Plateau de Bonascre dürfte der nächste Akt der Auseinandersetzung um den Tour-Gesamtsieg stattfinden.
Gestern, beim kurzen Anstieg der Côte de la Croix-Neuve – Montée Laurent Jalabert in Mende, schenkten die beiden Tourfavoriten sich nichts. Alberto Contador nahm Revanche für die in Morzine erlittene Niederlage, machte die dort eingebüßten 10 Sekunden wett und hat jetzt, genau wie vor dem Einstieg in die Alpen, nur noch 31 Sekunden Rückstand auf den Luxemburger.
Rund 2,2 km vor dem Ziel auf dem Flugfeld in Mende-Brenoux, dort, wo die Schlussszene des Films „La Grande Vadrouille“ gedreht wurde, attackierte Contador auf der linken Straßenseite. Leader Andy Schleck befand sich in diesem Moment nicht in Hinterrad des Spaniers und konnte das Loch nicht mehr schließen. Schnell schloss der zweifache Toursieger mit seinem Landsmann Joaquin Rodriguez am Hinterrad zu den vor ihnen liegenden Ausreißern, allen voran Teamkollege Alexandre Vinokourov, auf und ließ sie sogleich stehen.
Auf der flachen Passage zum Ziel konnte Schleck wieder Terrain gutmachen. Im Ziel betrug sein Rückstand nur mehr 10 Sekunden. Contador verlor die Etappe im Sprint an Rodriguez.
Voreilige Schlussfolgerungen sollte man aus dieser Etappe nicht ziehen. Contador verbuchte, das ist sicher, einen moralischen Erfolg, doch zahlenmäßig ist Andy Schleck wenig passiert. Die Ausgangslage im Hinblick auf einen Toursieg bleibt die gleiche. In den Pyrenäen muss Schleck attackieren, und es bedarf einer Schwäche von Contador, damit Andy das „Maillot jaune“ bis nach Paris fahren kann. So weit aber sind wir noch nicht. Die Tour bleibt spannend, und das ist ja im Interesse von jedem.
Auge um Auge
Ein Wort noch zum Skandalsprint vom Mittwoch, bei dem Mark Renshaw aus dem Rennen genommen wurde, seinem Leader Cavendish, dem er einen Boulevard geöffnet hatte, aber nichts passiert ist. Manche sind der Meinung, Cavendish hätte deklassiert werden müssen, da er den Endspurt mit der irregulären Hilfe eines Mannschaftskameraden gewonnen hatte. Für die Rennjury sind Entscheidungen in solchen Fällen nicht leicht. Wie sie es auch macht, macht sie es für die eine Seite falsch!
Zum Nachdenken regen in diesem Zusammenhang folgende Äußerungen des früheren deutschen Sprinters Marcel Wüst an: „Bei einem Massensprint kommt man sich vor wie unter wild gewordenen Büffeln. Der Puls ist auf 185, die Nerven sind aufs Äußerste gespannt, denn bei Tempo 70 bleiben nur Bruchteile von Sekunden, um zu entscheiden. In der Situation bräuchte man eigentlich drei Augen“, beschreibt Wüst das Leben in der Zielgeraden.
Marcel Wüst verlor bei einem Sprint ein Auge. Da es keine TV-Bilder davon gibt, weiß er bis heute nicht, wer ihn zu Fall gebracht hat …P.L.
De Maart
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