Bestimmt haben Sie auch schon mitbekommen, so am Rande eines WM-Kampfs, dass der 40-Jährige in seiner Heimat Ukraine politisch aktiv ist und bereits zweimal bei der Bürgermeisterwahl von Kiew Kandidat war. Nun, Vitali Klitschko selbst sieht das Verhältnis Sport/Politik im Vergleich zum Bekanntheitsgrad genau umgekehrt: „90 Prozent meiner Zeit gehört der Politik, 10 Prozent dem Sport.“
Vitali Klitschko STECKBRIEF
o Geboren am 19. Juli 1971
o Verheiratet, drei Kinder
o Studium: Doktor der Sportwissenschaft
o Kampfname: Dr. Ironfist
(Dr. Eisenfaust)o Maße: 2 m groß, 110 kg (Durchschnitt), 2,03 m Reichweite
o Weltmeister im Schwergewicht: bei WBO und WBC mit Unterbrechungen zwischen 1999 und 2004; seit 2008 WBC-Weltmeister
o Zahlen: 46 Kämpfe; 44 Siege (davon 40 durch K.o.), 2 Niederlagen; als Amateur: 210 Kämpfe; 195 Siege, davon 80 durch K.o.
o Kickboxen: betrieb er vor dem Boxen von 1985 bis 1992, war u.a. 6 mal Weltmeister
o Politik: scheiterte zweimal bei der Bürgermeister-Wahl von Kiew (2006: 26% der Stimmen/2. von 3; 2008: 18% der Stimmen/3. von 3); Stadt-Abgeordneter von Kiew; Vorsitzender der Partei UDAR
o Internet: www.klitschko.com
So die den Sport-Experten und Politik-Laien erstaunende Selbst-Beschreibung des Superstars, der am Dienstag auf politischer Stippvisite in Luxemburg war, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der 2010 von ihm gegründeten ukrainischen Oppositionspartei UDAR („Ukrainian Democratic Alliance for Reforms“). Die Abkürzung ist ein existierendes Substantiv und bedeutet „Schlag“.
Werbetour
Um die Partei und sich selbst vorzustellen, wechselte er die Disziplin, und zwar hin zur Leichtathletik, genauer dem Marathon: Sportminister, Parlamentspräsident, außenpolitische Kommission des Parlaments, Gemeinde Luxemburg und Außenministerium – Vitali Klitschko war auf Werbetour für sich und seine Partei. Und dies aus felsenfester Überzeugung für sein Land. Wie ein Fels in der Brandung wirkt er übrigens auch, der 2-m-Hüne. Dabei ausgesprochen freundlich und sympathisch, mit – selbstverständlich – kräftigem Händedruck.
Ganz ohne Sport geht es natürlich nicht, wird es nie gehen: „Ich werde den Sport immer in meinem Herzen haben. Ich hätte nie gedacht, dass ich bis 40 aktiv sein werde. Aber den Altersrekord von George Foreman (hörte nach einem Comeback mit 48 auf, d.Red.) will ich nicht brechen (lacht). Wann ich aufhöre, weiß ich noch nicht. Wenn es so weit ist, werde ich es bekannt geben.“
EM: Ukraine ändern
Gut möglich, dass dieser Zeitpunkt dann auch mit seiner politischen Karriere zu tun haben wird – und vielleicht einem Wahlsieg. Bis es so weit sein könnte, heißt es aber weiterhin: „Um 6.00 Uhr stehe ich in der Regel auf, dann geht es in den Fitness-Raum, ab 9.00 bin ich im Büro.“ Dazu kommen natürlich intensive Trainingslager vor Kämpfen.
Sportlich ist aber nicht nur Boxen für Vitali Klitschko wichtig, sondern auch Fußball. Er hat sich aktiv engagiert für die EM-Endrunde 2012 in Polen und der Ukraine, ist Mitglied des Organisationskomitees. Die Begründung für dieses Engagement nimmt derweil schon politische Züge an: „Die Fußball-EM ist das größte Event in unserem Land seit der Unabhängigkeit. Nelson Mandela sagte: ‚Sport has the power to change the world.‘ Ich sage: Die EM hat die Kraft, die Ukraine zu ändern. Durch die EM hat sich bei uns so viel getan in puncto Infrastruktur, Flughafen, Hotels etc. Das Volk freut sich darauf, es wird riesig werden. Sport verbindet Menschen, er hat eine wahnsinnige Kraft. Viele Leute werden zu uns kommen und sehen, wie schön und großartig die Ukraine ist.“
20 Jahre wie im Nu
Klitschko sagt das im Brustton der Überzeugung. Ähnlich erklärt er sein politisches Engagement, und findet mehr als klare Worte für die derzeitige Situation in seiner Heimat: „1991 habe ich für die Unabhängigkeit gewählt und dann davon geträumt; von einer Wende zum Besseren. Und nun sind 20 Jahre vergangen, wie im Nu (schnippt mit den Fingern), wie nur 1 Minute – und nichts hat sich geändert, in puncto Demokratie ist leider nicht viel passiert. Andere Länder sind sehr viel weiter als wir, haben eine ‚europäische Art‘, auch was den Lebensstandard angeht.“
Dabei sieht Vitali Kitschko sich und sein Land resolut europäisch: „Die Ukraine ist das größte Land Europas. Wir sind europäisch, geografisch und von der Geschichte her.“
2004 war der heute 40-Jährige für die „Orangene Revolution“ auf der Straße. Deren Protagonistin Julia Timoschenko sitzt nun im Gefängnis – was für massive Kritik in der Ukraine und im Ausland sorgte. Klitschko hatte seit ihrer Verhaftung keinen direkten Kontakt zu Timoschenko, lediglich E-Mail-Verkehr.
Korruption
Sein politisches Streben ist nicht unbedingt gegen den umstrittenen Präsidenten Janukowitsch gerichtet, sondern allgemein gegen das Regime, „das System. Der ‚Feind‘ ist nicht der Präsident. Der Feind ist das System. Die Korruption, das ist der größte Feind der Ukraine“. Was hässlicher sei, Boxen oder Politik, wird er gefragt. „Politik“ sagt Klitschko, und Traurigkeit darüber schwingt in seiner Antwort mit.
„Im Boxen gibt es Regeln, und Strafen, wenn man sie nicht befolgt. Das will ich auch für die Politik“, fährt er fort. Und zitiert gleich eine Regel: „In unseren Gesetzen steht, dass die Bürgermeisterwahlen in der Hauptstadt Kiew Ende Mai stattfinden müssen. Aber wenn sie mich jetzt fragen, ob ich 2012 wieder kandidiere, hat es keinen Sinn, darauf zu antworten. Man weiß nämlich noch nicht, wann die Wahlen stattfinden werden.“ Klitschko steht in den Umfragen scheinbar sehr gut da.
Und vieles deutet momentan darauf hin, dass eine Verschiebung der Wahlen erreicht werden soll, um den von der Regierung unterstützten Kandidat eventuell zu bevorteilen. Zweimal hat Vitali Klitschko den politischen Kampf bereits verloren. Sind aller guten Dinge drei, gelingt ihm der Befreiungs-Schlag?
De Maart
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