Montag10. November 2025

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Ein Abend der großen Manipulation

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Der große Kampf der Gewerkschaften in Lothringen um den Erhalt der Hochöfen in Hayange ist vorbei. Ein Mann aber will nicht aufgeben. Der Gewerkschaftssekretär Edouard Martin strickt an seiner Glorie und droht, zur tragischen Figur zu werden.

Es ist ein warmer Sommerabend. Der 18. Juni ist ein besonderer Tag in Frankreich. Es ist der Tag der Ansprache des General Charles de Gaulle aus London, in der er Frankreich zum Widerstand gegen die deutschen Besatzer aufrief. Philippe Tarillon, Bürgermeister der knapp 12.000 Seelen-Gemeinde Florange hat in einer offiziellen Zeremonie des Tages gedacht, hat dann einen Platz nach einem der letzten Widerstandskämpfer benannt, der im vergangen November gestorben war. Jetzt am Abend hat er Krawatte und Anzug abgelegt und sitzt in Sommerkleidung im Kulturzentrum „La Passerelle“. Im Stahltal des Flüsschens Fensch ist Philippe Tarillon eine unumgehbare Persönlichkeit. An diesem Abend aber ist er nicht die Hauptperson. Die Fernsehkamera im Foyer des Kulturzentrums wartet auf Edouard Martin, Ikone des Widerstands gegen ArcelorMittal und Lakshmi Mittal in Person.

Logo" class="infobox_img" />Eine Tafel vor den Hochöfen in Florange.

Edouard Martin, groß, schlank, drahtig, hat in Frankreich über 18 Monate hinweg den Eindruck erweckt, dass im Land der Gallier die Stahlproduktion verschwindet, wenn die Hochöfen in Hayange ausgeblasen werden. Er hat eine Nation bis hin zum Staatspräsidenten und zur Regierung mobilisiert. Er hat eine Regierung gespalten mit seiner Forderung, das Stahlwerk in Florange zu verstaatlichen. Er hat Züge wie den TGV auf seinem Weg nach Luxemburg angehalten, hat die Auslieferung von Coils verhindert und die deutsche Automobilindustrie in Schwierigkeiten gebracht, weil der Stahl-Nachschub ausblieb. Edouard Martin ist ein Tribun, ein bedingungsloser Kämpfer für eine Sache. Dafür kann er Menschen und Medien bewegen, Stimmungen schaffen. Und: Edouard Martin ist wie alle Volkstribunen ein großer Manipulator.

Grenzen überschreiten

Im Kampf für seine Sache – die Hochöfen von Florange – überschreitet Martin ohne Bedenken auch Grenzen. Er hat Lakshmi Mittal zur persona non grata gemacht, eine Stimmung in Frankreich geschaffen, die den Minister für den industriellen Wiederaufbau Frankreichs zu der Bemerkung bewegte, dass man Mittal in Frankreich nicht mehr haben wolle. Arnaud Montebourg hat diese Äußerung später abgeschwächt, aber sie steht nun in der Welt. Auch an diesem Abend geht Martin Lakshmi Mittal persönlich an. „Mittal ist ein Wilder, ein Raubtier“, sagt er. Die Stimmung, die Martin gegen Lakshmi Mittal angeheizt hat, führte dazu, dass ein Lothringer Spiele-Entwickler ein Videospiel mit dem Titel „Kill Mittal“ entwickelte. Es ist nicht bekannt, dass Edouard Martin sein Bedauern über diese Überschreitung einer roten Linie ausgedrückt hätte.

Die gut 100 Zuhörer im Foyer, die warme Cola und kaltes Wasser trinken, sind eigentlich gekommen, um zu hören, wie es jetzt weitergeht, wo die Hochöfen ausgeblasen sind. Sie wollen hören, sagt eine junge Frau, wo die Zukunft liegt. Aber da haben sie ihre Hoffnung zu hoch geschraubt. Martin gibt zu: „Mittal hat gewonnen“. Aber: Das konnte er nur, weil er die Politik eingelullt hat. Immerhin habe man nun eine Kommission, die die Einhaltung der Vereinbarungen zwischen ArcelorMittal und der Regierung überprüfe. Und es sei unbedingt wichtig, dass die Politik in der Kommission vertreten sei. Hier schaltet sich die Europa-Abgeordnete Nathalie Griesbeck ein, die mutig erklärt, dass sie für sich keinen Grund gesehen habe, in diese Kommission einzutreten, weil sie nicht genau gesehen habe, was sie da machen soll. Das trägt ihr nicht gerade die Sympathie der Anwesenden ein. In Frankreich glaubt man zwar dass die Politik grundsätzlich verdorben sei, verlangt aber, dass die Politiker überall vertreten sein müssen, um das Leben zu bestimmen.

„Das ist falsch“

Martin gibt keinen Ausblick. Er blickt zurück, er lobt das Stahlwerk in Florange. Es sei das einzige integrierte Stahlwerk in Europa, sagt er. Das ist falsch. Alle Flachstahlwerke der ArcelorMittal Gruppe in Bremen, in Dünkirchen, in Fos sind integrierte Stahlwerke. Florange ist nun keines mehr. Hier gibt es keine Hochöfen mehr, dafür aber Kalt- und Warmwalzstraßen, die ihr Material aus Dünkirchen bekommen.

Edouard Martin findet es immer noch nicht normal, dass man Florange nicht verstaatlicht habe. In den USA habe Obama das mit General Motors gemacht, warum also nicht Frankreich mit Florange, fragt er. Er vergisst dabei, zu erwähnen, dass die staatliche Rettung in den USA bei General Motors Tausende von Jobs gekostet hat. Man könne auch ins Saarland schauen, sagt er. Dort habe die Regierung, den besitzer von Saarstahl rausgeschmissen. Heute gehöre Saarstahl der saarländischen Regierung. Das ist ebenfalls so richtig nicht. Der Saarstahl-Vorstand hatte Konkurs für das Unternehmen angemeldet. Das Unternehmen gehört einer Stiftung, die nach dem Konkurs von der Regierung eingerichtet worden war.

Lothringischer Nationalist

Bürgermeister Tarillon schreitet hierzu ein und betont mit erstaunlichen Kenntnissen zum deutschen System, dass man hier nichts vergleichen könne. Stoppen kann man Martin so aber nicht. Er outet sich als lothringischer Nationalist. Im Forschungszentrum des Konzerns in Maizières le Metz arbeite man nun an einer besonders kohlenstoffdioxidarmen Herstellung von Stahl. Es käme gar nicht in Frage, solche Erfindungen außerhalb von Lothringen zu nutzen. Deshalb auch müssten die stillgelegten Hochöfen so eingemottet werden, dass man sie dann wieder nutzen könne. Der Stahlmann Martin spricht hier wider besseres Wissen. Die Hochöfen in Hayange haben jetzt schon nur noch Denkmalswert. Sie wieder in Betrieb zu nehmen, würde Millionen zur Renovierung kosten. Möglicherweise wird Martin deswegen wütend, weil der Konzern um die Hochöfen einen Sicherheitszaum ziehen lässt, der für ihn Zeichen dafür ist, dass die Hochöfen nun verrotten werden.

Als lothringischer Nationalist wütet der Gewerkschafter in die Vergangenheit hinein. Usinor mit Präsident Francis Mer und der spätere Arcelor Chef Guy Dollé hätten know how an Luxemburg verschenkt. Die Spundwände in Belval und die Träger in Differdingen seien in Wirklichkeit lothringisches Technik-Wissen.
Edouard Martin wirkt wie ein Denkmal von sich selbst. Die Wirklichkeit geht längst über ihn hinweg. Man könne Mittal nicht trauen. Er habe sich nie an sein Wort gehalten, meint er und pflegt sein Feindbild. Der Konzern hingegen hat gerade 80 Millionen Euro der 180 Millionen für Investitionen geplanten freigegeben. Und der Konzern geht ungerührt daran, die Vereinbarungen mit der französischen Regierung zu verwirklichen. So steht es schlecht um eine Weißblechfabrik ausgerechnet im Wahlkreis des französischen Premierministers. Ihr droht die Schließung, um die Weißblechproduktion in Florange – wie vereinbart – fortzuführen. Martin redet darüber nicht. Es passt nicht zu der Feind-Argumentation des Tribunen und brächte die Gewerkschaft auch in Schwierigkeiten, auf dieses Thema einzugehen.

„Armer Mensch aus Industriewüste“

Edouard Martin kommt aus der Aktivisten Rolle nicht heraus und bekommt die Kurve in die Zukunft nicht, für die ArcelorMittal längst die Weichen gestellt hat. Die Zuhörer haben einen Abend mit längst bekannten Parolen verbracht und auch Bürgermeister Tarillon wäre wohl lieber zu Hause geblieben. Sein hinweis, dass es für das Tal der Fensch durchaus eine Zukunft gebe. Hier seien in den vergangenen zehn Jahren immerhin 1.500 neue Arbeitsplätze entstanden. Der Standort sei auch international. ThyssenKrupp lässt hier Lenksäulen herstellen.
Den lothringischen Tribun kann Tarillon so nicht stoppen. Tarillon macht auch deutlich, dass er die Nase voll davon habe, wo immer er in Frankreich auftrete als der arme Mensch angesprochen zu werden, der aus einer Industriewüste käme.

Edouard Martin, der so gerne in der Vergangenheit kämpft, gibt sich davon unberührt. Er nimmt die Zeichen einer neuen Entwicklung nicht wahr, in der immer mehr Persönlichkeiten in Lothringen von einer Auseinandersetzung mit Mittal nichts mehr hören wollen. Die Realpolitiker gewinnen wieder die Oberhand. Über Edouard Martin scheint die Zeit langsam hinwegzugehen. Bekommt er die Kurve in die Zukunft nicht, droht er zur tragischen Figur eines verlorenen Kampfes zu werden.